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Amt und Charisma

„Das Charisma der Christusliebe steht nicht unverbunden neben der hierarchischen Amtsbestellung“: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, kündigt eine „offene Diskussion“ über den Zölibat an. Ein römischer Kurienkardinal antwortet ihm. Von Paul Josef Kardinal Cordes
Deutsche Bischöfe im Heiligen Land
Foto: dpa | „Die Beteuerung des Vorsitzenden, der Zölibat solle nicht abgeschafft werden, kann lediglich eine Schutzbehauptung sein.

Im Matthäus-Evangelium stiftet der Herr selbst die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“. Er weckt mit seinen Worten bei den Jüngern fassungslose Verwirrung. War im auserwählten Volk nicht der Ehestand der Stand der Verheißung? Und der Herr kam doch, „Gesetz und Propheten“ zu erfüllen, nicht um sie aufzuheben! Er wollte seine Kirche bauen auf Männer, die in der messianischen Tradition leben. Seine Aussage hinterlässt lähmende Perplexität. Jesu Nachsatz spricht Bände; sein Kommentar lässt klar erkennen, dass dieser Rat dem gesunden Menschenverstand nicht einleuchtet: „Wer es erfassen kann, der erfasse es“ (Mt 19,3–12).

Der Rang der Ehelosigkeit für den gläubig Suchenden

Andererseits muss jedoch dem gläubig Suchenden der Rang der Ehelosigkeit nicht verschlossen bleiben. Da ist zunächst die Gestalt Jesu selbst. Er bleibt nicht nur unverheiratet. In seiner Fleischwerdung durch den Heiligen Geist verliert alles Weltlich-Irdische seine Überlegenheit. Der große protestantische Theologe Karl Barth hat es einen Skandal für den modernen Geist genannt, dass Jesus nicht durch väterliche Zeugung einen Leib annahm. Denn wenn der intellektuelle Zeitgenosse überhaupt auf Gott setze, so ordne er Gott den Ideen und Gedanken zu; Gottes Welt sei für ihn auf das Geistige beschränkt. Dass er sich in fleischliche Vollzüge einmische, sei dem modernen Menschen ein Ärgernis. Doch genau das lehrt uns die Menschwerdung Jesu Christi: Der Leib und alles Diesseits-Körperliche steht nicht in sich. Gottes schöpferische Macht betrifft nicht nur Jenseitiges, sondern erstreckt sich auch auf den Leib. Und die Jungfräulichkeit Mariens ist dafür das sprechendste Zeichen.

Das Gesetz: Doch kann man ein Charisma per Gesetz einem kirchlichen Dienst aufbürden? In unserer Zeit waren es die Konzilsväter des Vaticanum II, die die Ehelosigkeit um des Himmelreiches als „dem Priestertum in vielfacher Hinsicht angemessen“ nannten, „auch wenn sie nicht vom Wesen des Priestertums selbst gefordert“ sei (Priesterdekret Nr. 16). Die Formulierung war das Ergebnis einer langen, oft heftigen Diskussion. Heute erscheint sie lauter denn je. Darum möchten hier zwei knappe Argumente solche „Angemessenheit“ verständlich machen.

Im evangelischen Rat der geschlechtlichen Enthaltsamkeit trifft den Weihe-Kandidaten zunächst eine gesetzliche Verpflichtung. Doch lässt sich aus einer solchen nur sehr bedingt leben. Selbst wenn sie auf ein Wort Jesu gestützt ist, trägt sie in ihrer Sachlichkeit kaum. Größeren Halt gewinnt das Wort, wenn jemand zu der Person vorstößt, die da spricht. Schärfer zugespitzt: Hat der Autor der Heilsgeschichte uns nur eine Spruchsammlung hinterlassen und ist dann aber abgetreten? Zählt allein die Botschaft, nicht aber der Sprecher? Oder schlägt für die ganze kirchliche Sendung zu Buche, dass Gott nicht nur ihr Initiator war, sondern auch ihr realer Garant bleibt? Ist Jesus jetzt und heute für uns Christen „der Weg“?

