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Bischof Stefan Oster: "Gott will betende Menschen"

Das Gebet ist den Gläubigen heute wichtiger denn je. Doch erfährt, wer das Beten nie gelernt hat, worum es Christen dabei geht? Bischof Stefan Oster über das Gespräch mit dem Herrn.
Der Passauer Bischof Stefan Oster
Foto: Maria Irl (KNA) | Stefan Oster, Bischof von Passau, am 18. März 2021 vor dem Dom Sankt Stephan in Passau.

Exzellenz, seit dem Überfall auf die Ukraine beten die Christen intensiver denn je um Frieden, aber die Nachrichten aus den Kriegsgebieten sind alles andere als ermutigend. Warum prüft Gott die Geduld der wenigen Beter, die er noch hat?

Natürlich ist Gott kein Automat, der Gebete in genau der Weise erhört, wie wir es wünschen. Gott braucht auch nicht unser Gebet, damit er wirken kann. Aber Gott will betende Menschen und will mit ihnen und durch sie wirken. Und das sind aus meiner Sicht vor allem Menschen, die mit ihm in der inneren Verbindung leben. Gebet ist Beziehungspflege mit Gott, damit er uns ein weites, ein liebesfähigeres Herz schenken kann. Ich glaube auch: Wo Menschen, die auch untereinander in tiefer innerer Verbundenheit mit ihm leben, gemeinsam etwas erbitten, dann verändert sich etwas. Dann verändert sich Welt, dann verändern sich Herzen, dann verändert sich die geistliche Atmosphäre - in die Gott hineinwirken kann. Und wer weiß: Vermutlich sind auch mitten im Ukraine-Krieg schon Wunder geschehen, die Menschen miteinander erbeten haben.

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Der Apostel Paulus rät den Thessalonichern, ohne Unterlass zu beten. Wie lässt sich das praktisch umsetzen?

Ein einfaches Beispiel: Stellen Sie sich zwei verliebte Menschen vor. Der eine hat den anderen in seinem Herzen immer dabei, auch wenn sie gerade räumlich getrennt sind. Die beiden leben gewissermaßen in der Wir-Form. Wenn einer der beiden Liebenden zum Beispiel eine Anfrage für eine Unternehmung von einem Dritten bekommt, dann denkt er doch normalerweise zuerst: Wie passt das in mein Leben mit meinem Partner? Das heißt: In der Tiefe des Herzens ist zuerst der Partner da - und von dieser Gegenwart her plane ich mein Leben auch mit anderen. Ähnlich geht es vielleicht einer Mutter mit einem kleinen Kind. Das Kind und die Sorge um es und die Freude an ihm ist immer dabei, ist meistens schon zuerst da, ehe anderes in das Leben der Mutter kommt. Und dann wägt sie ab, wieviel Platz sie machen kann, in der Beziehung zum Kind für anderes, weil das Kind gewissermaßen zuerst da ist und mitgelebt und mitgedacht wird. Das meine ich mit Leben in der Wir-Form.

Was bedeutet diese biblische Aufforderung für Sie?

Für mich wäre dann "Beten ohne Unterlass" also ein Leben, in dem Gott wie ein Geliebter immer dabei ist, in der Wir-Form: ein existenzielles, inneres Bewusstsein seiner Gegenwart - und deshalb auch in der ständigen tiefen Kommunikation mit ihm. Es bedeutet aber nicht: dauernd viele Wörter machen, unter denen auch das Wort "Gott" vorkommt und möglichst viele Stunden im ausdrücklichen Gebet sein. Letzteres kann man natürlich auch. Aber ich meine nicht, dass das so gemeint ist. Und das Besondere am Leben in der Wir-Form mit Gott ist dann auch dies: Wenn das wirklich passiert und Gott ein Herz erfüllt, dann wird da auch innerer Raum eröffnet, der noch viel Platz für andere hat. Wir lernen dann, den anderen in Gott zu lieben.

"Fang einfach an, mit Gott zu reden.
Vielleicht mit einem Vaterunser,
das Du versuchst, ganz bewusst zu beten"

Welchen Rat geben Sie Menschen, die gern beten möchten, es sich aber nicht zutrauen?

