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Die SPD und das Märchen vom nackten Kanalarbeiter

Der SPD fehlen die Typen, die ihr altes Kernklientel ansprechen. Es gibt keine „Kanalarbeiter“ mehr. Das zeigt sich auch am Hin und Her um das Sicherheitspaket.
726. Stoppelmarkt - Olaf Scholz begeistert die Zuhörer
Foto: IMAGO/nordphoto GmbH / Kokenge (www.imago-images.de) | Olaf Scholz ließ es sich nicht nehmen, beim 150. Jubiläum von Brenntag, einem Traditionsunternehmen der Chemie-Branche in Essen, zu sprechen, trotz großer zeitlicher Belastung mit EU-Gipfel und Biden-Besuch.

In der SPD gab es früher die „Kanalarbeiter“. Das waren diejenigen, die in der Bundestagfraktion den rechten Flügel repräsentierten. In gewisser Weise ist der Seeheimer Kreis ihr Nachfolger. Aber eben auch nur in gewisser. Bei den „Kanalarbeitern“ – der Name ist Programm – war alles handfester. So protestierten sie etwa einmal gegen zu kleine Portionen in der Bonner Bundestagskantine und brachten kurzerhand selbst Würstchen mit.

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Allein die Würstchen (ja, das ist Fleisch) würden heute wahrscheinlich bei manchen Jusos zur sofortigen Schnappatmung sorgen. Olaf Scholz jedenfalls wäre sicher ganz froh, wenn er solche „Kanalarbeiter“ noch in seiner Truppe hätte. Das war schon in seinem „Respekt“-Wahlkampf zu spüren. Das alte Kernklientel der Sozis wollte er zurückerobern, den hart arbeitenden Facharbeiter, der für sich und seine Familie schafft. Das klappt aber eben nicht nur über Sätze im Wahlprogramm, es braucht Politiker, die auch in dieser Lebenswelt verwurzelt sind. Kernige Typen eben wie die „Kanalarbeiter“. Aber stattdessen reden Sozi-Funktionäre lieber von der „arbeitenden Mitte“. Da hören höchstens verkrachte Soziologiestudenten zu, aber nicht die Männer, die bei VW am Band stehen.

Scholz will die SPD wieder zur Industrie-Partei machen

Scholz meint es jedenfalls ernst damit, seine SPD wieder zur Industrie-Partei zu machen. Der Kanzler ließ es sich nicht nehmen, beim 150. Jubiläum von Brenntag, einem Traditionsunternehmen der Chemie-Branche in Essen, zu sprechen, trotz großer zeitlicher Belastung mit EU-Gipfel und Biden-Besuch. Man könnte sagen: die „Aktion Kanalarbeiter“ läuft. Wird sie aber auch zu einem positiven Ende führen?

Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa/Montage pwi | Woche für Woche berichtet unser Berlinkorrespondent in seiner Kolumne über aktuelles aus der Bundeshauptstadt.

Es gibt das schöne Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Der exaltierte Monarch sucht ständig nach neuen ausgefallenen Gewändern. Schließlich behaupten die Schneider – in der Politik wären das dann wohl die Spin Doctors – sie hätten ein besonders prachtvolles Gewand geschaffen. Der Kaiser lässt sich vertrauensselig ankleiden und präsentiert sich in einem Festumzug dem Volk. Doch dann ruft ein Kind die Wahrheit aus: „Der Kaiser ist ja nackt.“

Auch Scholz mag denken, wenn er und seine Funktionärskollegen nun zumindest geistig den Blaumann anlegen und die Union als „Merz-CDU“, also als vermeintliches politisches Büttel des bösen Blackrock-Kapitalisten, beschimpfen, würde das ausreichen, um die SPD wieder in glorreiche Arbeiterpartei-Zeiten zu führen. Doch wo ist das Kind, das die Wahrheit sagt: „Der Kanalarbeiter ist ja nackt.“

Durch die Hintertür zur Vertrauensabstimmung

Vielleicht war es der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer, ja tatsächlich so etwas wie der Chef des Partei-Kindergartens. Der ist qua Amt automatisch eine Stimme des linken Flügels. Auch wenn man diese Richtung nicht teilen will, so kann man doch feststellen, dass Türmer den Finger in eine Wunde gelegt hat, die auch künftig Scholz noch zu schaffen machen wird. Er warf dem Kanzler vor, dieser habe in unzulässiger Weise die Kritiker des sogenannten „Sicherheitspaketes“ unter Druck gesetzt. Nach Medienberichten hatte Scholz nämlich vor der Fraktion gedroht, wer das Paket ablehne, der stelle auch seine Autorität in Frage. So hatte der Kanzler die Abstimmung quasi hintenrum zu einer Art Vertrauensabstimmung umfunktioniert. 

Die hat er zwar gewonnen. Am Freitag gab es eine Mehrheit für das Paket im Bundestag (Dass Teile des Paketes dann später nicht durch den Bundesrat kamen, lag daran, dass Bayern und Berlin die neuen Bestimmungen nicht weit genug gehen. Ist also noch einmal eine andere Baustelle.) Aber das Grundproblem bleibt: Einer „Kanalarbeiter-SPD“ müsste klar sein, dass es bei Sicherheit nicht nur um die soziale Frage geht, sondern eben auch die innere Sicherheit gemeint ist.

Gäbe es wirklich so etwas wie einen rechten Flügel der Sozialdemokratie, so müssten deren Vertreter nun rufen: „Wir haben den Kanal noch lange nicht voll.“ Also noch viel schärfere Maßnahmen fordern, als sie jetzt mit dem Paket abgedeckt sind. Dann würden sie auch wieder zur Stimme der Facharbeiter. Scholz mag ja verstanden haben, dass nur auf so einem Weg die SPD zu retten ist. Solange so ein Ansatz aber nicht personell unterfüttert ist, solange Saskia Esken an der Spitze steht und kein alter Sozi-Haudegen mit Industrie-Erfahrung, bleibt das Ganze nur eine verkopfte Vision. Und wie sagte doch Helmut Schmidt, einer der Heroen der historischen „Kanalarbeiter“, einmal: „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen.“   

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