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Özdemir oder Habeck: Wer ist der Ober-Realo?

Cem Özdemir erzählt, dass Belästigungen von Migranten für seine Tochter kein Fremdwort seien. Dafür wird er erwartungsgemäß von links abgewatscht. Aber der Landwirtschaftsminister hat ganz offensichtlich politisch noch was vor.
Robert Habeck und Cem Özdemir
Foto: IMAGO/Christian Spicker (www.imago-images.de) | Cem Özdemir mischte schon in Bonn und dann später in Berlin mit, als Robert Habeck sich noch ganz auf seine Kinderbücher konzentrierte.

Cem Özdemir ist eine Art Ur-Typ des grünen Realos. Er mischte schon in Bonn und dann später in Berlin mit, als Robert Habeck sich noch ganz auf seine Kinderbücher konzentrierte. Der Bundeslandwirtschaftsminister ist also ein alter Politik-Fuchs, kommt aber trotz seiner mittlerweile 58 Jahre immer noch relativ frisch und juvenil daher. Er zählt schon seit Jahrzehnten, aber eben auch heute noch zur grünen Führungsreserve. Das ist gerade jetzt nicht ganz unwichtig, vollzieht sich doch nach dem Rückzug von Ricarda Lang und Omid Nouripour an der Parteispitze ein großes personelles Revirement. Der große Schirmherr über allem ist aber Robert Habeck. 

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Er gilt trotz seiner Patzer in der Energiepolitik immer noch unter den Realos in der Partei als derjenige, der die Grünen wieder für die bürgerliche Mitte aufhübschen könnte, obwohl gerade ja er es gewesen ist, der mit seinen kommunikativen Heizungshammerschlägen die da doch eigentlich schon recht stabile Brücke in diese Gesellschaftsgruppen zum Einsturz brachte. Ist Habeck aber wirklich alternativlos?

Özdemir hat noch Ambitionen

Und damit sind wir wieder bei Özdemir. Der ist, wie gesagt, politisch erfahrener – das kommunikative Desaster Habecks wäre ihm vielleicht nicht widerfahren – und anders als der Philosoph im Wirtschaftsministerium neigt er nicht zur Flucht in das Abstrakte. Özdemir, hier ganz Schwabe, neigt zum Bodenständigen.

Dass er auch inhaltlich durchaus noch Ambitionen jenseits von Grüner Woche und Bauernprotesten hat, bewies er nun mit einem Gastbeitrag in der FAZ, der vor allem in der linken Szene für Aufruhr sorgte. In dem Artikel setzt sich der 58-Jährige, der in Bad Urach geboren worden ist und aus einer türkischen Familie stammt, mit aktuellen Herausforderungen der Migrationspolitik auseinander.

Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa/Montage pwi | Woche für Woche berichtet unser Berlinkorrespondent in seiner Kolumne über aktuelles aus der Bundeshauptstadt.

Dabei schilderte er auch persönliche Erfahrungen und berichtete von Erlebnissen seiner volljährigen Tochter in der Hauptstadt:  „Wenn sie in der Stadt unterwegs ist, kommt es häufiger vor, dass sie oder ihre Freundinnen von Männern mit Migrationshintergrund unangenehm begafft oder sexualisiert werden. Und ja, der Einwand, das Risiko für sexuelle Belästigung sei in Partnerschaften und in der Familie ungleich höher, ist ebenso richtig wie der, man könne nicht nur an der Ostsee, sondern überall rassistisch beleidigt werden.“  Daraus gelt es Konsequenzen zu ziehen. 

Er wollte ganz bewusst eine Marke setzen

Eigentlich alles ganz harmlos. Aber aus linker Perspektive hatte Özdemir einen Tabubruch begangen. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb über ihren Kommentar: „Es ist befremdlich, wenn Politiker mit Einwanderungsbiografien auf Geflüchtete schimpfen“. Andere Kritiker schickten einen offenen Brief an den Minister.

Es ist klar, Özdemir wird mit solchen Reaktionen gerechnet haben. Nach 30 Jahren Politik kennt er seine Pappenheimer. Dass er es trotzdem tat, zeigt: Er wollte ganz bewusst eine Marke setzen. Und damit sind wir wieder bei den Führungsstreitigkeiten bei den Grünen: Hallo, ich bin auch noch da – war das das Signal, das Özdemir aussenden wollte? Nach dem Motto: Ich war schon habeckig als es Habeck noch gar nicht gab. 

Özdemir kann aber auch deswegen relativ sicher agieren, weil er in Baden-Württemberg eine Hausmacht hat. Er wird immer wieder als sehr wahrscheinlicher Nachfolger von Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehandelt. Also solcher könnte er ganz in der Tradition seines Mentors das Ländle zur Realo-Ordnungszelle machen und von dort immer Habeck das Leben schwer machen.

Erleben wir dann das Gleiche in Grün wie in den 70er Jahren, als die beiden schwarzen Granden Helmut Kohl und Franz Josef Strauß so miteinander wetteiferten? Özdemir hätte dann übrigens den Part von Strauß. Es könnte unterhaltsam werden. 

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