Ich würde sie vermutlich zuerst fragen: Weißt Du eigentlich, dass Dein Herz immer schon betet? Du lebst aus Gott, Du könntest keinen Atemzug ohne ihn machen. Nichts, was in deinem Leben wirklich wichtig ist, verdankst Du alleine Dir selbst. Denn da gibt es eine geheimnisvolle Quelle allen Lebens in Dir. Und diese Quelle ist keine abstrakte Energie. Es ist ein Du, das größer ist als Du selbst. Es ist ein Jemand. Dieser Jemand liebt Dich. Er hat Dich geschaffen und freut sich an Dir. Fang einfach an, mit Gott zu reden. Vielleicht mit einem Vaterunser, das Du versuchst, ganz bewusst zu beten. Aber dann auch frei, mit eigenen Worten, mit Freud und Leid, und allem, was Dir passiert oder wichtig ist. Und vielleicht findest Du auch ins Schweigen vor Ihm. Einfach so da sein - und sich vorstellen, dass dieser Vater Dich mit großer Liebe anschaut und erwartet. Ich hoffe, auf diesen Wegen kann man ins Beten finden. Eine Möglichkeit ist auch: Lies das Evangelium. Nicht viel, eine Stelle, in der Jesus vorkommt und handelt. Lies sie mit Deinem inneren Vorstellungsvermögen, als wärst Du dabei. Fühl Dich ein und frag Dich: Was sagt er? Wie meint er es? Warum handelt er so? Und: Was sagt das mir? Und dann spricht direkt zu Ihm, versuch in Dein Herz zu hören. Und übe das, immer wieder. Dann wächst nicht nur etwas in Dir, dann wächst Er in Dir.

Die Benediktsregel weist den Beter auf Stilfragen hin: Stehen, Singen, Kleidung etc. werden beim Gebet nicht dem Gusto des Einzelnen überlassen. In welchen Punkten würden Sie in der Kirche heute gern den äußeren Stil des Betens ändern?

Zunächst einmal ist nicht der "äußere Stil" das Primäre, sondern die innere Haltung. Sicher kann man durch äußere Haltung auch die innere beeinflussen und sozusagen Rückwirkung erzielen. Das macht deutlich, dass das Äußere nicht beliebig ist, sondern eben auch passende "Form", die dann auch "formiert". Das Knien beispielsweise beeinflusst auch meinen inneren Blick auf Gott. Macht ihn demütiger - hoffentlich. Aber wesentlicher als das "Außen" ist eben dieses Bemühen, innerlich bei Gott zu sein. Dann folgt die äußere Haltung oder Geste oft wie von selbst: Wenn ein Mensch ergriffen ist, fällt er wie von selbst auf die Knie, beispielsweise. Grundsätzlich bin ich dankbar, dass es in der Kirche viele Stile und viele Weisen zu beten gibt. Und geistliche Authentizität bedeutet dann das stimmige, das gelingende Ineinander von äußerer Form und Innerlichkeit.

Warum haben die Mystiker gerade das Gebet in Zeiten der Niedergeschlagenheit und geistlichen Dürre als besonders wertvoll erachtet?

Wenn Beten Beziehungsleben mit Gott ist, dann will Gott nicht einfach nur der Erfüllungsgehilfe unserer Wünsche sein. Vielmehr sehnt er sich nach Tiefe, nach Treue, nach einer Liebe, die Ihn um seinetwillen meint. Und genau das lernen wir, wenn wir lernen, im Gebet treu zu sein, auch dann, wenn wir nicht dauernd Gnadenerweise von Ihm spüren. So werden solche Zeiten der Trockenheit zu Zeiten eines inneren Wachstums, das die Beziehung letztlich vertieft. Wir werden - wenn wir es annehmen und darin treu bleiben - reifer und beziehungsfähiger für das Leben mit Ihm.

"Ich erlebe, dass meine Verbindung mit Gott
real ist, dass ich wirklich über das Gebet
immer wieder in eine Freude finde, die nicht von mir kommt"

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Inwiefern hat Beten eine eschatologische Komponente? Anders gefragt: Was ist dran am "Aufschwung der Seele", von dem Therese von Lisieux spricht?

