Nachdem der Oberste Gerichtshof des US-amerikanischen Bundesstaates Alabama festgestellt hat, dass künstlich erzeugte Embryonen Kinder sind und daher, wie alle anderen Kinder auch, unter den „Alabama’s Wrongful Death of a Minor Act“ fallen, der Eltern das Recht gibt, im Falle ihrer widerrechtlichen Tötung Schadensersatzansprüche geltend zu machen, hat die Reproduktionsindustrie ihr Geschäft vorübergehend eingestellt. Die Mehrheit der Politiker in dem Südstaat will das nicht hinnehmen und hat daher in Windeseile eine Gesetzesvorlage auf den Weg gebracht, die Einrichtungen und Personal „straf- und zivilrechtliche Immunität“ für jede Dienstleistung zusichert, die von ihnen im Zusammenhang mit künstlichen Befruchtungen erbracht werden. Der Vorstoß republikanischer Senatoren, den das Repräsentantenhaus am Donnerstag bei drei Enthaltung mit 94 gegen 6 Stimmen befürwortete und den der Senat gar einstimmig begrüßte, dürfte kommende Woche endgültig beschlossen werden und noch am selben Tag in Kraft treten.
Angemessener Umgang
Ob aus Mitleid mit Paaren, die anders nicht zu genetisch verwandten Kindern kommen können, ob aus ökonomischen Gründen – die Reproduktionsindustrie ist eine, die riesige Gewinne erwirtschaftet – kann dahin gestellt bleiben. Relevant ist allein der Umgang mit der Wirklichkeit. Und der ist nicht nur besorgniserregend, er ist auch symptomatisch. Die Frage, die ihm zugrunde liegt, lautet: Müssen Menschen sich angemessen zu der Wirklichkeit verhalten, die sie vorfinden oder dürfen sie sich eine Wirklichkeit konstruieren, die zu ihren Interessen passt? Die Antwort ist klar: Selbstverständlich müssen Menschen sich bemühen, sich angemessen zu der Wirklichkeit zu verhalten, die sie vorfinden.
Frieden und Wohlfahrt gibt es nur in funktionierenden Gesellschaften
Auf dem Feld der Mechanik ist das jedem klar. Maschinen müssen so gebraucht und gewartet werden, wie es ihre Konstruktion erfordert, andernfalls versagen sie ihren Dienst. Gesellschaften sind keine Maschinen. Aber sie funktionieren ähnlich. Frieden und Wohlfahrt, also das reibungsarme Funktionieren von Gesellschaften, gibt es nur, wenn sich ihre Mitglieder so verhalten, wie es der Wirklichkeit entspricht. Politiker haben dem Frieden und der Wohlfahrt derer zu dienen, die sie repräsentieren. Konstruieren sie Wirklichkeiten, die ihren Interessen dienen, werden sie zu Säleuten des Unfriedens.
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