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EKD-Synode streitet über Stellungnahme des Rates zur Abtreibungsregelung

Kritiker einer Liberalisierung in der Mehrheit – Einzelne Synodale fordern eine Überarbeitung.
Synode der EKD
Foto: IMAGO/Heike Lyding (www.imago-images.de) | In einer Anfang Oktober veröffentlichten Stellungnahme hatte sich der Rat der EKD für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung ausgesprochen und eine rechtliche Regelung vorgeburtlicher Kindstötungen bis zur 22.

Die umstrittene Stellungnahme des Rats des EKD zu einer möglichen Zukunft der Abtreibungsgesetzgebung in Deutschland, hat bereits am ersten Tag hohe Wellen auf der am Sonntag in Ulm begonnenen EKD-Synode geschlagen. Dies berichten übereinstimmend der Evangelische Pressedienst (epd) und die Evangelische Nachrichtenagentur „idea“.

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In der Anfang Oktober veröffentlichten Stellungnahme hatte sich der Rat der EKD für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung ausgesprochen und eine rechtliche Regelung vorgeburtlicher Kindstötungen bis zur 22. Schwangerschaftswoche außerhalb des Strafrechts ins Gespräch gebracht. Laut epd waren die Kritiker bei der kontroversen Aussprache in Ulm in der Mehrheit. Zu den prominentesten gehörte der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel.

„Doppelte Anwaltschaft für Mutter und Kind“

Rachel, der selbst Mitglied des Rates der EKD ist, sagte, er habe im Rat gegen die Stellungnahme gestimmt. Der Grund: Die geltende gesetzliche Regelung gewährleiste eine „doppelte Anwaltschaft für Mutter und Kind“. In Ulm erinnerte der CDU-Politiker die Synodalen außerdem daran, wie schwierig es gewesen sein, sich auf diesen Kompromiss zu einigen, der Abtreibungen grundsätzlich verbietet, innerhalb bestimmter Fristen aber nach einer Beratung straflos stelle. Daher solle man ihn nun „nicht ohne Not aufkündigen“.

Zudem habe man in dieser Frage bislang mit den katholischen Glaubensgeschwistern übereingestimmt. Rachel: „Ist es eigentlich gut, dass beide Kirchen wiederholt in wesentlichen Lebensfragen getrennt voneinander gehen?“ Der CDU-Politiker erklärte ferner, er frage er sich, welche Botschaft die EKD mit dieser Stellungnahme eigentlich an Menschen mit Behinderung sende. Er wünsche sich, „dass wir als Kirche an der Seite der Schwächsten stehen“, so Rachel.

Synodale fordern Überarbeitung der Stellungnahme

Der Präses des Evangelischen Gnadenauer Gemeinschaftsverbandes, Steffen Kern, forderte, über die Position der evangelischen Kirche nochmals zu diskutieren und eine neue Stellungnahme zu formulieren. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“, die unter anderen prüfen soll, ob und gegebenenfalls wieweit, die Vornahme vorgeburtlicher Kindstötungen außerhalb des Strafrechts geregelt werden könne, hatte dazu bei zahlreichen Verbänden und Organisationen, darunter auch den Kirchen, Stellungnahmen erbeten.

Dabei würdigte Kern den Paradigmenwechsel „von gesinnungsethischen Postulaten“ hin zu einer „verantwortungsethischen Differenzierung“, den die jetzige Stellungnahme vollziehe. Zu begrüßen sei auch, dass die Stellungnahme die Verantwortung der Gesellschaft betone. 

Allerdings werde der Text dem eigenen Anspruch nicht gerecht. Ihm zufolge hätten ungeborene Menschen in einem frühen Stadium der Schwangerschaft offenbar weniger Recht auf Leben und einen geringeren Schutzstatus. Auch fehle dem Papier eine eindeutige Positionierung zum verfassungsrechtlichen Schutz Ungeborener. Das sei ein eklatanter Mangel. Viele evangelische Christen fühlten sich durch das Votum des Rates nicht vertreten. 

Meinungsbildung in der EKD nicht abgeschlossen

Christine Axt-Piscalar, Professorin für Systematische Theologie an der Georg-August-Universität in Göttingen, plädierte gar dafür, dass der Rat gegenüber der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission deutlich mache, dass die Meinungsbildung zu diesem Thema in der EKD nicht abgeschlossen sei. Der Vorsitzende der „Christus-Bewegung Lebendige Gemeinde“ in Württemberg, Pfarrer Friedemann Kuttler, erklärte, er sei über die Stellungnahme „sehr irritiert“. Ihm fehle eine theologische Grundlegung. Maßstab für eine Neupositionierung könnten auch nicht gesellschaftliche Veränderungen, sondern müssten die Bibel und die Nachfolge Jesu sein. Der Einsatz für das ungeborene Leben sei für Christen eine Kernaufgabe.

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus, die in ihrem Bericht zu einem gemäßigteren Ton in der Debatte über die Flüchtlingspolitik aufgerufen und dabei kritisiert hatte, es werde von „Zahlen“ gesprochen, als ginge es „um eine mittelschwere Matheaufgabe“, dabei rede, „wer von Migration rede, von Menschen“, ergriff in der Aussprache zu der umstrittenen Stellungnahme des Rates nicht das Wort.

Statt ihrer verteidigte die Stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende, Kirsten Fehrs, das Papier. Ihr zufolge müsse es darum gehen, die steigende Zahl von Abtreibungen zu verringern. Die Stellungnahme stehe sowohl inner-evangelisch als auch ökumenisch „am Beginn, nicht am Ende der Diskussion“. Sie sei ein Perspektivwechsel weg „von der einzelnen schwangeren Frau und deren Situation“ und hin „zu der gesellschaftlichen Situation, die es weit besser als jetzt ermöglichen muss, ein Kind auszutragen“. Leitgedanke sei es, „Abtreibung in möglichst großem Umfang zu verhindern“. Schwangere solle man nicht bestrafen, sondern unterstützen. Dabei bestreite der nicht, dass eine Abtreibung „theologisch, ethisch und lebensbiografisch prekär ist“.

Synode tagt noch bis Mittwoch

Zuvor hatte der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, die Ansicht vertreten, die evangelische Kirche müsse sich für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzen. In seiner Predigt beim Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode in der Ulmer Martin-Luther-Kirche sagte Gohl, die Kirche dürfe sich nicht dem Zeitgeist anpassen. Ihr alleiniger Maßstab sei das Wort Gottes. Vieles, was Christen zu sagen hätten, sei für andere Menschen in der Gesellschaft unbequem. Das gelte auch für das Eintreten für den Schutz des ungeborenen Lebens. Er sei aber der Überzeugung, dass das menschliche Leben „vom Anfang bis zum letzten Atemzug Gottes Gabe ist und deshalb unantastbar bleibt“. Darüber dürfe er um seines Glaubens willen nicht schweigen. Gohl: „Ich glaube, Gott ist ein Freund des Lebens.“

Anfang November hatte sich Gohl in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, öffentlich gegen eine Änderung der geltenden Abtreibungsgesetzgebung ausgesprochen und Kritik an den Stellungnahmen des Rats der EKD geübt. Die 128 Delegierten der EKD-Synode tagen noch bis zum 15. November. Die EKD versteht sich als Gemeinschaft von 20 lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen, zu denen 19,2 Millionen Mitglieder gehören.  DT/reh

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