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Carsten Frerk: Die deutsche Kirche ist schlicht verfettet

Kirchliches Leben kann es auch ohne Kirchensteuer geben, meint der Publizist und Experte für Kirchenfinanzen, Carsten Frerk.
Debatte um Kirchenaustritte und Kirchensteuer
Foto: (30734022) | "Ich verstehe dieses Endzeitgemurmel nicht, wenn es keine Kirchensteuer mehr gibt, dann gäbe es keine Kirche mehr", meint Carsten Frerk.

Herr Frerk, die katholische Kirche geht davon aus, dass sich ihre Einnahmen aus der Kirchensteuer bis 2060 halbieren werden. Teilen Sie diese Einschätzung? 

Kirchensteuer und Kirchengeld machen gerade 43 Prozent der gesamten Einnahmen aus. Wenn man das richtig rechnet, dann geht es nicht um die Halbierung der Kirchensteuereinnahmen, sondern um einen Einnahmeausfall von rund 20 Prozent. Die Relativierung zeigt, dass die Kirchensteuer zwar die wichtigste Einnahmequelle ist, aber sie ist bei weitem nicht die einzige.

Bleiben wir mal bei der Kirchensteuer. In der öffentlichen Diskussion liegt hier der Fokus. Die Einnahmen zeigen ein Paradoxon, indem sie steigen, obwohl die Austritte ebenfalls steigen.

Ja, das ist plausibel. 

Inwiefern? 

Die Kirchenaustritte finden schwergewichtig, nicht insgesamt, aber schwergewichtig in der Altersgruppe der 25- bis 32-Jährigen statt. Das heißt, das ist die Altersgruppe, die eigentlich zum ersten Mal Kirchensteuer bezahlt. Die befinden sich in einer Phase der Familiengründung, es wird ein Haus gebaut oder eine Wohnung wird gekauft, es kommen Kinder und dann werden die Finanzen knapper. Man überlegt sich, wo können wir einsparen?
Dann sagen die Kirchenfernen, die sich von der Kirche entfremdet haben, wozu zahlen wir Kirchensteuer? Deshalb hat man dann den Gipfelpunkt bei den 20- bis 30-Jährigen. Die haben im Grunde zum Steueraufkommen bisher auch nur wenig beigetragen. Daher ist das für mich plausibel.

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Wie sieht es bei den Älteren aus?

Die Älteren tragen im Grunde auch nichts bei. Gerade habe ich für München eine Statistik bekommen, dass die Kirchenaustritte sich in diesem Jahr über alle Altersgruppen verteilt erhöht haben.

"Das heißt, wir haben eine ganze Tüte von Problemen,
die auch die gerade engagierten Mitglieder
in der katholischen Kirche sehr stark betreffen"

Welche Gründe sehen Sie dort? 

Es ist nicht mehr das Spezifikum, dass die Jungen die Kirchensteuer sparen, sondern das gibt es insgesamt. Die katholische Kirche hat ja nun einige Baustellen: Die schon seit etwa zehn Jahren währende Debatte um Missbrauchsfälle. Es kommt jetzt der Synodale Weg und die Kritik aus Rom dazu. Es kommt Maria 2.0, es kommen die queeren Mitarbeiter. Das heißt, wir haben eine ganze Tüte von Problemen, die auch die gerade engagierten Mitglieder in der katholischen Kirche sehr stark betreffen.

Und die Ursache der trotzdem steigenden Einnahmen? 

Wir haben die Situation, dass die katholische Kirche gegenüber der EKD einen großartigen strukturellen Vorteil hat, nämlich den jüngeren Altersaufbau. Wenn man genau hinsieht, dann haben wir in den Jahren 1963/64 den Beginn eines Geburtenzyklus und gleichzeitig den Rückgang durch den Pillenknick. Von den 400.000 in religiös homogenen Ehen geborenen Kindern, die jeweils evangelisch oder katholisch getauft werden, rauscht das in zehn Jahren bis 1975 runter auf 200.000 Kinder in katholisch homogenen Ehen, die dann auch getauft und Kirchenmitglieder werden. Bei den Evangelischen sind es nur noch 150.000 neue Mitglieder. Das heißt, in den Jahren nach 1975 werden im katholischen Milieu pro Jahr 50.000 Kinder mehr geboren, die auch getauft und Kirchenmitglieder werden. 

Damit werden die Austritte weniger wirksam? 

Das heißt, die katholische Kirche ist von den Austritten, auch wenn diese durch alle Altersgruppen gehen, finanziell weniger irritiert als die evangelische. Denn die katholische Kirche hat auch bisher ja rund 400 bis 500 Millionen pro Jahr mehr an Kirchensteuer eingenommen als die evangelischen Landeskirchen. 

Das ist ein Trend, der sich noch stabilisiert hat?

Ja, darum sind die Kirchensteuereinnahmen der katholischen Kirche so unempfindlich gegenüber Austritten. Sie sind oftmals unempfindlicher, als man spontan so annehmen kann. Jetzt kommt die große Finanzkeule und dann schlagen die Gläubigen zu? Das ist eben nicht so! Weil die gut verdienenden jüngeren Katholiken zwischen 35 und 45 fest eingebunden sind in soziale Netze, Gemeinde- und sonstige Strukturen, die werden nicht so schnell austreten. Es sind die Katholiken an den Rändern, die austreten.

Wie beurteilen Sie denn die kommende Verrentung der Babyboomer? 

Da kann ich spontan gar nicht viel zu sagen. Das Entscheidende für das Kirchensteueraufkommen sind vor allem die sogenannten Mittelständler, dazu viele Akademiker, die hohe Gehälter bekommen, und tatsächlich die Wohlhabenden. Das ist das stabile Fundament für die Kirchensteuer. Die werden nicht aus der Kirche austreten. Wie stark der Anteil der in Rente gehenden Babyboomer ist? Ich habe mir schon mal die Alterspyramide angeschaut. Ich denke, dass hierbei, wenn man alle Effekte insgesamt hochrechnet, die Verrentungen eigentlich gar nicht so gravierend sein werden.

