Noch gehört die Kirche nördlich der Alpen ins Dorf, aber wie lange noch? In Deutschland gibt es gut 40 000 Kirchengebäude, die ältesten unter ihnen stammen aus dem 4. Jahrhundert, aus der Zeit Kaiser Konstantins und den Anfängen der Christianisierung. Doch künftig plant sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche, etwa die Hälfte all ihrer Gotteshäuser zur Disposition zu stellen.
Schon werden vielerorts Immobilienkonzepte entwickelt. Bei den sinkenden Kirchensteuereinnahmen wäre ökonomisch betrachtet eine ökumenische Variante erwägenswert. Vor allem eine, die seit Jahrhunderten erprobt ist: nämlich die Umwandlung der Kirchen in sogenannte Simultankirchen. In diesen feiern zwei oder mehrere Konfessionen ihre Gottesdienste unter einem Dach, allerdings nicht gemeinsam.
Wie das Simultaneum entstand
Ein Beispiel ist der Dom St. Petri in Bautzen: Er ist die älteste und eine der größten Simultankirchen Deutschlands – gelegen in der Oberlausitz und zum Bistum Dresden-Meißen gehörig. Das Bistum Meißen, 968 gegründet, ist durch seine besondere Kultur und Geschichte geprägt. Heutzutage machen die Katholiken mit knapp 140 000 Gläubigen etwas mehr als drei Prozent der Bevölkerung aus.
Bereits seit 1524, und damit wenige Jahre nach Luthers Thesenveröffentlichung, nutzen Protestanten und Katholiken den Dom für ihre Gottesdienste. Die Gewichtung der Gläubigen war zu damaliger Zeit allerdings sehr ungleich, Dompfarrer Veit Scapan erzählt: „Zur reformatorischen Zeit gab es in Bautzen nur ein Prozent Katholiken. Und die waren allesamt im Domstift, während die Bürgerschaft die lutherische Lehre angenommen hatte.
Diese trat nun mit der Bitte an das Domkapitel heran, die Predigt in der neuen Lehre im Dom zu ermöglichen. Worauf ihnen das Domkapitel den Volkskirchenteil, den heutigen evangelischen Teil, überließ. Aus dieser Überlassung entwickelte sich später das Simultaneum.“
Trennung der Altäre machte konfessionelle Spaltung sichtbar
Der Dom wurde damit räumlich aufgeteilt, die Altäre durch ein Gitter getrennt – und die konfessionelle Spaltung trat deutlich zutage. Denn ganz so friedlich, wie es sich anhört, ging die Teilung nicht vonstatten. In St. Petri kamen unterschiedliche Eskalationsstufen vor und kleinere Gemeinheiten waren an der Tagesordnung. In erster Linie wurden sie, wie bei anderen Simultaneen auch, „von Übergriffen und Fehlverhalten der Geistlichen beider Konfessionen“ verursacht, berichtet eine Quelle.
So hatten die Evangelischen nicht jederzeit Zugang zu ihrem Bereich, denn das Schlüsselrecht verblieb beim Domstift. Dessen Verantwortliche sorgten dafür, dass bis ins 17. Jahrhundert das Kirchengebäude immer wieder abgeschlossen wurde, um protestantische Gottesdienste zu verhindern. Im Jahre 1543 wurde vom Bautzener Rat und dem Domstift ein erster Versuch unternommen, die Nutzung der Kirche durch die verschiedenen Konfessionen vertraglich zu regeln.
...und das Bistum Meißen war nicht mehr katholisch
Im Zuge der Reformation hörte das Bistum Meißen auf, ein katholisches Bistum zu sein, und kam unter die Administratur von Kursachsen – lediglich in der zu Böhmen gehörenden Lausitz blieb ein kleiner Rest des ehemaligen Bistums erhalten. Dieser Rest wurde einem Administrator mit Sitz im Domstift von St. Petri unterstellt.
Im Jahre 1560 war der Humanist Johan Leisentrit Domdekan, als die Situation erneut eskalierte. Der Dompropst wechselte zur lutherischen Lehre, während Leisentrit und das Domkapitel katholisch blieben. Doch ihre Zahl war deutlich in der Minderheit – was den katholischen Domdekan nicht davon abhielt, weiterhin das Recht wahrzunehmen, die Kasualien in der Kirche allein durchzuführen.
Streit, Kränkungen und Handgreiflichkeiten
Zudem insistierte er, dass das Domstift die Prediger an der Kirche anstelle, was bedeutete, dass die lutherischen Pfarrer dem Dekan vorgestellt werden mussten. Wenig später gab es auch Streitigkeiten um einen mobilen evangelischen Taufstein, der bei Bedarf schnell beseitigt werden konnte. Diese rollende Variante wurde von evangelischer Seite als Kränkung empfunden – und vielleicht war dies auch die Absicht der Gegenseite.
Wenige Jahrzehnte vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges wurde das Aushandeln bestimmter Rechte rund um den Dom zuweilen von Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten begleitet. Damals schien das Simultaneum weniger ein Friedensinstrument zu sein, sondern wurde eher als eifersüchtig bewachtes Hoheitsrecht verstanden.
Grundlage für ökumenisches Miteinander
Tempi passati. Fünfhundert Jahre sind vergangen, seitdem erstmalig Katholiken und Lutheraner nebeneinander in den Kirchenbänken von St. Petri saßen. Heute sagt Dompfarrer Veit Scapan: „Für Bautzen ist das Simultaneum die Grundlage für die Ökumene, das ist unser Miteinander.“ Ein Vertrag aus den 1570er-Jahren, in dem die Nutzungszeiten des Domes für die beiden Konfessionen genau festgeschrieben sind, gelte bis jetzt.
Selbst das Gitter mag Scapan im Rückblick nicht als trennend sehen. Laut ihm war es nämlich schon vorher da: ein alter hölzerner Lettner, der später durch ein schmiedeeisernes Gitter ersetzt wurde, weil es in Bautzen öfter mal brannte. Nicht zu vergessen: St. Petri hat auch zwei Orgeln: eine evangelische und eine katholische Orgel. Beide Instrumente sind klanglich aufeinander abgestimmt, sodass in dieser Simultankirche die Konfessionen zumindest musikalisch im Einklang sind.
Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Süddeutschland.
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