Genau vor einem Jahr in Rom: Sichtbar geschwächt wirkte der alte Papst, als er das Jubiläum im Rollstuhl mit der Öffnung der Heiligen Pforten einläutete. Ab Mitte Februar lag er dann fast durchgehend im Krankenhaus. Die Popularität der Päpste, ihre Sichtbarkeit bei öffentlichen Audienzen oder Gottesdiensten ist einigen Katholiken und noch mehr den vielen Romtouristen besonders wichtig. Manche machen ihren Besuch im Vatikan davon abhängig. Wir nicht. Der etwas lethargischen Stimmung zum Trotz machten wir uns zur Karwoche als „Pilger der Hoffnung“ auf den Weg nach Rom, um durch Buße, Gebet und Durchschreiten der Pforten wertvolle Gnaden und Ablässe zu erwerben.
Nach der Messe am Ostersonntag auf dem Petersplatz ist uns der Papst dann aber doch noch erschienen, als er den Segen „Urbi et Orbi“ spendete. Es sollte sein letzter öffentlicher Auftritt sein. Mit dem Tod des Papstes am Morgen des Ostermontags bekam unsere Pilgerreise an ihrem Ende noch einen dezidiert papstbezogenen Nachdruck. Man darf in diesem Falle wohl von einer „guten Sterbestunde“ sprechen, hatte sich Franziskus doch im Angesicht des nahenden Todes gewünscht, sich ein letztes Mal den vielen Gläubigen am Petersdom zu zeigen. Diese Katharsis seines Lebens wurde ihm ausgerechnet am hohen Osterfest im Heiligen Jahr geschenkt. Der Tod des Papstes möge eine eindringliche Erinnerung sein, wie wichtig es für uns Katholiken sein sollte, auf eine gute Sterbestunde zu hoffen und hierfür um die Fürsprache des heiligen Joseph, des Patrons der Sterbenden, zu bitten.
Tourismusrekord
Dass ein Pontifex während eines Heiligen Jahres verstirbt, gab es zuletzt im Jahr 1700 mit dem Tod von Innozenz XII. Ungleich größer als noch vor 325 Jahren fiel im Zeitalter der Medien und Massenmobilität die Euphorie aus, die von dem auf das Papstrequiem folgenden Konklave ausging. Pünktlich hierzu eroberte noch ein merkwürdiger Hollywoodfilm die Kinos der Welt. Als Papst Leo XIV. am 8. Mai 2025 die Benediktionsloggia betrat, wuchs die Sehnsucht der Gläubigen in diesem Heiligen Jahr wieder und damit auch das Interesse aus aller Welt an den Generalaudienzen, Angelusgebeten und Papstmessen. Besonders viele Gruppen aus Amerika und Asien überrannten förmlich den Vatikan. Einige von ihnen waren als Touristen nach Rom gekommen, manche wurden während ihres Aufenthalts vielleicht selber zu Pilgern.
Ich selbst bin gemeinsam mit meiner Frau sogar nach Rom umgezogen und somit vom Pilger zum Einwohner geworden. Als „sposi novelli“ (Neuvermählte) hatten wir das besondere Privileg, bei einer Audienz den besonderen Segen des Papstes zu erhalten. Mitten im Jahr in Rom angekommen, sollte sich unser Bild von der Ewigen Stadt und seinem Jubiläum aber nochmals grundlegend verändern: Wir kamen in einer Zeit, in der die Besucherzahlen wegen des „Leo-Effekts“ vollkommen durch die Decke gingen. Schon das Jahr 2024 brachte einen Tourismusrekord für Rom. Das Jubiläum setzte nun noch einen darauf.
