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Vom neuen Menschen

Die Bedeutung der Adam–Eva-Typologie für die Geschlechterdifferenz.
Anthropisches Prinzip
Foto: Imago Images | Anthropisches Prinzip/ Ecce homo. M. Triegel 1997.

Niemand wird leugnen, dass es so etwas wie einen modernen „Machbarkeitswahn“ gibt (vgl. Chr. Türcke, Natur und Gender. Kritik eines Machbarkeitswahns, 2021). Wir wollen die Welt vielfach nicht wahrnehmen, wie sie ist, sondern sie konstruieren. Viele wollen nicht mehr Naturwesen sein, die wir ja alle sind, sondern „bloß noch als Erschaffer und Definierer unserer selbst“ (ebd.) in Erscheinung treten. Daraus folgt auch die Geschlechtsbestimmung als eine Selbstsetzung des Ich. Das sich selbst setzende Ich bei Johann Gottlieb Fichte ist von der Struktur her damit vergleichbar, wo ein Ich angeblich über allem Physischen schwebt, sich selbst definiert und hervorbringt.

Dieses Ich ist oft verbunden mit metaphysischen Implikationen, so in der Redeweise: „Ich bin im falschen Körper.“ Das Seelenwanderungsdenken kehrt wieder. Wem die Zuweisung der Wohnung bei der Geburt nicht gefällt, muss die Wohnung umbauen – so die Philosophie des Konstruktivismus. In den USA halten sich bereits etwa 150 000 Dreizehn- bis Siebzehnjährige für „transgender“ – ein sprunghafter Anstieg von Umwandlungswilligen. Außer acht gelassen wird dabei, dass damit vielfach Menschen unglücklich gemacht werden können.

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz weist auf zunehmende Utopien des totalen Selbstentwurfs hin. Man ist nicht nur seines Glückes Schmied, sondern auch seines Körpers Schneider. Dekonstruktion ist das neue Fanal. Platon entwarf einen Kugelmenschen, der sich selbst genügte. Als die Kugel zur Strafe von Zeus getrennt wurde, zerfiel sie in die Geschlechter. Doch genau dies wird in der Genesis als Glück gezeichnet: Zwei sind das Doppelbild des Unsichtbaren. Was die Genesis erzählt, ist sinnkonstitutiv. Die gendertheoretisch ausgesparte Frage nach dem schöpferisch-göttlichen Sinn von Mann und Frau beantwortet sich so: Sie sind zu ihrem eigenen Glück verschieden – leibhaft, seelisch, geistig.

„Was die Genesis erzählt, ist sinnkonstitutiv.
Die gendertheoretisch ausgesparte Frage nach dem schöpferisch-
göttlichen Sinn von Mann und Frau beantwortet sich so:
Sie sind zu ihrem eigenen Glück verschieden – leibhaft, seelisch, geistig“


Diese Vision zeigt gerade eine göttliche Spannung zum fremden Geschlecht auf, die Lebendigkeit des Andersseins und die Notwendigkeit wunderbarer Asymmetrie. Schöpferisches Anderssein im gemeinsam göttlichen Ursprung: Daran verblassen alle Einebnungen und Dekonstruktionen. So kommt in der Liebe das andere Geschlecht entscheidend ins Spiel. Das Hinausgehen aus sich ist unvergleichlich fordernder, wenn es nicht nur auf ein anderes Ich, sondern auf einen anderen Leib trifft – auf unergründliche Andersheit, unergründliche Entzogenheit, manifest bis ins Leibliche, Psychische, Geistige hinein. Wer diesem zutiefst Anderen ausweicht, weicht dem eigenen Leben aus, auch der eigenen Kraft zum elterlichen Dasein.

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Auf den Konflikt zweier Denkformen macht Jan-Heiner Tück (HerKorr 1/2021) aufmerksam: Zur Logik funktionaler Gleichstellung, wie sie in der heutigen Berufswelt vorherrscht, steht die Logik sakramentaler Repräsentation, die für das Selbstverständnis der katholischen Kirche leitend ist, in Spannung, und sie stützt sich auf die biblische Geschlechtersymbolik.

Jean-Paul Sartre (Drei Essays, 1961) vertritt die atheistische Gegenthese: Es gibt keine menschliche Natur, „weil es keinen Schöpfer gibt, der sie entworfen haben könnte“. Folgerichtig gibt es dann auch „keine Zeichen in der Welt“. Die Natur bei Sartre ist stumm; sie ist bloße Gestaltungsmasse sich entwerfender Freiheit. Auf dieser Linie konnte Simone de Beauvoir formulieren: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht.“ Nach Judith Butler, Protagonistin der Gender-Theorie, muss auch die Biologie als Produkt diskursiver Zuschreibungspraxen durchschaut werden, um queere Identitäten jenseits der Matrix der Zweigeschlechtlichkeit zu ermöglichen. Der Anti-Essentialismus, der bei Sartre vorgespurt ist, nimmt – so Tück – in den radikalen Spielarten der Gendertheorie „selbst essentialistische Züge an, wenn als wesentlich unterstellt wird, dass es ein Wesen der Geschlechter nicht geben könne, stattdessen aber selbstbestimmte und variable Inszenierungen von Körperpraxen, welche den binären Code von männlich und weiblich subversiv unterlaufen“.

Komplementarität von Mann und Frau als geschöpfliche Gabe

Im Blick der theologischen Anthropologie ist die Natur nicht stumm. Sie entdeckt in der Welt eine Sinndimension, die der Schöpfer hineingelegt hat, und hält eine sakramentale Sicht der Wirklichkeit für möglich, die nicht allein auf konventionelle Zuschreibung zurückgeht. Theologische Anthropologie muss nicht gleich bestreiten, dass in der Tradition von Theologie und Kirche manches als Naturgegebenheit hingestellt wurde, was sich später als kulturelle Setzung entpuppte. Aber an der Differenz und Komplementarität von Mann und Frau wird sie als einer geschöpflichen Vorgabe festhalten.

