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Merz gewählt, aber es gibt keine Rückkehr zum Status quo

In der Union wird der Groll über die Lähmung wachsen, die die Folge einer bedingungslosen Bindung an die SPD ist. Das bietet der AfD Chancen. Will die aber diese Option überhaupt nutzen?
Friedrich Merz bei Bundespräsident Steinmeier
Foto: IMAGO/ESDES.Pictures, Bernd Elmenthaler (www.imago-images.de) | Doch noch den richtigen Ausgang aus dem Alptraum gefunden: Nach einem turbulenten Bundestags-Tag ist Friedrich Merz Kanzler und wird hier vom Bundespräsidenten Steinmeier zwecks Vereidigung empfangen.

Als sich um 16.16 Uhr die Mitglieder der Unions-Fraktion zu stehenden Ovationen erheben, um die Wahl ihres Kandidaten zu bejubeln, da wird wohl mancher denken, jetzt sei wieder alles gut. Die sechs Stunden seit dem ersten Wahlgang, bei dem immerhin 18 Abgeordnete der Koalitionsparteien Friedrich Merz ihre Stimme verweigert hatten, erscheinen aus dieser Perspektive wie eine wirre Zwischenphase. Ein Albtraum zwar, aber nur kurz. Jetzt sind alle freudestrahlend erwacht und schreiten voller Optimismus in den neuen Tagen. Nichts könnte falscher sein. Denn das Scheitern von Merz am Montagmorgen war nicht bloß eine Schrecksekunde, die irgendwann einmal zu einem bloßen biographischen Detail in der langen politischen Vita des CDU-Chefs werden wird. Vielmehr verdichten sich in diesem Augenblick all die Probleme, die sich Merz als Kanzler stellen.

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Dazu kommt: Heute ist das offenbar geworden, was vorher auch schon erkennbar war, jetzt aber nicht mehr zu Seite zu schieben ist: Keines dieser Probleme lässt sich durch den Kanzler so lösen, dass er nicht irgendeine der politischen Strömungen vergrault, die er benötigt, um seine Macht zu sichern. Manche nennen deswegen Merz schon jetzt eine „lame duck“, tatsächlich ist er aber ein Lastenesel. Zur Wahrheit gehört dabei auch: Viele dieser Lasten, die er nun zu schultern hat, sind nicht von ihm allein zu verantworten, bezeichnenderweise schaute Angela Merkel - sichtlich guter Dinge – von der Besucherempore im Reichstag dem ganzen Treiben zu. Dieser Tag, von dem viele ganz zurecht sagen, das er in die Geschichte eingehen wird,  steht denn auch nicht für eine Ursache, die die Wurzel der krisenhaften Zuspitzung der politischen Lage bildet. Er ist aber der Anlass, diese langfristigen Ursachen nicht länger leugnen zu können.

In der Kurz-Form lautet die Lehre: Der Versuch, im Stil der alten Bundesrepublik eine „Koalition der Mitte“ (freilich eben genau im Sinne dieser alten Bundesrepublik) aus den beiden Rest-Volksparteien Union und SPD zu schmieden und gleichzeitig einen Politikwechsel hinzubekommen, ist grandios gescheitert. Wir wissen nicht, wie sich die 18 Abgeordneten, die sich im 1. Wahlgang versagt haben, zwischen den beiden Koalitionspartnern aufteilen. Ziemlich sicher ist aber, dass sie sowohl aus der Union wie aus der SPD stammen. Für die schwarzen Dissidenten strahlt das Ganze viel zu wenig Wendestimmung aus, für die SPD-Abweichler ist allein die Tatsache, dass ein böser Kapitalist wie Merz Kanzler werden darf, mehr als Wende genug, die kaum zu ertragen ist. Für die einen ist die Agenda der neuen Regierung nicht rechts genug, für die anderen zu rechts. Und ganz offensichtlich schafft der gemeinsame Zugriff auf die Macht nicht die Bereitschaft zum Kompromiss. Wenn Hinterbänkler schon bei so einem zentralen Ereignis wie der Kanzlerwahl ihre Muskeln spielen lassen, kann es mit der Disziplin nicht weit her sein. Es wird mit vielen Fortsetzungen zu rechnen sein.

Vertrauen schafft man so nicht

Sollten solche Aufstände bei den Abstimmungen der kommenden Monate zur Regel werden, wird irgendwann jeder wissen, jetzt weiter auf die Beschwörung des Status quo zu setzen, wäre so, wie wenn man einer Fußballmannschaft vor dem Endspiel einer Meisterschaft kannenweise Baldrian-Tee einflößt. Wirkt beruhigend, aber gewinnen werden die Anderen. Vor allem in der Union wird die Sensibilität für diese politische Lage zunehmen. Denn genauso wie klar ist, dass sich im politischen Betrieb etwas ändert, so ist auch deutlich, dass diese Änderung im Zeichen einer Wende nach rechts stehen wird. Dafür sprechen nicht nur die Wahlergebnisse wie aktuelle Umfragewerte, man sieht es auch in den Reaktionen eines nicht geringen Teils der Bevölkerung auf die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch. Für die meisten, die sich eine Regierung rechts der Mitte wünschen, wird dies zunehmend irrelevant – man mag es beklagen oder nicht.

Das bedeutet für die AfD: Es bieten sich ihr Chancen. Der Groll in der Union auf die Sozialdemokraten ist an diesem Tag gewachsen. Nun hat man den Sozis bis zur Grenze der politischen Selbstaufgabe Zugeständnisse im Koalitionsvertrag gemacht und dann werden doch noch einige von ihnen zu Verrätern. Vertrauen schafft man so nicht. Freilich die AfD ist trotz dieser Anschlussmöglichkeiten in ihrem Auftritt gegenüber der Union unentschieden:  Es gibt sie ja, die eher Gemäßigten, die gerne mitregieren würden. Aber es gibt auch andere, vorneweg der ehemalige CDUler Maximilian Krah, die die „Zerstörung der Union“ als Ziel ausgerufen haben. Wenn Alice Weidel heute nur wieder den alten Refrain von dem Wahlbetrüger Merz gesungen hat, spricht das dafür, dass es keine endgültige Richtungsentscheidung gegeben hat – auch hier hoffen im Moment noch viele auf den Status quo, der zugebenermaßen für die Partei auch angenehm ist. Die Werte steigen unablässig und die Konkurrenz macht den besten Wahlkampf für die AfD. Aber auch damit wird es nicht weitergehen. Es wird zu neuen Zäsuren kommen. Vielleicht schon in einigen Wochen, vielleicht erst in ein paar Monaten. Ob noch mit dem gleichen Personal, das ist eine spannende Frage. Merz könnte schon bald als Kanzler, der in die Außenpolitik flüchtet, von Jens Spahn und Markus Söder eingerahmt werden. Alice Weidel scheint relativ fest zu sitzen – aber wer weiß. So spannend wie jetzt war es in der Hauptstadt jedenfalls schon lange nicht mehr. 

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