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Franz Hürth: Zuarbeiter der Päpste

Auch Päpste brauchen Zuarbeiter. Über den deutschen Ordensmann Franz Hürth, der den Päpsten zur Hand ging.  Rezension eine Arbeit über Hürth.
Papst Pius XII. hatte eine besondere Vorliebe für deutsche Jesuiten
Foto: epa ansa Ettore Ferrari (ANSA) | Pius XII. hatte eine besondere Vorliebe für deutsche Jesuiten.

Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf scheint sich als Erfinder einer neuen Kirchengeschichte zu verstehen. Mit seinen Thesen will er gewohnte Sichtweisen zugunsten der Erkenntnis aufbrechen, dass alles in der Kirche veränderlich, aber auch veränderbar ist. Sein Schüler und Assistent Matthias Daufratshofer folgt ihm mit einer voluminösen Dissertation, die typische Merkmale der Wolf-Schule aufweist und sich mit dem Aachener Jesuiten Franz Hürth beschäftigt.

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Theaterdonner

Der dramatische Titel insinuiert, dass die Bewertung von Hürths Arbeit als Redenschreiber zweier Päpste nichts weniger nahelege, als dass nun das Gericht über das Pontifikat von Pius XI. und Pius XII. angebrochen sei. Merke: Theaterdonner, das Aufziehen großer Kulissen und die apodiktisch ergehende Verkündigung, wie man die Dinge von nun an zu sehen habe, gehört zu den Tricks dieses Gewerbes. Zugleich ist Daufratshofer, wie seinem Herrn und Meister, immenser Forscherfleiß in bester deutscher Tradition zu attestieren. Die Nutzung der neuerdings vermehrt zur Verfügung stehenden vatikanischen Archivalien ist legitim und wünschenswert.

Freilich ist nicht alles, was hier unter Paukenwirbel aufgedeckt wird, neu: Dass Jesuiten, zumindest früher, treue Vor- und Zuarbeiter der Päpste waren, ist bekannt, dass Pius XII. eine besondere Vorliebe für deutsche Jesuiten hatte, ebenso, auch die Person des Moraltheologen Franz Hürth gerät nicht zum ersten Mal ins Scheinwerferlicht. Hier soll der streng orthodox denkende Pater nun für die „aktuelle Reformdiskussion der katholischen Kirche“ in Anspruch genommen werden, die vor allem ein Selbstgespräch der siechen deutschen Kirche ist.

Ein wichtiges Gutachten

Drei Anläufe nimmt Daufratshofer, um die Thesen zu stützen, die sein Doktorvater schon im Vorwort nennt und feiert. Nach 57 Seiten endet der einleitende Teil und es wird konkret: untersucht wird zunächst die Verfasserschaft der Enzyklika „Casti conubii“ von 1930 zur kirchlichen Ehelehre. Deren damaliger Stand wird vom Verfasser in düsteren Farben gemalt, weil sie in der Praxis zu einem entwürdigenden Nacheinander von Verfehlungen und Beichten der Eheleute geführt habe: „Mit Schamesröte vertrauten sie dem Priester Intimitäten höchsten Grades an und hofften auf die befreiende Absolution. (...) Wie viele der Poenitenten wirkliche Reue empfanden, darüber kann nur spekuliert werden“.

Das tut der Autor auch, wenn er von Priestern spricht, die die Predigt als Drohkulisse missbraucht haben könnten, um „Frauen öffentlich zu denunzieren, die nicht nach der Ehe- und Sexuallehre der Kirche lebten“. Aus Quellen belegt ist immerhin die wesentliche Autorschaft des Lehrschreibens. Franz Hürth war dem Vatikan bereits mit einem Gutachten zur Pflichtmensur deutscher studentischer Verbindungen positiv aufgefallen, das er 1925 für den damaligen Münchener Nuntius Pacelli rasch und sicher mit ablehnender Bewertung erstellt hatte. Das Gutachten war anonym und erlaubte es dem Nuntius, es sich zu eigen zu machen und damit als großer Kenner der deutschen Verhältnisse in Rom aufzutreten, ein auch heute noch in vatikanischen Kreisen gerne gesehene Demutsübung.

Hauptautor der Enzyklika

Auch Pacellis Sekretär, der deutsche Jesuit Robert Leiber, war dankbar, in seinem Mitbruder einen vielseitigen, auch kanonistisch beschlagenen Vertrauten gefunden zu haben, auf den er zurückkommen würde. Man liest mit großem Interesse, wie Daufratshofer akribisch den mühsamen Beweis-Weg nachzeichnet, der ihn zu dem Schluss brachte, dass Hürth der Hauptautor der Enzyklika ist. Nicht ein im strengen Sinne vatikanischer, sondern jesuitischer Aktenfund – im Archiv der Gregoriana nämlich, an der Hürth 30 Jahre lang das Fach Moraltheologie vertrat – wies die Spur. Sieben Textstufen der Enzyklika werden nachgewiesen, der Anteil Pius‘ XI. beschränkte sich auf wenige, markante Vorgaben. Daufratshofer nennt es einen „dogmatischen Graubereich“, dass ein Text Ausfluss des ordentlichen Lehramtes sein kann, aber durch den, der es in Auftrag gab, nur punktuell beeinflusst wurde.

