Nach dem an Pannen reichen Debakel um die abgesagte Wahl der Kandidaten für die Besetzung der drei neu zu besetzenden Richterstellen beim Bundesverfassungsgericht hat die SPD öffentlich schwerste Vorwürfe gegen die Union erhoben und den Eindruck erweckt, die Unionsabgeordneten hätten sich vor den Karren einer „rechten“ Kampagne spannen lassen. Schwerer kann man Abgeordnete eigentlich nicht beleidigen. Nun hat die SPD in Gestalt von Fraktionschef Matthias Miersch einen weiteren schweren Fehler begangen. Danach gefragt, wie es nach der Aufgabe von Frauke Brosius-Gersdorf nun weiter gehe, sagte Miersch dem TV-Sender n-tv: „Wir haben einen Namen, und den werde ich jetzt aber garantiert nicht nennen.“
Mierschs Fehler war nicht, den Namen der Kandidatin (denn es sollte ja unbedingt wieder eine Frau sein), zu verschweigen. Schließlich möchte kein Unionsabgeordneter diesen zunächst aus den Medien erfahren. Mierschs Fehler bestand darin, ohne Not zu sagen, dass die Sozialdemokraten eine neue Kandidatin haben und damit frühzeitig die Spekulationen darüber anzuheizen, wer diese denn sei.
Klausurtagung in Würzburg
Im Netz kursieren bereits erste Namen. Gehandelt werden dort etwa die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, oder auch die ehemalige Innenministerin Nancy Faeser. Kommende Woche wollen sich die Fraktionen von Union und SPD zu einer Klausur in Würzburg treffen. Ein solches Treffen im Vorfeld so zu belasten, ist dem von Jens Spahn angekündigten Teambuilding-Prozess ganz sicher nicht zuträglich.
Überhaupt wird es immer schwerer, sich des Eindrucks zu erwehren, die SPD lege es geradezu darauf an, den großen Koalitionspartner beständig zu reizen. Dass eine Kandidatin wie Brosius-Gersdorf für viele Unionsabgeordnete nicht wählbar sein würde, hätte jeder wissen können, der zur Kenntnis genommen hatte, welche Rolle die Potsdamer Verfassungsrechtlerin in der von der Ampel einberufenen „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ gespielt hatte. Jenes handverlesene Gremium, das den Auftrag hatte, Vorschläge zu erarbeiten, wie der Paragraph 218 endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden könne.
Jede Menge Zumutungen
Mehr noch: Dass hier für Christdemokraten und Christsoziale eine rote Linie überschritten wäre, konnte wissen, wer die Debatten um die Streichung des „Werbeverbots für Abtreibungen“ (Paragraph 219a StGB) verfolgt hatte, als die Abgeordneten von CDU und CSU noch auf der Oppositionsbank saßen und geschlossen dagegen votierten.
Doch damit nicht genug: Nach der abgesagten Richterwahl hatte die SPD nichts Eiligeres zu tun, als einen Streit über die Interpretation einer Passage des Koalitionsvertrages zu beginnen, in dem sich Union und SPD auf eine Erweiterung der Kostenübernahme von Abtreibungen durch die gesetzlichen Krankenkassen verständigt hatten. Und als wäre das der Zumutungen noch nicht genug, denkt SPD-Parteichef und Vizekanzler Lars Klingbeil im ZDF-Sommerinterview laut über Steuererhöhungen nach, die die Union vor der Wahl noch kategorisch ausgeschlossen hatte.
Richterwahl kann den Anfang vom Ende der Koalition einläuten
Wenn man die direkt gewählten Abgeordnete des größeren Koalitionspartners auf die Palme treiben will, dann muss man genau so agieren. Denn die müssen sich in ihren Wahlkreisen derzeit eine Menge anhören. Wo man eigentlich noch die Handschrift der Union erkennen könne oder ob der Schwanz jetzt mit dem Hund wedele, gehört dabei noch zu den angenehmen Dingen.
Friedrich Merz, wird kolportiert, treibe die Angst um, als der Kanzler mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte der Bundesrepublik einzugehen und sei daher zu vielen Zugeständnissen bereit. Das mag sein. Nur, für die Abgeordneten, die diese Sorge nicht haben, gilt das nicht. In der Causa Brosius-Gersdorf haben sie gezeigt, wie ernst sie ihr Mandat und den verbliebenen Rest des in der Ära Merkel achtlos verschleuderten Tafelsilbers der Union nehmen. Wenn die Sozialdemokraten nicht endlich auf sie Rücksicht zu nehmen, sondern sich weiter so präsentieren, als wären sie beständig auf „Speed“, könnte die für September in Aussicht gestellte Wahl der drei Bundesverfassungsrichter der sprichwörtliche Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt und das Ende der Koalition einläuten.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.