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Louis Bouyer: Ist die Frau das vollendete Geschöpf? 

Nach dem französischen Theologen Louis Bouyer ist die Frau der Inbegriff der Schöpfung.
Die Frau: Einbergende Fürsorge.
Foto: agsandrew (imago stock&people) | Die Frau: Einbergende Fürsorge.

Louis Bouyer hat in dem weithin vergessenen Essay „Mystère et ministères de la femme“ eine in vielerlei Hinsicht bemerkenswerte Typologie der Geschlechter vorgelegt. Anlass war die 1976 veröffentlichte Erklärung „Inter insigniores“ der Glaubenskongregation, die als erste explizite Stellungnahme des römischen Lehramts zur Frage der Frauenordination betrachtet wird und die lehramtliche Argumentation bis heute prägt. Unter den gegen die Möglichkeit der Priesterweihe von Frauen vorgebrachten Argumenten in der Erklärung ragt der Verweis auf die wesentlich zum Priestertum gehörige sakramentale Repräsentanz Jesu Christi heraus, die einzig Männern möglich sei. In der gegenwärtigen Debatte ist teils zu hören, dass es sich hierbei um ein neues, apologetisch-reaktives Hilfsargument handele, das der vorherigen Tradition, zu deren Rechtfertigung es doch dienen solle, unbekannt sei.

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Unmöglichkeit der sakramentalen Repräsentierung

Dieser Vorwurf lässt sich freilich schon durch einen kurzen Blick auf die scholastische Theologie widerlegen, als Beispiel sei nur Thomas von Aquin genannt: Dieser begründet den Ausschluss der Frauen vom Empfang der Priesterweihe ebenfalls mit der Unmöglichkeit der sakramentalen Repräsentierung Christi durch die Frau, wobei sein symboltheoretisches Argument heute nicht mehr zu halten ist, betrachtet er die Frau doch aufgrund ihrer vermeintlichen Inferioriät gegenüber dem Mann als unfähig, etwas Vollkommenes symbolisch zu repräsentieren. Bouyer nun weitet den Fokus, indem er die symbolische Bedeutung der Geschlechter nicht nur negativ gegen die Möglichkeit der Frauenordination ins Feld führt, sondern ihr eine positive schöpfungstheologische und soteriologische Bedeutung beimisst, die Geschlechterdifferenz also als Bestandteil des göttlichen Schöpfungs- und Erlösungsplans beschreibt. Darüber hinaus unterscheidet sich der Ansatz auch darin vom thomasischen, dass er die überholte traditionelle Geschlechtertypologie (Superiorität des Mannes bei Inferiorität der Frau) sozusagen auf den Kopf stellt – was er aber nicht als Novum verstanden wissen möchte, sondern als Implikat der biblischen Offenbarung und als tiefere Intuition der geistlichen Tradition des Christentums. Vor der Darstellung dieses Ansatzes müssen zunächst kurz dessen Voraussetzungen benannt werden. 

Geschlecherdifferenz

Die erste, noch vor-theologische Voraussetzung Bouyers besteht schlicht in der Annahme, dass eine biologische Geschlechterdifferenz existiert, was in den Lebenswissenschaften freilich Konsens sein dürfte (hier dargestellt mit den Soziobiologen Eckart Voland und Johannes Johow): Beschränkt man den Fokus auf den Bereich des biologischen Geschlechts (sex) unter Ausklammerung des psychisch empfundenen oder des sozial und kulturell konstruierten Geschlechts (gender), so ist der Befund einer binären Getrenntgeschlechtlichkeit bei vielen Pflanzen- (Diözie) und bei den allermeisten vielzelligen Tierarten (Gonochorismus) eindeutig. Die biologische Geschlechterdifferenz, mit der ein Set (natürlich bloß idealtypischer!) „funktionaler Merkmale und Strategien“ beider Geschlechter einhergeht, gilt augenscheinlich auch für die Gattung homo sapiens. Dass es beim Menschen wie im Tierreich in seltenen Ausnahmefällen zu Divergenzen zwischen dem chromosomalen, hormonellen und äußerlich morphologischen Geschlecht („Hebammen-Geschlecht“) kommen kann, widerlegt mitnichten das Prinzip, sondern ist im Rahmen der Zufall und Abweichung inkludierenden Evolution nicht anders erwartbar. Diese Voraussetzung beruht auf einer statistischen Beobachtung und ist insofern kein „essentialistischer Naturalismus“ und auch noch keine „naturalistic fallacy“ – wie oft in der aktuellen theologischen Debatte zu hören ist. 

