Die Position der Kirchen zur AfD ist eigentlich seit langem recht klar – und produziert trotzdem auch bei den medienerfahrensten Bischöfen immer wieder kleinere oder größere Verrenkungen. Nachdem der DBK-Vorsitzende Georg Bätzing bei der ersten Pressekonferenz der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe gesagt hatte, AfD-Wähler dürften (in politischen Fragen) „mit unserer Solidarität (…) nicht rechnen“, hatte dies geradezu feixende Schlagzeilen zur Folge. Die Kirche versagt Menschen ihre Solidarität? Klingt irgendwie nicht sehr christlich. Und so unternahm Bätzing den Versuch, seine inhaltlich nicht neue, aber rhetorisch missglückte Formulierung bei der Abschlusspressekonferenz zu korrigieren: Natürlich sei der „Kampf gegen die rechten und linken politischen Ränder und Populismen (…) kein Kampf gegen Menschen“, man wolle auch weiter mit Wählern der AfD ins Gespräch kommen.
Emotionaler als Bätzing thematisierte zur gleichen Zeit die evangelische Kirche das Verhältnis zur AfD: „Es traf mich wie ein Schlag“, beschrieb der sächsische evangelische Landesbischof Tobias Bilz in einem Gastbeitrag in der „Welt“ sein Gefühl, als ihm ein Freund gestanden haben, bei der Bundestagswahl AfD gewählt zu haben. Bisher war er davon ausgegangen, niemanden zu kennen, der zu einer derart – man möchte für Bilz formulieren: frevelhaften – Tat in der Lage wäre. Die unerwartete Offenbarung führte bei Bilz zu Störgefühlen: War es etwa doch wieder wie in der DDR, wo die Menschen ihre Meinung nur „ausgewählten Gleichgesinnten“ offenbarten? Und wie sollte ein Christ mit diesem Befund umgehen?
Die Evangelische Kirche in Deutschland hat im März versucht, sich mehr oder weniger systematisch mit der schwierigen Situation auseinanderzusetzen, dass eine wachsende politische Strömung sich weiterhin im Zustand der gesellschaftlichen Stigmatisierung befindet, was die schrumpfende Kirche aus inhaltlichen Gründen auch unterstützt – und bei der sie trotzdem irgendwo tief im Inneren, fast verschüttet, spürt, dass Ausgrenzung nicht ihr Job sein kann. In Bilz‘ Worten: „Wie können wir uns selbst davor hüten, menschenunfreundlich zu werden, wenn wir Brandmauern aufrichten?“
Kein „,Wird-schon-gutgehen-Optimismus“?
Ergebnis des EKD-Nachdenkens war ein neunseitiges Papier mit dem Namen „Christliche Perspektiven für unser gesellschaftliches und politisches Miteinander“. Georg Bätzing lobte das Dokument auf der zeitgleich stattfindenden Frühjahrsvollversammlung der DBK nicht zu Unrecht eher zurückhaltend für seine „interessanten Impulse“. Tatsächlich ist das Werk auch für Katholiken interessant, als es einer in beiden Kirchen verbreiteten überheblichen Haltung ein recht eindrucksvolles Denkmal errichtet.
Die im Papier niedergeschriebenen inhaltlichen Thesen zum Phänomen Rechtspopulismus sind bekannt: Der schüre Ängste „mit einer leicht eingängigen und dabei bisweilen ausgeprägt menschenfeindlichen Rhetorik und Schreckensszenarien, die das Ziel haben, zu verunsichern und das Vertrauen in die Demokratie zu erschüttern“, und biete dann „einfache Lösungen“ an. Interessanter wird es schon im Konkreten: Lauteten populistische Kernaussagen „es wird fürchterlich enden, ihr seid zurecht unzufrieden“, was schon in Worten wie „Denkverbote“, „Deindustrialisierung“ oder auch „Explosion der Kriminalität“ deutlich werde, sei die christliche Botschaft gemäß dem „fürchtet euch nicht“ zwar kein „,Wird schon gutgehen’-Optimismus“, baue aber auch im Angesicht von Bedrohungen auf Gottvertrauen und Zuversicht.
Nicht „dozieren“, nicht „belehren“
Das in der Auseinandersetzung mit der AfD zentrale Migrationsthema – wer darf zu uns gehören und die entsprechenden Vorteile genießen? – packt die EKD ziemlich spiegelbildlich zur DBK an: „Eine politische Polemik, die zwischen Volk im Sinne einer ethnischen oder kulturell einheitlichen Größe und der Bevölkerung unterscheidet, kollidiert mit der Menschenfreundlichkeit Gottes.“ Jedes Staatswesen müsse zwar schon entscheiden, wer zum Staatsvolk gehöre, und wer nicht. Diese Entscheidung erfolge aber mithilfe des Staatsangehörigkeitsrechts und folge „gerade nicht ethnischen und kulturellen Kriterien.“ Was übrigens eine wenigstens merkwürdige Formulierung ist: Dass das Staatsangehörigkeitsrecht über die Staatsangehörigkeit entscheidet, ist selbstverständlich. Die Frage ist, ob das Recht eher dem historisch teils ethnisch begründeten Abstammungsprinzip folgt oder dem Geburtsortprinzip; Deutschland hat eine Mischform. Sowieso aber regle, so das Papier weiter, die Menschenwürdegarantie und das grundrechtliche Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) das Zusammenleben der Bevölkerung. Überhaupt sei Abgrenzung falsch: Wer zu den christlich verstandenen Nächsten gehöre, dürfe keine „Frage von Definitionen von Bezügen zu Volk, Land, Kultur oder Ethnie sein.“ Auch im Politischen zeichne sich christliches Handeln eben dadurch aus, dass nicht in erster Linie die eigenen Interessen verfolgt würden, sondern man sich an den Bedürfnissen des oder der Anderen orientiere.