Die Fragen sind berechtigt. Unser kirchliches Tun muss ja keineswegs notwendig um einen persönlichen Gott und seine Faszination kreisen. Kirche macht auch als irdischer Interessenverband Sinn – wie eine Partei, eine Wirtschaftslobby, eine Werbeagentur. Die öffentliche Meinung schätzt ihre „Werte“, insofern diese das Zusammenleben vermenschlichen. Genau dies Ziel muss sie denn auch immer zu ihrer Selbstrechtfertigung mit Gründen neu beweisen, die der Welt verständlich sind: Sie vertritt Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Der Repräsentant des Systems, der Amtsträger, ist gedrängt, auf innerweltliche Wirkung zu setzen. Verzicht auf die Ehe um Jesu willen ist aber absurd, sobald Jesu Bild verblasst– nicht nur in den Gemeinden, sondern noch einschneidender für Priester.

Oft genug verfehlen freilich Katechese und Predigt des Priesters den innerweltlichen Nutzen, widersprechen sie ihm sogar – glücklicherweise: Feindesliebe statt Selbstbehauptung, Verzeihung statt Rache, Gebet statt Aktivität, Verzicht statt Sofort-Befriedigung, Kreuz statt Wohlgefühl, Gottes Wille statt Selbstbestimmung. Solche Paradoxie muss der Gesellschaft wahrlich als demonstrative Unvernunft vorkommen. Und einige Zuhörer fragen sich: Folgt der Prediger selbst dieser Illusion? Verschmäht er, was das Leben erfolgreich macht? Ist er ein Utopist?

Charisma und hierarchische Amtsbestellung

Personalisierung: Die Vision des Boten kann allerdings glaubwürdiger werden, wenn er sich nicht begnügt mit dem „Spatz in der Hand“, sondern die „Taube auf dem Dach“ vorzieht. Wenn er bekundet: Nach dem Hier und Heute kommt ein Morgen. Gott hat uns für dieses Morgen in Christus ewige Seligkeit zugesagt. Und sie kann schon gegenwärtig das Jetzt bestimmen. Dafür steht dann der Zölibat. Er kann wie nahezu keine andere diesseitige Verstörung bezeugen: Dieser Priester setzt auf eine noch ausstehende Erfüllung; er ist bereit zu warten, damit seine tiefste Sehnsucht später gestillt wird. Jesu Wort garantiert sie: „Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir“ (Apg 3,20). Der Erlöser schenkt innige personale Zweisamkeit, unbegrenzte Erfüllung, ewiges Glück in der Geborgenheit des liebenden Du. Diese Verheißung trägt den Zölibatären. Sie ermöglicht ihm zu warten. Und sein eigener Verzicht gibt auch seinen Mitchristen Hoffnung auf das Kommende: der Ehelose wird ihnen zum Bürgen. Jemand mag fragen: Verkennt solch prononcierte spirituelle Intimität mit dem Herrn nicht, dass der Priester nicht ein Charisma wählt, sondern in ein Dienst-Amt tritt? Jungfräulichkeit ist eine freie Gabe des Geistes; das Amt gliedert funktional ein in das kanonische Recht.