"Die Geschlechterdifferenz  ist Resultat
und Ausdruck des Willens und der
Vernunft des Schöpfers. 
Wirklichkeiten der Schöpfung
aber sind auf ihn hin transparent,

Ungleich voraussetzungsreicher ist dann Bouyers zweite, genuin theologische Präsupposition, dass nämlich ein Schöpfergott existiert, der die Entwicklungslinien der Evolution innerlich beeinflusst und mitgestaltet, so dass der Kosmos mitsamt dem Phänomen Geschlechterdifferenz nicht ausschließlich chaotisches Zufallsprodukt, sondern wenigstens in seinen Grundzügen Resultat und Ausdruck des Willens und der Vernunft des Schöpfers ist – was nach dem biblischen Zeugnis insbesondere für den Menschen als Abbild Gottes und Adressat von dessen Offenbarungs- und Erlösungshandeln gilt. 

Prof. Dr. Markus Lersch
Foto: André Druschel | Prof. Dr. Markus Lersch ist Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Siegen.

Sakramentalität

Hier bliebe freilich anzufragen, inwieweit nur das Prinzip und nicht auch die Ausnahmen von der binären Geschlechterdifferenz als Ausdruck göttlichen Willens betrachtet werden können. 

Bouyers dritte Voraussetzung ließe sich mit „Sakramentalität“ überschreiben: Wirklichkeiten im Kosmos können dieser zufolge dergestalt Resultat und Ausdruck des Willens und der Vernunft Gottes sein, dass sie auf ihn hin transparent, das heißt Symbol Gottes und seines Wirkens am Geschöpf werden können. Die Kirchenväter wussten noch um diese Zusammenhänge, die sich bis heute in Gestalt des orthodoxen Pansakramentalismus durchhalten, letztlich aber auch die unerlässliche Voraussetzung der katholischen Offenbarungs- und Sakramententheologie bilden. Den großen Hugo von St. Viktor inspirierten sie im 12. Jh. zu seiner monumentalen, sakramentalen Gesamtvision der Heilsgeschichte (De sacramentis christianae fidei), in der er so weit ging zu behaupten, Gott habe zum Beispiel das Wasser in seiner natürlichen Beschaffenheit bereits im Hinblick auf die spätere Verwendung im Sakrament der Taufe geschaffen. Dabei insistierte Hugo vor allem auf der notwendigen Ähnlichkeit des sakramentalen Symbols (ex similitudine repraesentans) mit der symbolisierten Gnadenwirklichkeit  – in „Inter insigniores“ ist mit Thomas von Aquin von einer notwendigen „naturalis similitudo“ die Rede.

Ein Schöpfungsmerkmal

Bouyer nun beschreibt die binäre Geschlechterdifferenz als Schöpfungsmerkmal und wesentliche Voraussetzung auch des göttlichen Erlösungshandelns. Dabei kommt er – unter Bezugnahme auf eine Fülle biblischer und patristischer Texte – zu einer Inversion der symbolischen Bestimmung und Bewertung der Geschlechter, die dabei freilich immer idealtypisch gedacht werden: Nicht der Mann, sondern die Frau sei das vollkommene Geschöpf, „der Inbegriff aller Möglichkeiten der Kreatur“ (24), „die Vollendung, die Totalität“ (44) und „das abschließende Mysterium der Schöpfung“ (22).   

"Die Frau ist das eigentliche Gegenüber
Gottes und bestimmt durch ein tieferes und
dauernderes Eingelassensein in das Heilige; 
sie sie im Gegensatz zum Mann naturhaft religiös."

Die Frau sei im Gegensatz zum Mann das in sich ruhende, bei sich angekommene Geschöpf, da sie aufgrund ihrer möglichen Mutterschaft nicht nur potenziell beide Geschlechter und damit das ganze Menschsein in sich vereinige, sondern auch allein zu empathisch-sympathisierender Erkenntnis fähig sei, die Gegenstände ihrer Erkenntnis also nicht wie der Mann immer schon als das Andere ihrer selbst verobjektivieren müsse. 

Die Frau: Naturhaft religiös.
Foto: agsandrew (imago stock&people) | Die Frau: Naturhaft religiös.

Der Gipfel

Darüber hinaus bilde die Frau den Gipfel des Geschöpflichen, weil nur sie wahrhaft und dauerhaft an der Schöpfungskraft Gottes teilhaben könne, während männliche Vaterschaft (ob wörtlich oder im übertragenen, geistlichen Sinne) nur augenblickshaft und unvollständig sei, weil sie nur durch den Mann laufe, aber nicht aus ihm stamme und sich auch nur jenseits seiner realisieren könne. Der Mann repräsentiere insofern Gottes Transzendenz, Vaterschaft und Schöpferkraft (und zwar immer nur momenthaft und uneindeutig), während die Frau in ihrer potenziellen Mutterschaft tatsächlich dem Schöpfer aktiv zugesellt und damit die vollkommene Verwirklichung des ganzen, ganzheitlichen Menschseins sei und nicht bloß dessen Repräsentantin. Die Frau sei somit das eigentliche Gegenüber Gottes und bestimmt durch  ein „tieferes und dauernderes Eingelassensein in das Heilige“ (17); sie sei im Gegensatz zum Mann „naturhaft religiös“ (51), oftmals die Erstkatechetin gläubiger Männer und auch das unerlässliche, inspirative Gegenüber großer Theologen (vgl. 52f.; Bouyers Auflistung entsprechender Paarungen von der Alten Kirche bis hin zu Newman ließe sich mit Blick auf das 20. Jahrhundert unschwer ergänzen, etwa um Barth und Charlotte von Kirschbaum oder von Balthasar und Adrienne von Speyr). 

