Lebensrechtler blicken mit Skepsis auf den Entwurf des Koalitionsvertrags von Union und SPD. Dass CDU und CSU, „der Forderung der SPD eine Reform des § 218 StGB in den Koalitionsvertrag aufzunehmen“, nicht nachgegeben hätten, sei „eine gute Nachricht“, erklärte die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Cornelia Kaminski. Angesichts des enormen Drucks, der etwa „von den SPD-Frauen ausgeübt wurde, die dies zur Voraussetzung für ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag gemacht hatten“, sei dies „sicher nicht einfach gewesen.“ „Ganz offensichtlich wurde dafür jedoch ein hoher Preis gezahlt.“
ALfA beklagt extremes Missverhältnis von Abtreibungseinrichtungen und Kreissälen
So heiße es „Zur Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen“ (S. 102): „Wir wollen Frauen, die ungewollt schwanger werden, in dieser sensiblen Lage umfassend unterstützen, um das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen. Für Frauen in Konfliktsituationen wollen wir den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen.“ Zur Geburtshilfe (S. 111) heißt es jedoch: „Zugang zur Grundversorgung, insbesondere in der Gynäkologie, Geburtshilfe und Hebammenversorgung sichern wir flächendeckend.“ Kaminski: „Es gibt noch ca. 600 Kreissäle in Deutschland, aber fast doppelt so viele Einrichtungen, in denen abgetrieben werden kann. Eine Frau, die innerhalb der ersten zwölf Wochen ihrer Schwangerschaft die Tötung ihres ungeborenen Kindes vornehmen lassen möchte, soll dies also bequem in Wohnortnähe tun können, einer Hochschwangeren mit Geburtswehen wird jedoch lediglich zugesichert, es werde „flächendeckend“ Kreissäle geben. Das verstehe wer will.“
Anstoß nimmt die ALfA-Bundesvorsitzende auch an einem weiteren Passus des Entwurfs des Koalitionsvertrages. Zur Finanzierung vorgeburtlicher Kindstötungen heißt es auf S. 102: „Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus.“ Kaminski: „Die derzeit geltende Regelung sieht vor, dass Frauen mit geringem Einkommen oder wenn sie Sozialleistungen beziehen, die Kosten für Abtreibungen nach der Beratungsregelung aus dem Sozialhaushalt der Länder erstattet bekommen. Organisiert wird dies über die Krankenkassen, die im Auftrag des Staates zahlt, und zwar nicht aus der Krankenversicherung, sondern aus staatlich finanzierten Mitteln.“
Einführung der Abtreibung auf Krankenschein droht
Weil die Bedürftigkeit nicht nachgewiesen werden müsse, werden bereits heute „ein Großteil der Abtreibungen“ auf diese Weise finanziert. Wichtig sei aber auch: „Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass bei Abtreibungen ein Mensch getötet wird, und Straftaten prinzipiell nicht von der Gemeinschaft der Versicherten bezahlt werden müssen“. Sollte die Koalition nun anstreben, „Abreibungen zur Kassenleistung zu machen, hätte dies zur Folge, dass vorgeburtliche Kindstötungen zu einer Gesundheitsdienstleistung werden – ungeachtet der Tatsache, dass sie nicht heilen, sondern einen unschuldigen Menschen töten“. Kaminski: „Ist der Schritt zur Abtreibung auf Krankenschein erst einmal gemacht, wäre dies nach der Streichung des Werbeverbots für Abtreibung durch die Ampelkoalition eine erneute Verwässerung des Schutzkonzeptes für das Leben ungeborener Menschen.“
Mit „gemischten Gefühlen“ blickt auch die Bundesvorsitzende der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), Susanne Wenzel, auf den Koalitionsvertrag. „Die angekündigte Umsetzung des längst überfälligen Suizidpräventionsgesetzes“ werde von der CDL „ausdrücklich begrüßt“. Auch die „Maßnahmen zur Stärkung von Familien, wie die Verbesserung des Elterngeldes oder die geplante Aufstockung der Frühen Hilfen ab Schwangerschaft“, seien zu befürworten.
Wenzel: These der Unterversorgung abtreibungswilliger Frauen ist längst „widerlegt“
Kritisch bewerten die Christdemokraten hingegen die Formulierung „Für Frauen in Konfliktsituationen wollen wir den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen“. Dahinter stehe „die Behauptung von Abtreibungsbefürwortern, es gebe eine Unterversorgung mit Abtreibungseinrichtungen“, so Wenzel. Eine Behauptung, die „der von der CDU/CSU-Fraktion geladene Sachverständige“ bei der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags Anfang Februar jedoch „widerlegt“ habe.
„Für die über 106.218 Abtreibungen, die im Jahr 2023 in Deutschland durchgeführt wurden, gab es 1.104 Abtreibungseinrichtungen, während für die 692.989 Geburten im selben Jahr lediglich 606 Einrichtungen zur Geburtshilfe zur Verfügung standen“, so Wenzel, die eine „bedrohliche“ Verschiebung der „Prioritäten“ beklagt. Die „Absicht der Koalition, die Kostenübernahme von Abtreibungen durch die gesetzliche Krankenversicherung ,über die heutigen Regelungen hinaus‘ erweitern und auch die medizinische Weiterbildung auf diesem Gebiet ,stärken‘“ zu wollen, käme „einer Förderung von Abtreibungen gleich“. Mit einem „bestmöglichen“ Schutz von Kindern im Mutterleib habe es nichts zu tun.
Breit angelegte Studie erforderlich
„Ziel einer Koalition, die den ,bestmöglichen Schutz ungeborenen Lebens‘ verwirklichen will, muss die Prävention von Abtreibungen und die Unterstützung von schwangeren Frauen in Konfliktlagen sein. Hierzu gehört aus Sicht der CDL eine Verbesserung der Beratung- und Hilfsangebote, wie es die CDU/CSU auch im Wahlprogramm angekündigt hatte. Aus Sicht der CDL bedarf es hierzu der Untersuchung der Ursachen von Schwangerschaftskonflikten in einer breit angelegten Studie, die auch die staatlich anerkannten Beratungseinrichtungen einbezieht. Nur auf der Grundlage einer möglichst breiten Datenlage können Erkenntnisse über die tatsächlichen Ursachen von Konfliktsituationen gewonnen werden“, so Wenzel weiter.
Es bleibe abzuwarten, „wie die einzelnen Ankündigungen in die Realität umgesetzt werden“. Die gegensätzlichen Vorstellungen der Koalitionäre könne man in diesem Koalitionsvertrag „gerade zum § 218 StGB“ erkennen. Letztlich würden „die für die Vorhaben benötigten Mehrheiten im Deutschen Bundestag den endgültigen Kurs bestimmen“. DT/reh
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.