Der deutsche Wahlkampf startete in Wien: Nicht das Dreikönigstreffen der FDP, nicht die CSU mit ihrer Klausurtagung im Kloster Seeon bestimmten den Auftakt zum kurzen Wahlkampf nach der Weihnachtspause. Die Frage, die jetzt über allem schwebt, kam durch die Tapetentür: Indem der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen FPÖ-Chef Herbert Kickl in der Wiener Hofburg mit der Regierungsbildung und Sondierungsgesprächen mit der christdemokratischen ÖVP beauftragte, wird nun auch in Deutschland wieder spekuliert: Wie fest steht die Brandmauer zur AfD? Für die einen sind damit fast schon apokalyptische Ängste verbunden, für die anderen die Hoffnung auf paradiesische Zustände. Allein dieser riesige Gegensatz zeigt auf, wie polarisierend die Debatte in Deutschland ist.
Zunächst einmal bestehen deutliche Unterschiede zur österreichischen Situation: Die FPÖ gehört dort verschiedenen Landesregierungen an, stellt seit neustem in der Steiermark sogar den Landeshauptmann und war schon an mehreren Bundesregierungen beteiligt. Sie ist, anders als die AfD, trotz aller rechtspopulistischen Töne, zumindest in Teilen eine etablierte Kraft. Weiterhin ist auch gar nicht klar, ob die Regierungsbildung Kickls tatsächlich gelingen wird. Am Ende könnte unter Umständen auch eine Minderheitsregierung der ÖVP stehen.
Für Merz wird es schwerer, die Sehnsüchte in Richtung AfD zu bremsen
Zurück zu Deutschland: Dass die Brandmauer wackelt, hat nichts mit der Führung der Union zu tun. Es scheint von heute aus gesehen als nahezu unvorstellbar, dass ein Bundeskanzler Friedrich Merz mit der AfD irgendwie kooperieren könnte. Klar hat Merz die deutlichen rechtsextremistischen Tendenzen und die putinistische Grundstimmung in der Partei benannt und beides für unvereinbar mit der anti-totalitären Tradition der Union erklärt.
Die Mauerspechte kommen von unten, von vielen potentiellen Mitte-Rechts-Wählern, die mit der Performance der Union und insbesondere von Merz nicht zufrieden sind. Und ihren Hammer setzen sie in den sozialen Netzwerken an. Ein Forum finden sie ebenso in den zahlreichen Medien, die mittlerweile dem Mitte-rechts-Spektrum zuzuordnen sind. Die Debatte ist sehr munter und es dürfte Merz immer schwerer fallen, durch grundsätzliche Sonntagsreden die Sehnsüchte in Richtung AfD zu bremsen.
Dass das so ist, hat er sich vor allem selbst zuzuschreiben: Als Hoffnungsträger der Konservativen gestartet, hat er schon schnell gerade seine stärksten Unterstützer enttäuscht. Sowohl rhetorisch, aber auch praktisch hat er für viele nicht klar genug einen Strich gegenüber der Merkel-Ära gezogen. Dass Merz freilich eine Volkspartei mit vielen Flügeln führen muss, zu denen auch einstige Merkelianer zählen, hat bei diesen Konservativen, die sonst ja gerne ihren Pragmatismus herausstellen, nie als Argument gezogen. Zu sehr ist das Jahr 2015 mit der Flüchtlingskrise zu einem politischen Dauertrauma für sie geworden. Merz ließ die nötige Sensibilität vermissen. Mit seinem Hin und Her im Verhältnis zu den Grünen bohrte er vielmehr noch in der Wunde. Diese Konservativen fühlten sich geradezu verhöhnt, wenn Merz andeutete, er könne sich sogar einen Wirtschaftsminister Habeck vorstellen.
Die Union im Teufelskreis
Diese Fixierung auf die traumatischen Erlebnisse von 2015 verbunden mit der Projektion aller gesellschaftspolitischen Probleme auf die Grünen als politischem Hauptfeind führte zu der Sehnsucht nach einer politischen Kraft, die den gordischen Knoten durchschlägt. Viele dieser Konservativen erkennen sie in der AfD. Diese Sehnsucht ist so groß, dass sie sogar den Anti-Amerikanismus, den EU-Hass und die Pro-Putin-Propaganda dort in Kauf nehmen.
Das alles bedeutet aber auch, wer im politischen Lager Mitte-Rechts-Erfolg haben will, der braucht vor allem eines: psychologisches Feingefühl. Das ist von Friedrich Merz nicht wirklich zu erwarten. Und das ist auch das Grundproblem des Brandmauer-Modells: So sehr es in der Sache richtig ist, führt es doch in der Praxis nicht dazu, dass sich Wähler von der AfD abwenden. Im Gegenteil.
Je mehr Menschen aber bei der AfD ihr Kreuz machen werden, desto wahrscheinlicher wird ein Bündnis der Union mit einem linken Partner. Wie will sich die Union aus diesem Teufelskreis im Wahlkampf befreien? Bisher, so schien es, versuchte man, die Frage einfach auszublenden. Das funktioniert nach den Ereignissen in Wien nun nicht mehr.
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