Eine theologische Phänomenologie erschließt sich im Einklang von „Person – Gemeinschaft – Gabe“, wie sie Papst Johannes Paul II. in „Mulieris dignitatem“ über die Würde und Berufung der Frau (1988) eindrucksvoll herausgearbeitet hat: Personsein bedeutet Selbstverwirklichung oder Selbstfindung, die nur durch aufrichtige Hingabe seiner selbst (vgl. „Gaudium et spes“, 24) zustandekommen kann. Vorbild einer solchen Deutung ist Gott als Dreifaltigkeit, als Gemeinschaft von Personen. Die Aussage, der Mensch sei nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen, bedeutet auch, dass der Mensch dazu berufen ist, für andere dazusein, zu einer „Gabe“ zu werden.

Im Licht der Selbstgabe Gottes an die Schöpfung aus Liebe ist eine theologische Anthropologie „nicht aus der Logik der Identität und Abgrenzung zu entwickeln, sondern aus der je neu überraschenden Beziehung zum anderen in seiner Andersheit. Es erfordert den Mut des Glaubens, sich auf diese Differenz einzulassen, weil uns hier die größte Schönheit, aber auch die tiefsten Verletzungen widerfahren“ (Barbara Hallensleben). Die im biblischen „Anfang“ über den Menschen als „Bild und Gleichnis Gottes“ offenbarte Wahrheit stellt die unveränderliche Grundlage der christlichen Anthropologie dar.

In geschlechtlicher Differenz Ebenbild Gottes

Der Mensch ist gerade in seiner geschlechtlichen Differenz Ebenbild Gottes. „Ginge es tatsächlich nur um die verlässliche fürsorgende Beziehung zwischen Menschen, bräuchte es die geschlechtliche Differenz im Menschsein nicht“ (Markus Schmidt SJ, Ehe und familiale Beziehungen, in: Zs. für Kath. Theologie 2014, 294). Ebenbild-Gottes-Sein und Mann- und Frausein gehören zusammen. Aufschlussreich ist auch, dass die Genesis nur beim Menschen die geschlechtliche Differenzierung erwähnt. „Das darf als Hinweis gewertet werden, dass es sich bei der menschlichen Sexualität um etwas Besonderes handelt“ (ebd.). Auch der evangelische Alttestamentler Claus Westermann (Genesis 1–11, 1974, 221) macht deutlich, dass es ein Wesen des Menschen „unter Verleugnung seiner Zweigeschlechtlichkeit nicht geben“ kann.

Der Mensch ist gerade in seiner zweigeschlechtlichen Wirklichkeit als Mann und Frau Ebenbild Gottes, also im Unterschied und gleichzeitigen Miteinander beider Geschlechter. Der Mensch stellt „Unterschiedenheit in Einheit“ und „Einheit in Unterschiedenheit“ dar. „Der Leib des Menschen drückt die bipolare Unterschiedenheit im Geschlecht aus und ermöglicht zugleich die Verschmelzung zu einer Einheit, wie sie ausschließlich Mann und Frau eigen und möglich ist“ (Schmidt, 300). So kann nach biblischem Verständnis nur die Verbindung von Mann und Frau als „Ehe“ bezeichnet werden. Die gleiche Würde von Mann und Frau bedeutet „nicht eine abstrakte Gleichheit, sondern Ebenbürtigkeit in Gegenseitigkeit und Komplementarität“ (Walter Kasper).

Der Dogmatiker Josef Kreiml
Foto: privat

Die Bibel spricht bei der Erschaffung von Mann und Frau auch von der „Einsetzung der Ehe durch Gott als unerlässlicher Voraussetzung für die Weitergabe des Lebens an die neuen Generationen der Menschen, zu der Ehe und eheliche Liebe ihrer Natur nach bestimmt sind“ („Mulieris dignitatem“, Nr. 6). Die Lehre der Kirche über die Ehe und die Komplementarität der Geschlechter legt „eine Wahrheit vor, die der rechten Vernunft einsichtig ist und von allen großen Kulturen der Welt anerkannt wird“ (Kongregation für die Glaubenslehre 2003, Verlautbarungen des Apost. Stuhls 162, Nr. 2). Die Ehe ist keine beliebige Gemeinschaft menschlicher Personen, sondern „wurde vom Schöpfer mit einer eigenen Natur sowie eigenen Wesenseigenschaften und Zielen begründet. Keine Ideologie kann dem menschlichen Geist die Gewissheit nehmen, dass es eine Ehe nur zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts gibt, die durch die gegenseitige personale Hingabe, die ihnen eigen und ausschließlich ist, nach der Gemeinschaft ihrer Personen streben. Auf diese Weise vervollkommnen sie sich gegenseitig und wirken mit Gott an der Zeugung und an der Erziehung neuen Lebens mit“ (ebd.).

Gott wollte der Einheit von Mann und Frau eine besondere Teilhabe an seinem Schöpfungswerk geben. Nach dem Plan des Schöpfers gehören Komplementarität der Geschlechter und Fruchtbarkeit zum Wesen der Ehe. Der Staat hat die Pflicht, die Ehe – eine für das Gemeinwohl „so wesentliche Einrichtung“ – zu fördern und zu schützen. Denn die Gesellschaft „verdankt ihren Fortbestand der Familie, die in der Ehe gründet“.

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