Ob es sich bei diesen vielen Menschen um Pilger oder bloß um Touristen handelt, können wir im dichten Gedränge, durch das wir uns in unserem Alltag schlagen müssen, längst nicht mehr erkennen. Es ist heute ohnehin fraglich, was den Pilger vom Touristen zumindest äußerlich überhaupt noch unterscheidet. Die vielen kuriosen Beobachtungen, die man als Einwohner des römischen „Centro storico“ macht, lassen sich unmöglich allesamt aufzählen. Es ist das Selfie vor der Heiligen Pforte, das laute Telefonat im Gotteshaus, es sind die Menschentrauben von Ferngesteuerten mit Trainingshose und Knopf im Ohr, die immer nur stumpf vorübergehen und sich die Schönheit Roms durch die Handykameralinse ansehen, die fast nie im Gebet oder wenigstens in der Kontemplation verharren. All das trübt den Glanz des Jubeljahres. Und ich muss ehrlich gestehen: Seitdem wir hier wohnen, meiden wir die großen Basiliken, ihre Heiligen Pforten und den Petersplatz zunehmend. Ich habe die letzten sieben Jahre in Berlin gelebt und muss nunmehr feststellen: Eine verirrte Gruppe plaudernder und fotoposierender Touristen bei einer Heiligsprechung auf dem Petersplatz vermag in einem „Stadtbild“ weit mehr Schaden anzurichten als eine Gruppe Talahons auf dem Alexanderplatz. Der Vatikan scheint bedauerlicherweise wenig Ambitionen an den Tag zu legen, diesen Missständen entgegenzuwirken. Allen voran: die zunehmende Entstellung der heiligen Kirche zu einer Art Gratis-Museum und der schrittweisen Umfunktionierung Roms zu einem gigantischen Freizeitthemenpark. Ich persönlich habe noch nie gehört, dass der Besuch eines Freizeitparks zu einer Bekehrung oder besonderen Bekräftigung im Glauben geführt hätte – man möge mich eines Besseren belehren.
Die Heilig-Jahr-Tradition lebt
Viele Besucher bedeuten in Rom aber vor allem viele Einnahmen: Es ist das Geld, das die Kassen der unzähligen Hoteliers, Gastronomen und Krämerseelen Roms flutet. Für uns, die wir innerhalb der Aurelianischen Mauern wohnen, führt das vor allem zu höheren Lebenshaltungskosten. Für unsere ganze Nachbarschaft bedeutet der Tourismuswahn eine sich verschärfende Wohnungsknappheit, hohe Mieten und Verdrängung, um immer mehr Platz für die vielen kleinen Herbergen, Urlaubsappartements und Hostels zu schaffen. Auch die katholische Kirche profitiert kräftig vom Geschäft mit dem Jubeljahr. So war es seit jeher. Und in Zeiten des aufgeblähten Subventionsstaates nimmt das Handaufhalten ganz neue Dimensionen an.
Fast überall erstrahlt die Stadt mit ihren unzähligen Kirchen, Monumenten und pittoresken Plätzen, die sie mithilfe großzügiger nationaler und europäischer Zuschüsse herausputzen durfte. An vielen Orten jedoch ist das Stadtbild nach wie vor von Baustellen geprägt. Man stellt sich da unweigerlich die Frage, ob das Heilige Jahr der Zweck oder nur Anlass für die vielen Sanierungsprojekte war. In unserer Pfarrkirche im Rione Regola etwa, in der wir regelmäßig die Messe feiern, flankieren bedrohliche Baugerüste und die berüchtigten weiß-gelben Bauzäune mit der Aufschrift „Roma Giubileo 2025“ unsere Bänke – jeder, der in den letzten Monaten Rom besucht hat, kennt diese Baureklamen nur allzu gut. In unserer Kirche werden sie noch viele Monate nach dem Jubiläumsjahr stehen bleiben müssen.
Man sagt, Papst Paul VI. habe einst mit dem Gedanken gespielt, mit der Tradition des Heiligen Jahres gänzlich zu brechen. Dies hätte sich wohl als folgenreicher Irrtum herausgestellt, eingedenk der wachsenden Bedeutung des Jubiläums für die Stadt bis in die Gegenwart hinein. Die Kirche muss den Umgang mit dem Massentourismus aber wohl noch lernen. Sie muss sich darauf einstellen, dass bei weitem nicht alle der 30 Millionen Menschen, die im Heiligen Jahr die Ewige Stadt besuchten, als fromme Pilger um christliche Vervollkommnung und Ablässe baten. Viele Menschen wissen gar nicht, wie man sich in einem Gotteshaus angemessen verhält. Dass sie es scheinbar nie gelernt haben, ist bedauerlich, es entschuldigt aber ihr Verhalten. Dass die Kirche bislang offenbar zu wenig unternimmt, den Besuchern die tiefere, spirituelle Bedeutung unserer heiligsten Orte näherzubringen, sollte jedoch eine Lehre aus diesem Heiligen Jahr für den Papst und die Kurie sein. Als Einwohner Roms hoffe ich daher sehr, dass die „Caput mundi“ auch in Zukunft ein wahrer Hort besten katholischen Charakters bleiben und noch bei zahlreichen Jubiläen die Gnadengeschenke Gottes in die ganze Welt senden wird.
Der Autor ist Jurist beider Rechte und absolviert ein Studienjahr in Rom.
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