Soweit, so gewohnt. Wie aber nun umgehen mit jenen, die dieser politischen Lehre der Kirchen nicht zustimmen? Nicht „dozieren“, nicht „belehren“, lautet die schon im Vorwort präsentierte Antwort. Kompromisse suchen, denn politische Entscheidungen seien vorläufig, könnten also „nicht absolut richtig ausfallen“; eine Einsicht, die die EKD freilich schon wenige Sätze vorher nicht berücksichtigt, wenn etwa davon die Rede ist, dass der Abschied von fossilen Energiequellen „unvermeidlich“ sei. Und klar, obwohl es absolute Richtigkeit nicht geben soll, obwohl man eigene Überzeugungen „niemals“ so vortragen solle, „als seien sie die einzig wahren und richtigen“, definiert das Papier Grenzen dessen, was evangelischen Gesprächspartnern zumutbar sein soll: „Der Mut zum offenen Wort bedeutet aber auch, das Gespräch mit einer klaren Ansage zu beenden, wenn Menschenfeindlichkeit und Abwertung beharrlich als Argumente genutzt werden.“ An anderer Stelle schreibt die EKD, andere Perspektiven seien wertzuschätzen und einzubeziehen, sofern sie nicht „grundlegende Werte wie die Menschenwürde aller und ein respektvolles, faires demokratisches Miteinander verletzen.“
Was ist menschenfeindlich?
Nun, der Teufel dürfte im Detail stecken: Was ist menschenfeindlich? Wann ist die Menschenwürde verletzt? Ärgerlicherweise fällt der EKD auf Bitte dieser Zeitung um handfeste Definitionen nichts anderes ein, als wiederum auf das Papier zu verweisen. Zu „beachten“ sei etwa die folgende Passage: „Populismus geht den anderen Weg: Er definiert das ,Wir’, für das er zu sprechen vorgibt, mit diskriminierenden Kriterien, die durch Abwertung Distanz schaffen und gezielt ausschließen. Dieses nur scheinbar inklusive ,Wir’ verdeckt, um was es wirklich geht: eine Geschlossenheit, bei der außen vor bleibt, was den eigenen Vorstellungen und Gewohnheiten nicht entspricht. Ausgegrenzt wird alles, was von denen, die über das ,Wir’ bestimmen, als unbekannt, als nicht normal, krank oder kritisch verstanden wird: Menschen, die eine andere Herkunft oder eine andere Weltanschauung haben, Frauen, die sich überkommenen Geschlechterrollen entziehen, Personen, die alternative Geschlechtermodelle leben möchten oder sich auch nur anders kleiden. So aber wird irgendwann jeder Mensch zum ausgegrenzten Fremden.“
Was aber soll das heißen? Muss der gläubige Protestant zur Wahrung der Menschenwürde das Gespräch abbrechen, wenn das Gegenüber einen „anderen“ Kleidungsstil als „nicht normal“ beschreibt? Ist menschenfeindlich, wer einer nicht näher definierten „anderen Weltanschauung“ „kritisch“ gegenübersteht? Dann wäre es im Alltag mit dem oft geforderten Dialog schnell vorbei. Erst recht aber mit der politischen Diskussion, in der ja gerade die Grenzen des Sagbaren umstritten sind und eine einseitige autoritative Festlegung dieser Grenzen die Menschen erst so richtig provoziert. Die „Mitte-Studie“ der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung definiert als menschenfeindlich zum Beispiel die Aussage „Frauen sollten sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen.“ Ja sicher, das ist mindestens erzkonservativ. Für die EKD auch ein Grund, das Reden einzustellen? Oder die Aussage: „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“ Da dürften viele AfD-Sympathisanten zustimmen. Wollen die Kirchen mit diesen ins Gespräch kommen – oder ist hier schon wieder Schluss?
Das Ressentiment ist schuld
Der eigentliche Knaller kommt aber im Nachwort: Während als Ziel vorgetragen wird, man wolle nicht belehren, ja eigentlich gar nur fragen, keinesfalls aber den Menschen „dozierend“ begegnen, wird ebendiese Strategie begründet mit Pathologisierung. „Was bringt Menschen dazu, Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien und Lügen in ihr Weltbild zu integrieren?“, fragt die EKD. Ihre Antwort: „Ressentiment“ – ein „psychischer Trick, den Fehler für die eigene Situation den anderen zuzuschieben.“
Kurz gefasst: Die Rechtspopulisten und ihre Sympathisanten sehen die Welt nicht einfach anders, sondern ihre Vorliebe für „Lügen“ und „Verschwörungstheorien“ gründet auf selbstverschuldetem Versagen und krankhafter Suche nach Sündenböcken. So jemand muss aber eigentlich gar nicht überzeugt, sondern therapiert werden. Zur Illustration bietet die EKD folgerichtiger Weise die Heilung des Gelähmten am Teich von Bethesda im Johannesevangelium auf: Dem nähere sich Jesus ja auch fragend, und nicht als Redender. Und dann wird er – schwupps – geheilt. Man kann nur hoffen, dass diejenigen, die die EKD von ihrer verderblichen politischen Meinung heilen will, nie dieses Papier lesen. Und dass dieser „interessante Impuls“ in der katholischen Kirche nicht stilbildend wird. Denn die Herablassung, die darin deutlich wird, geht über „belehren“ und „dozieren“ weit hinaus.
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