Zu einer hitzigen Kontroverse geriet eine Debatte über das vermeintliche „Recht auf Abtreibung“ am Mittwochabend im Europäischen Parlament in Straßburg. Für die noch bis Ende Juni amtierende französische EU-Ratspräsidentschaft erinnerte Ministerin Isabelle Rome an den Vorschlag von Präsident Emmanuel Macron, ein „Recht auf Abtreibung“ in der EU-Grundrechtecharta zu verankern. Sie begründete dies damit, dass die EU „einen Fortschritt bei den Rechten der Frau“ brauche.
EU ist nicht zuständig
Die Ministerin räumte ein, dass die EU für die juristische Regelung der Abtreibung keinerlei Zuständigkeit besitzt und sich nicht in die nationale Gesetzgebung einmischen darf. Gleichzeitig beharrte sie jedoch darauf, es sei „eine geschlechtsspezifische Art von Gewalt, die Rechte von Frauen zu leugnen“. 45 Prozent aller Abtreibungen weltweit seien gefährlich; sie beträfen mehrheitlich Frauen in armen Ländern und bei marginalisierten Gruppen. Die EU anerkenne „die Grundrechte der Frauen, frei und verantwortungsbewusst hinsichtlich ihrer Sexualität zu entscheiden“. Dazu gehörten „die sexuellen und reproduktiven Rechte“. Auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, betonte den Einsatz der EU „für den Schutz der reproduktiven Rechte“.
SPD-Abgeordnete spricht von „Zwangsschwangerschaft“
Nicht nur Europaabgeordnete der Linken, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen plädierten in Straßburg für ein „Recht auf Abtreibung“ und argumentierten mit den sexuellen und reproduktiven Rechten der Frau. Auch die schwedische Christdemokratin Arba Kokolari nannte es „absurd, sich im Jahr 2022 noch über das offensichtliche Recht der Frau, über ihren Körper zu entscheiden, debattieren zu müssen“. Es sei ein Freiheitsrecht der Frauen, zu entscheiden, wie sie leben wollen.
Der kroatische Sozialist Predrag Fred Matic geißelte „internationale Bedrohungen für die Abtreibungsrechte“, insbesondere in den USA. Dort drohe ein „Alptraum für viele Frauen“. Samira Rafaela von der liberalen Renew-Fraktion kritisierte eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten wegen restriktiver Zugänge zur Abtreibung. Sie forderte: „Wir sollten die europäischen Verträge ändern. Das Recht auf Abtreibung ist ein Menschenrecht und muss jetzt in die EU-Verträge aufgenommen werden.“
Form der Gewalt
Alice Kuhnke von den Grünen bezeichnete es als „Grundrecht, zu bestimmen, wann, wo und wie Frauen schwanger werden“. Die bayerische SPD-Abgeordnete Maria Noichl (SPD) nannte die Verweigerung von Verhütungsmitteln oder von Informationen zur Abtreibung „eine Form der Gewalt“. Noichl wörtlich: „Eine verweigerte Abtreibung ist eine Zwangsschwangerschaft“.
Energischer Widerspruch kam etwa aus der konservativen ECR-Fraktion. Margarita de la Pisa Carrion von der spanischen VOX sagte: „Eine Abtreibung ist ganz schrecklich. Man sollte sich die Frauen anhören, die eine Abtreibung hinter sich haben. Man erlebt eine fürchterliche Leere.“
Hilfe statt Strafe
Die menschliche Würde sei zu akzeptieren. Jadwiga Wisniewska von der polnischen Regierungspartei PiS meinte, Abtreibung sei „kein Grundrecht und kein Gegenstand internationaler Rechtsvorschriften“. Jeder Mensch habe ein Recht auf Leben.
Gegen beide Seiten sprach sich der mittlerweile fraktionslose Jörg Meuthen aus, der einst für die AfD ins Europäische Parlament eingezogen war. Das Thema sei „massiv ideologisch aufgeladen“, denn beide Seiten würden sich „immer weiter radikalisieren“, sagte Meuthen. Er meinte, Abtreibung sei kein Verhütungsmittel und dürfe nie zur Routine werden. Gleichzeitig plädierte Meuthen für Hilfe statt Strafe: Das Strafrecht sei kein geeignetes Mittel. DT/sba
Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost einen umfassenden Bericht über die Diskussion des EU - Parlamentes um ein angebliches "Recht auf Abtreibung".