Geheimnis der Frau

Bouyer stützt sich bei dieser geradezu elogischen Beschreibung des Geheimnisses der Frau vor allem auf die mariologische und ekklesiologische Tradition, der eine solche Repräsentanz der Gesamtmenschheit durch die Gottesmutter Maria (die ihr Fiat laut Thomas „loco totius humanae naturae“ spricht) beziehungsweise durch die als Braut und Mutter verstandene Kirche ja durchaus bekannt war.   

"Der Gottmensch Jesus Christus, so folgert Bouyer,
kann in seinem Werk als Offenbarer des Vaters und als
Versöhner der Welt sakramental
auch nur durch den Mann repräsentiert werden."

  Da nun die Frau das aktiv-empfangende Geschöpf schlechthin und damit der Inbegriff der Immanenz sei und der Mann demgegenüber die Transzendenz des gebenden Gottes (noch einmal: bloß eingeschränkt und okkasionell) repräsentiere, habe die zweite Person der Trinität sich auch nur als Mann inkarnieren können beziehungsweise wäre es in den Augen Bouyers gar „monströs gewesen, wenn der Sohn Gottes als Frau erschienen wäre“. Und dieser Gottmensch Jesus Christus, so folgert Bouyer in Anwendung der obigen dritten Voraussetzung, könne „in seinem Werk als Offenbarer des Vaters und als Versöhner der Welt“ sakramental-effizient auch nur durch den Mann repräsentiert werden (55f.). 

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Symbolische Logik

Jene Ämter also, die der autoritativen Verkündigung und dem sakramentalen Handeln in persona Christi capitis dienten, also Bischofs- und Priesteramt, stünden daher aufgrund der symbolischen Logik des Sakramentalen nur dem Mann offen. Demgegenüber müsse aber neu an die Ämter der Frau erinnert werden, die wesentlich solche der „Fürbitte“ (58) und „einbergender“ Fürsorge (68) seien. 

Dabei denkt Bouyer durchaus auch an kirchliche „Ämter“ wie den Diakonat, den altkirchlichen Witwenstand und das Amt der geweihten Jungfrau, und eben nicht nur an „Dienste“ der Frau in Familie oder ziviler Berufswelt (Balthasars Übersetzung von „ministère“ im Sinne männlicher „Ämter“ und weiblicher „Dienste“ ist sachlich nicht falsch, verfehlt aber gerade die These Bouyers). Es sei die Tragik der gegenwärtigen Situation, dass mit dem Geheimnis der Frau auch dieser notwendige Beitrag ihrer Ämter in Vergessenheit geraten sei. 

Haben wir hier einen klerikalistischen Versuch vor uns, nachträglich ein Argument gegen die Frauenordination in Schrift und Tradition hineinzulesen? Einen Versuch, der umso perfider erscheinen muss, als er in weitaus „frauenfreundlicherer“ Gewandung daherkommt als das misogyne Argument des Thomas von Aquin und auch noch als das eher passive „marianische Prinzip“ Hans Urs von Balthasars

Realität menschlicher Existenz

Oder wird uns hier bei allem Voraussetzungsreichtum dieses Ansatzes und aller möglichen Kritik im Detail doch etwas Wesentliches zu sehen gegeben, das unserem laut Bouyer oft „kurzsichtigen“ Blick bislang entgangen ist? 

Der französische Theologe selbst schreibt hierzu abschließend: „Wir sind uns, wie wir sagten, allen Ungenügens, auch aller möglichen Fehler dieses Versuches bewusst. Wir meinen indes die Wichtigkeit unserer Arbeit nicht zu überschätzen, wenn wir ihre Leser bitten, ihre Mängel nicht als Vorwand zu nehmen, um die darin gestellten Probleme von sich zu schieben, sind es doch solche, die die ganze Realität menschlicher Existenz betreffen und deren Dringlichkeit von der christlichen Offenbarung endgültig herausgestellt wird“ (69). 

 

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29.12.2022, 15 Uhr
Stefan Hartmann

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