Seit Wochen sorgen die beiden Stellungnahmen des Rates des EKD und ihres Wohlfahrtsverbandes „Diakonie“ zu einer Neuregelung der Abtreibungsgesetzgebung, die nach den Wünschen der Ampelregierung möglichst außerhalb des Strafrechts stattfinden soll, für anhaltende Kritik. Von einem „Paradigmenwechsel“ und einer „Schwächung des Schutzes des ungeborenen Lebens“ war die Rede. Dem Rat der EKD wurde gar vorgehalten, eine „gottlosen“ Stellungnahme verfasst zu haben. Tatsächlich kommt das Wort „Gott“ dort kein einziges Mal vor.
Mittlerweile hat sich selbst die frühere Ratsvorsitzende und ehemalige Landesbischöfin Margot Käßmann den Kritikern angeschlossen und sich für die Beibehaltung des § 218 StGB ausgesprochen. Und auch auf der am Mittwoch in Ulm zu Ende gegangenen EKD-Synode übten die Synodalen ganz überwiegend Kritik an den Stellungnahmen.
Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einmal korrigiert es den Eindruck, das Eintreten für den Schutz des Lebens ungeborener Kinder sei bei den Protestanten alleinige Domäne der Freikirchen. Dem ist – wie die Synode in Ulm gezeigt hat – erfreulicherweise nicht so. Der Lebensschutz ist, anders kann man das nicht deuten, nicht nur den Evangelikalen ein Anliegen, auch wenn diese zweifellos zu denjenigen zählen, die das Thema durch Veranstaltungen und ihre Teilnahme am jährlichen „Marsch für das Leben“ in Berlin immer wieder auch in das öffentliche Bewusstsein heben.
Sodann legt das Ausmaß der Kritik den Schluss nahe, dass weder der Rat der EKD noch die Diakonie ihre Stellungnahmen mit irgendwem abgesprochen haben. Dazu hätte es aber allen Grund gegeben. Denn einmal verlässt der Rat der EKD mit seiner Stellungnahme den Boden dessen, was mit der Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ bislang als Konsens galt; Konsens, nicht bloß mit den katholischen Glaubensgeschwistern, sondern eben auch innerhalb EKD. Zudem hätte die Ablehnung der Stellungnahme durch prominente Ratsmitglieder – bekannt haben sich hierzu bisher der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel sowie der ehemalige Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Michael Diener – den Verantwortlichen eigentlich den Diskussionsbedarf aufzeigen müssen, den verschiedene Synodale in Ulm nun vehement eingefordert haben. Zugespitzt ließe sich formulieren: Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus und ihre Getreuen haben ein derart heikles Thema wie die Abtreibungsgesetzgebung nach Gutsherrenart entschieden, sind dabei jedoch vom Pferd gefallen.
Lebensschutz ist nicht nur Sache der „Neuen Rechten“
Auch den Medien müsste die Kritik, die auf der Ulmer Synode an den Stellungnahmen von EKD und Diakonie geübt wurde, zu denken geben. Sie passt nämlich so gar nicht zu dem landauf, landab kolportierten Bild, wonach das öffentliche Eintreten für den Schutz des Lebens ungeborener Kinder eine Sache der „Neuen Rechten“ sei. Man darf gespannt sein, wie es nun weitergeht. Eigentlich müsste der Rat der EKD seine Stellungnahme zurückziehen oder zumindest der von der Bundesregierung berufenen Kommission mitteilen, dass der Meinungsbildungsprozess innerhalb der EKD noch nicht abgeschlossen sei, wie dies etwa die Synodale Christine Axt-Piscalar, Professorin für Systematische Theologie an der Georg-August-Universität in Göttingen, in Ulm gefordert hat. Die Politik wiederum hat keinen Grund, sich länger vorzugaukeln, mit Ausnahme der Lebensrechtsverbände und der katholischen Bischöfen werde niemand an einer Neuregelung der Abtreibungsgesetzgebung Anstoß nehmen. Wenn die letzten Wochen eines gezeigt haben, dann doch, dass wer Wind sät, auch tatsächlich Sturm ernten wird.
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