Man redet oft davon, dass die Aufregung um Kardinal Woelki eine große Rolle spielt. Gibt es einen Woelki-Effekt? 

In Köln hat es wahrscheinlich einen gewissen Woelki-Effekt gegeben, aber wenn in Köln selber 30.000 mehr austreten, ist das für die Gesamtkirche gerade eine Marginalie, die kaum zu erkennen ist.

Wir kommen langsam in eine Phase, in der in Deutschland weniger Christen als Nichtchristen leben.  

Das stimmt nicht! Es leben in Deutschland weniger Kirchenmitglieder, aber Sie müssen noch die Freikirchler und Orthodoxen hinzurechnen. Es gibt noch sechs Prozent weitere Christen, die aus welchem Grund auch immer übersehen werden. 

Ja, stimmt. Nehmen wir also den Kipppunkt etwas später an. Ist langfristig so etwas wie eine Kirchensteuer in der jetzigen Form noch kommunizierbar?

Da bin ich völlig überfragt, denn die Statistiken der Religionszugehörigkeiten in den Bundesländern zeigen ein sehr unterschiedliches Bild. Da ist ziemlich gut zu sehen, dass die Verhältnisse national zwar wie beschrieben sind, aber in den Bundesländern ist die Situation doch noch deutlich anders. In NRW, Baden-Württemberg, Bayern und Saarland werden wir erst in zehn oder zwölf Jahren die Mehrheit der Kirchenmitglieder verloren haben. Das ist ein Prozess, der sich noch über viele Jahre hinzieht. Also man darf die nationale Statistik nicht zu hoch bewerten. Das muss man einfach differenzierter betrachten. Zudem sind die Steuergesetze Gesetze der Bundesländer und nicht Gesetze des Bundes.

"Dyba hat gesagt, die Kirche überlebt
auch ohne Kirchensteuer. Dass dieser Mann
immer als Clown durch die Talkshows
gereicht wurde, fand ich völlig schräg"

Also können sich die Kirchen derzeit noch der Kirchensteuer sicher sein?

Die Kirchensteuer und das staatliche Inkasso befinden sich zwar in der Diskussion, aber noch nicht in der politischen Entscheidungsphase. Ob es dazu kommt oder wann es dazu kommt, das kann derzeit niemand sagen.
In zehn Jahren, vielleicht in 15 Jahren frühestens. Erzbischof Johannes Dyba, den ich immer sehr geschätzt habe, hat nicht nur hier eine sehr klare Position vertreten. Das ist übrigens auch die vatikanische Position. Dyba hat gesagt, die Kirche überlebt auch ohne Kirchensteuer. Dass dieser Mann immer als Clown durch die Talkshows gereicht wurde, fand ich völlig schräg. 

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Sehen Sie Alternativen zum deutschen System?

Vergleichen Sie mal die Katholische Kirche in Frankreich mit Deutschland. Da hat es auf Arte einen Bericht mit mir gegeben über Deutschland und Frankreich. Ein normaler Priester bekommt 400 Euro im Monat und ein Bischof bekommt 900 Euro plus Dienstwohnung. Eine junge deutsche Journalistin hat den Erzbischof von Lyon interviewt und fragte ihn, ob er manchmal neidisch auf seine deutschen Mitbrüder sei, wenn er sehe, was die an Spenden bekommen und was schon das kleinste Bistum in Deutschland an Kirchensteuer einnimmt. Der hat sich ganz gerade aufgerichtet und gesagt: Ich denke, wir sind der Botschaft unseres Herrn näher als unsere deutschen Mitbrüder.

"Ich verstehe dieses Endzeitgemurmel nicht,
wenn es keine Kirchensteuer mehr gibt,
dann gäbe es keine Kirche mehr"

Also muss mit dem Wegfall der Kirchensteuer das katholische Leben nicht beendet sein?

Die deutsche Kirche, da muss ich Prälat Jüsten zustimmen, ist schlicht verfettet. Ich verstehe dieses Endzeitgemurmel nicht, wenn es keine Kirchensteuer mehr gibt, dann gäbe es keine Kirche mehr. 

Haben Sie eine These, woran es liegt, dass die deutschen Bischöfe so auf die Kirchensteuer starren? 

Das ist eine berechenbare und planbare Einnahme. Damit machen die Bischöfe sich völlig unabhängig von der Spendenbereitschaft der Gläubigen. Das ist eine bequeme Basis. Es ist ein Teil der Verfettung, dass diese Einnahmen über das staatliche Inkasso fließen, ohne dass die Kirchen dafür allzu viel tun müssen. Wenn sie den Vergleich mit Österreich machen, wo es eine gewisse Parallele zur Kirchensteuer gibt, auch wenn es dort anders heißt, dort muss die Kirche den Beitrag selber eintreiben.

In Deutschland wird dem Staat das Inkasso vergütet. Wie unterscheiden sich die Kosten?

Das kostet die Kirchen in Österreich rund 20 Prozent der Einnahmen. Der Beitrag würde sich auf Deutschland übertragen auf rund 2 Milliarden belaufen. Dagegen kostet das staatliche Inkasso in Deutschland die Kirchen gerade einmal 300 Millionen, die die Kirchen dafür an die Finanzämter überweisen. Dazu sind die Einnahmen in Deutschland, wenn man sie in Relation setzt, dreimal so hoch wie in Österreich. Warum sollte man was ändern? Das ist perfekt und sehr komfortabel für die Bischöfe!

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