ch glaube "Aufschwung der Seele" bedeutet zunächst schlicht ein inneres Sich-erheben, ein Aufschauen, ein In-Verbindung-treten mit dem, der über mir und in mir ist. Die Seele hört dann auf, nur um sich zu kreisen, sondern bezieht sich ausdrücklich auf den anwesenden Gott. Wenn Sie zum Beispiel körperlich müde ins Gebet gehen und vielleicht auch gar keine Lust dazu haben, aber sich dann innerlich trotzdem wirklich an Gott wenden, dann kann man so etwas unmittelbar erleben: Eine noch in sich gekehrte Seele streckt sich nach Gott aus - und der Horizont wird sogleich weiter und tiefer. Und was die Eschatologie angeht: Ich erlebe, dass meine Verbindung mit Gott real ist, dass ich wirklich über das Gebet immer wieder in eine Freude finde, die nicht von mir kommt. Ich erlebe, dass dieses Vertrauen in seine Gegenwart, das mir aus dem Gebet zuwächst, ein Anfang eines Nach-Hause-Kommens ist. In gewisser Weise spüre ich: Bei Ihm bin ich schon daheim - und auf diese Heimat gehe ich zugleich zu.

Teresa von Avila beschreibt Beten als Verweilen bei einem Freund. Welche Rolle spielt die Kontemplation für das Beten?

Kontemplation kann man nicht machen, es geschieht. Es ist ein liebendes Verweilen, mit dem inneren Blick auf den oder das, was man liebt. Es ist ein einfaches Da-sein, bei dem sich auch die Zeiterfahrung verändert. Es ist unspektakulär aber nachhaltig, weil es wie ein Ausruhen der sonst oft rastlosen Seele ist. Papst Franziskus hat einmal genau dieses, das Ausruhen-können beim Herrn als eine Schlüsselkompetenz für Priester bezeichnet.

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Es gab in der katholischen Kirche immer ein gesundes Misstrauen gegenüber fernöstlichen Meditationstechniken. Die Glaubenskongregation veröffentlichte 1989 ein Schreiben an die Bischöfe über einige Aspekte der christlichen Meditation, das als Warnruf im Hinblick auf den Esoterikmarkt gelesen werden kann. Was unterscheidet christliche Beter von frommen Zen-Anhängern?

Wir Christen dürfen nie vergessen, dass wir ein personales Gegenüber haben. Gott, den Vater; Jesus, den Bruder und Herrn. Wir beten dann auch "im" Heiligen Geist, wie wir sagen, aber selbst ihn können wir noch einmal anrufen als Person, als Du. Die fernöstliche Meditation ist nach meiner bescheidenen Kenntnis stärker methodisch orientiert und zielt dabei oft auf Gegenstandslosigkeit, auf Überwindung bloß gegenständlichen Denkens. Das ist insofern nicht völlig verkehrt, weil ja die Begegnung mit einer Person auch alles hinter sich lassen muss, was dieses Gegenüber gegenständlich festhalten oder dingfest machen will. Unser Gegenüber ist ja eine göttliche Freiheit, die sich zeigt, sich begegnen und berühren lässt, wann und wie sie will. Wir können ein solches Begegnen mit diesem ganz Anderen, der uns gleichzeitig innerlich so nahe ist, deshalb nie einfach nur methodisch so einüben, dass es uns irgendwann wie von selbst in einen Bereich der gegenstandslosen Meditation führt. Das scheint mir dann auch der Unterschied zu sein (wenn auch vermutlich sehr verkürzt): Am Ende bleibt der Meditierende in östlicher Methode doch eher in sich selbst - und sucht die Befreiung aus der gegenständlichen Welt durch eigene, zielführende Übung. Für uns Christen dagegen ist Christus nicht einfach nur ein Du, das ich aus mir selbst heraus betend berühren will. Sondern er ist viel mehr noch der Erlöser, der mich durch seinen Geist überhaupt erst zum Beten befähigt und der mich aus seiner Kraft und nicht aus meiner eigenen aus meiner Gefangenschaft in mir selbst herauslieben will.

Haben Sie im Lauf des Lebens einen persönlichen Lehrmeister des Betens für sich entdeckt?

Wie in anderen Dingen auch verdanke ich in Sachen Gebet sehr viel meinem geistlichen Lehrer, Freund und Vater Ferdinand Ulrich. Insbesondere die Erkenntnis, dass wir in der Kirche beten   und damit gewissermaßen "im" Fiat Mariens beten. Ihr Ja zu Gott trägt im Grunde unser Gebet. Und unser Gebet kann und soll in der Tiefe ja vor allem dieses werden: ein echtes, vorbehaltloses Ja, ein "Fiat" zum Willen Gottes in uns.

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12.01.2024, 07 Uhr
Stephan Baier

Kirche