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Warum Deutschland trotz Panzerlieferungen keine Kriegspartei ist

Das Völkerrecht ist hierzu eindeutig – wenn bestimmte Grenzen eingehalten werden.
Demo für Panzerlieferungen
Foto: IMAGO/Beata Zawrzel (www.imago-images.de) | Das Völkerrecht kennt klare Abstufungen hinsichtlich der Frage, ab wann Staaten beziehungsweise staatliche Akteure Kriegsparteien werden.

Seit Dienstag herrscht nun Klarheit: Nach langen Diskussionen erhält die Ukraine 14 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 aus den Beständen der Bundeswehr. Insgesamt sollen etwa 90 Leopard-Panzer in die Ukraine geschickt werden, um das Land bei seinem Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen. Die USA sagen zudem zu, 31 Kampfpanzer vom Typ Abrams zu liefern – und erfüllen somit ein Anliegen des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), welches darin besteht, dass die USA und Deutschland ausschließlich im Tandem schwere Waffen in Richtung Osteuropa liefern.

Scholz: Keine Flugzeuge und Truppen für die Ukraine

Eine Haltung, die Scholz am Mittwoch sowohl im Bundestag als auch in der ZDF-Sendung „Was nun,…?“ verteidigte: Sein Ziel sei es immer, eine Ausweitung des Ukraine-Krieges auf die Nato zu verhindern. Es sei deshalb "richtig, dass wir diese Waffensysteme niemals alleine, sondern immer in enger Kooperation bereitstellen". Zudem erteilte er der Forderung nach einer Auslieferung von Kampfjets und Entsendung von Truppen eine klare Absage: Deutschland müsse bei der Unterstützung der Ukraine immer klarstellen, "dass wir aber gleichzeitig eine Eskalation des Krieges zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato verhindern.“

Doch nicht wenige Menschen fragen sich zurecht: Ab wann wird Deutschland – möglicherweise ohne es zu intendieren – aufgrund der Lieferung einer bestimmten Waffengattung doch zur Kriegspartei?

Das sagt das Völkerrecht

Grundsätzlich gilt im Völkerrecht ein allgemeines Gewaltverbot. Ähnlich der kirchlichen Lehre vom „gerechten Krieg“ gesteht die Charta der Vereinten Nationen jedoch jedem Land ein Selbstverteidigungsrecht gegen einen bewaffneten Angriff zu – und bereits im März 2022 hat die UN-Vollversammlung die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine als Verstoß gegen die UN-Charta missbilligt und damit auch das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine bestätigt.

Ergo: Andere Länder dürfen einen angegriffenen Staat bei der Selbstverteidigung unterstützen. Aus rechtlicher Sicht ist damit auch militärische Hilfe für die Ukraine zulässig, wie beispielsweise die Lieferung von Offensiv- und Defensivwaffen. Denn, so der völkerrechtliche Konsens: Die bloße Unterstützung durch Waffenlieferungen überschreitet die Grenze zur Konfliktteilnahme explizit nicht. 

Ab diesem Moment wäre Deutschland Kriegspartei

Zur Kriegspartei wird ein Staat erst dann, wenn er selbst an dem Konflikt teilnimmt: Das ist insbesondere der Fall, wenn eigene Streitkräfte unmittelbar an den Kampfhandlungen beteiligt sind. Auch die militärische Überwachung und Durchsetzung einer Flugverbotszone würde darunterfallen – weswegen die Lieferung von Kampfjets an die Ukraine zwar völkerrechtlich gestattet wäre, eine von der NATO überwachte Flugverbotszone zur Überwachung des Luftraums der Ukraine in völkerrechtlicher Hinsicht jedoch keine Option ist.

Das Völkerrecht kennt also klare Abstufungen hinsichtlich der Frage, ab wann Staaten beziehungsweise staatliche Akteure Kriegsparteien werden. Doch wer die Propagandalügen eines Wladimir Putins seit Jahren beobachtet, wird sich darauf verlassen können, dass er beziehungsweise die russische Regierung die Lage vollkommen anders bewerten dürfte. So schürten er und seine wichtigsten Propagandisten in den Tagen und Wochen vor der Entscheidung für die Leopard-2-Lieferungen gerade mit Blick auf Deutschland die Angst, dass Deutschland von Russland sehr wohl als Kriegspartei betrachten werden würde, falls sich Olaf Scholz zu Panzerlieferungen durchringen sollte – inklusive der Drohung, Ziele in Deutschland militärisch anzugreifen.

Doch wer nicht einmal in der Lage ist, die Ukraine vollständig zu besetzen, erscheint erneut umso mehr als großer Maulheld, wenn es um vollmundige Ankündigungen wie jene geht, einen NATO-Staat anzugreifen - inklusive des dann automatisch inkraft tretenden Bündnisfalls. Auch ein Angriff mit Massenvernichtungswaffen ist undenkbar, da sich dann China als wichtigster Verbündeter von Russland abwenden würde und die NATO im Sinne der "Flexible Response" beispielsweise sich in Form der Auslöschung der russischen Schwarzmeerflotte sowie aller in der Ukraine stationierten russischen Streitkräfte revanchieren könnte. So bleibt Putin und seinen Propagandisten nur einmal mehr das Schüren von Angst übrig - und unfreiwillig erneut zu demonstrieren, wie wenig er sich um das Völkerrecht sowie das Internationale Recht im Allgemeinen schert.

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