Aber das Charisma der Christusliebe steht nicht unverbunden neben der hierarchischen Amtsbestellung. Im Neuen Testament lassen sich die Apostel Petrus und Johannes leicht als Prototypen von Amt und Charisma erkennen. Sie bilden in der jungen Kirche zunächst eine unzertrennliche Einheit. Zusammen gehen sie in den Tempel zum Gebet (Apg 3,1), zusammen heilen sie den Gelähmten an der „Schönen Pforte“ (3,3ff.), beide reden mit Freimut vor dem Hohen Rat (4,13.19), beide werden nach Samaria geschickt (8,14). Dabei ist die personale Nähe des Johannes zum Herrn offenbar größer als die des Petrus. Petrus schiebt ihn nämlich vor – „er solle fragen“ (Joh 13,24) – als es etwa im Abendmahlssaal um die bestürzende Kenntnis des Verräters geht. Am Ostermorgen eilen Petrus und Johannes zum Grab. Die Liebe, die unbeschwerter ist als das Amt, ist als erster am Ziel. Nochmals – beim wunderbaren Fischfang am See von Tiberias – ist die Liebe schneller. Johannes, „der Jünger, den Jesus liebte“, sagt zu Petrus: „Es ist der Herr“ (Joh 21,7). Wieder erkennt das Amt den Herrn dank der liebenden Intuition des Charismas. Dann aber stellt der johanneische Christus in der österlichen Szene dem Amtsträger Petrus die umstürzende Frage: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese“ (Joh 21,15)? Das Unbegreifliche an Jesu Prüfung ist nicht die Frage nach der Liebe; in ihr hat das Amt seine unentbehrliche Voraussetzung. Vielmehr verstört es, dass der Herr von Petrus ein „Mehr-als-diese“ erwartet. Mehr als der Lieblingsjünger Johannes soll Petrus den Herrn lieben, um seiner Berufung ins Amt zu entsprechen. Petrus kann nicht länger auf Johannes zählen, wenn etwas vom Herrn oder über den Herrn zu erfahren ist. Genauso wenig darf er die große Last des Dienstes vorschützen, um die Last der Liebe dem Johannes zu überlassen. Neben dem Amt muss er auch noch die Liebe verkörpern. Wahrlich: Ein theologisch-spirituelles Fanal für das uneingeschränkte Zölibatsgesetz!

Eine bekümmerte Schlussbemerkung: Zurück zum Anlass meiner Überlegungen. Kardinal Marx hat eine „offene Diskussion“ über den Zölibat angeregt. In ihr soll herausgefunden werden – nein: nicht, welche Kostbarkeit er trotz aller Ablehnung birgt, sondern ob er überhaupt zum Zeugnis des Priesters gehören muss; ob nicht Änderungen in der Lebensform der Geweihten fällig sind. Der Vorsitzende nahm für seinen Vorschlag die Missbrauchskrise zum Anlass. So erweckt er den Eindruck, zwischen Pädophilie und dem Zölibat gäbe es einen Kausalnexus. Das jedoch ist pure Spekulation. Die beachtenswerte Kritik des „MHG-Forschungsprojekts“ durch Dr. Manfred Lütz (September 2018), die den Bischöfen vorliegt, hat herausgestellt: jede pädophile Konditionierung durch den Zölibat bleibt aufgrund des Zahlenmaterials unbewiesen. Sucht der Kardinal demnach in dem fatalen Kirchenskandal einen Anlass für die Herabstufung des Zölibats? Er wäre ungeeignet. Bezeichnend ist ferner die Ankündigung, mit wem in dieser Problematik zusammengearbeitet werden soll. Es sind nicht die geistlichen Neuaufbrüche der Kirche, obwohl sie eine Vielzahl zölibatär lebender Priester geschenkt haben und schenken. Nein, der Kardinal wählt das ZdK, dessen Präsident Thomas Sternberg bekanntlich schon seit langer Zeit fordert, der müsse, „gelockert werden“. Die Beteuerung des Vorsitzenden, der Zölibat solle nicht abgeschafft werden, kann lediglich eine Schutzbehauptung sein. Denn wird das ganze Manöver nicht initiiert, um ihn zu unterlaufen?

Die deutschen Diözesen haben mit viel Aplomb Transparenz und Aufrichtigkeit ausgerufen. Es bekümmert, wie ihre Protagonisten sich sophistischer Winkelzüge bedienen, um mit negativer Hermeneutik eine „offene Diskussion“ zu lancieren. Jesu Forderung lautet: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere ist vom Bösen“ (Mt 5,37). Ein frühchristliches Dokument interpretiert: „Man darf nicht eine Sache mit dem Mund und eine andere mit dem Herzen sagen.“ Dem Evangelium entspräche Gradlinigkeit.

Der Autor ist deutscher Kurienkardinal. Er war Präsident des Päpstlichen Rates „Cor Unum“.

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