Es wäre in der Tat eine theologische Reflexion wert, ob der Einsatz eines Redenschreibers unter „Assistenz des Heiligen Geistes“ fällt, denn von „Inspiration“ wird man nicht reden können.  Anzufügen ist, dass der Autor am Ende die kirchliche Ehelehre situationselastisch über die Klippe springen lässt: „Hehre Gebote auf der einen, das Leben mit all seinen Facetten auf der anderen Seite“. Das nächste päpstliche Dokument, mit dem Hürth in Verbindung gebracht wird, ist die Konstitution „Sacramentum ordinis“, 1947 erlassen von Pius XII. Dem Papst und seinem Helfer will Daufratshofer nichts weniger als eine „neue Lehre“ zum Weihesakrament nachweisen. Die Kirche, heißt es, habe zwar keine Macht, die Substanz der Sakramente zu ändern, wohl aber die Materie.

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Änderbare Lehre

Der Autor: „Die Kontinuität der richtigen, auf Jesus Christus zurückgehenden Materie des Weihesakramentes – der Handauflegung – ist bei den Orthodoxen gewahrt worden, während sie in der Tradition der römischen Kirche durch die Ersetzung des biblischen Zeichens durch die Übergabe der Instrumente unterbrochen worden ist. Also nicht die Päpste und ihre Konzilien haben den Herrn auf ihrer Seite, sondern die Griechen.“ Tatsächlich gehörte auch im Westen die Handauflegung immer dazu. Pius XII. legte nun fest, dass die Materie des Sakramentes eben in der Handauflegung und nicht in der Übergabe von Kelch (mit Wein) und Patene (mit Hostie), die vom zu Weihenden dabei zu berühren waren, bestehe. Daufratshuber sieht dies als Revolution und legt nahe, dass dann auch der Frauenweihe nichts im Weg steht.

„Die Lehre der Kirche ist (...) jederzeit änderbar, wenn dies notwendig erscheint“, behauptet der Autor und ruft den Münsteraner Dogmatiker Seewald als Zeugen auf. Tatsächlich hat Pius XII. an der Substanz des Sakramentes nichts geändert. Wenn ein künftiger Papst erklärt, dass zu dessen Substanz das männliche Geschlecht des zu Weihenden gehört, wird es wohl dennoch weitere Torpedos aus Deutschland geben. In Münster weiß man jedenfalls, dass die „fast zum Dogma erhobene Kontinuitätsfiktion des katholischen Lehramtes endgültig vom Tisch“ ist. Pius XII. und seinem wahrscheinlichen Mitautor Hürth ging es nur darum, der Unsicherheit von Weihekandidaten, die sich post festum nicht mehr sicher waren, ob sie wirklich Kelch und Patene berührt hatten, abzuhelfen.

Politische Geschichtsschreibung

Die Handauflegung hatte ja immer dazugehört, nur deren Deutung wurde forciert, die Überreichung der Geräte aber nicht abgeschafft.  Die Dogmatisierungs-Bulle „Munificentissimus Deus“ zur leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel 1950 ist der letzte Prüffall des Buches. Nicht nur Hürth, auch Augustin Bea SJ, der Beichtvater Pius‘ XII., war beteiligt an der Entstehung, die der Autor gut nachzeichnet. Für Hürth war es kein Problem, aus der lebendigen Tradition und der vom Papst gewünschten Befragung des Weltepiskopats ein Argument für die Dogmatisierung zu schaffen, denn der Schriftbeweis fiel aus. Freilich findet das keine Gnade vor den Augen des Autors: „Zugespitzt könnte man von der ,Erfindung‘ des selbstreferentiellen Lehramtes sprechen, das nur noch sich selber brauchte“.

Zugespitzt ist aber vor allem dieses Buch, dem Anliegen einer „politischen Geschichtsschreibung“ folgend. Das ist bedauerlich, denn viel solide Arbeit steckt darin. Eine abschließende Synthese des Materials fällt aus. Es scheint fast, dass der Autor überwältigt ist von dem, was er gefunden hat. Der auf massentaugliche Aufnahme frisierte Sprachstil der Wolf-Schule, wo Aktenfunde als „Sahnestück“ präsentiert werden und der Gag von Hürth als „Holy Ghostwriter“ einen durchs ganze Buch verfolgt, ist unakademisch und soll es auch sein. Bedauerlicher ist, dass das Bewerten vom Verfasser in einseitiger Weise gleich mit übernommen wird. Dem Leser bleibt nicht mehr viel zu tun. Die nüchterne und notwendige Analyse der Beratung von Päpsten durch Mitarbeiter vom Schlage eines Franz Hürth steht weiter aus.


Matthias Daufratshofer:
Das päpstliche Lehramt auf dem Prüfstand der Geschichte.
Franz Hürth SJ als „Holy Ghostwriter“ von Pius XI. und Pius XII.
Verlag Herder, Freiburg/Brsg., 2021, 677 Seiten,
ISBN 978-3-451-38988-7, EUR 45, –

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