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SPD: Keine Partei der kleinen Leute mehr

Der Rückzug von Kevin Kühnert ist ein Symptom für den Niedergang einer Partei, in der so einiges falsch läuft. Eine Analyse.
Kevin Kühnert zieht sich aus Politik zurück
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Für den zuletzt beschleunigten Niedergang seiner Partei trug Kevin Kühnert als SPD-Generalsekretär große Mitverantwortung. Zunehmend verliert Kühnerts SPD ihren Status als Volkspartei. Dafür gibt es viele Gründe.

Am Montag hat Kevin Kühnert aus gesundheitlichen Gründen seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Die SPD wird an ihrer Spitze ohne ihren eloquenten Strippenzieher auskommen müssen. Für den zuletzt beschleunigten Niedergang seiner Partei trug er als SPD-Generalsekretär große Mitverantwortung. Zunehmend verliert Kühnerts SPD ihren Status als Volkspartei. Dafür gibt es viele Gründe.

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So schrumpft gemäß Umfragen die SPD-Wirtschaftskompetenz. Das gehört zu den großen Problemen der Partei. Denn deren Wählerpotenzial umfasst neben Leistungsnehmern auch Leistungsträger, die mit ihren Steuern und Sozialbeiträgen den (Wohlfahrts-)Staat mitfinanzieren. Im Kontrast dazu wächst der Eindruck, die SPD interessiere sich mehr für Transfergeld-Empfänger als für Leistungsträger. Die meisten Leute, darunter viele fleißige Facharbeiter, verstehen immer weniger, warum der Sozialstaat pro Jahr eine zweistellige Milliarden-Summe für das Bürgergeld ausgibt, von dem nicht nur wirklich Bedürftige profitieren, sondern auch Leute, die legal arbeiten könnten, es aber nicht wollen – während es einen wachsenden Arbeitskräftebedarf gibt. Die Mehrheit aller Befragten kritisiert das Bürgergeld, das in seiner aktuellen Ausgestaltung mehr fördert als fordert.

Kein Gespür für die Lebensrealität ihrer Wähler

Auch mit anderen Topthemen fremdelt die SPD. Gerade die hohe Zuwanderung der letzten Jahre beunruhigt auch weite Teile der potenziellen SPD-Wählerschaft. Stärker als andere Teile der Gesellschaft konkurrieren insbesondere „kleine Leute“ mit Migranten etwa um Wohnraum und Kitaplätze. Sorgen und Ängste wegen des hohen Zuzugs grassieren zum Beispiel unter Verkäufern, Paketzustellern, Reinigungskräften und Dachdeckern. Daher fordern auch integrierte Migranten und eben „kleine Leute“, die hohe Zuwanderung deutlich zu senken und reale Integrationsprobleme nicht schön- oder kleinzureden, sondern anzusprechen und anzupacken.

Die Mehrheit plädiert für eine Migrationspolitik, die weder weiteren Massenzuzug ermöglicht, noch eine Quasi-Komplett-Abschottung Deutschlands betreibt, sondern ohne Über- oder Untertreibungen auf Maß und Mitte setzt. Auch in den kommenden Jahren wird eine differenziert-konsequente Asylpolitik erforderlich sein, da vor allem eine Begrenzung der Zuwanderung zur Integration beiträgt – dagegen verfolgt der russische Diktator Putin seit Jahren das strategische Ziel, durch seine verbrecherischen Kriege in Syrien und der Ukraine massenhaft Menschen in westliche Länder zu vertreiben, um dort Konflikte zu eskalieren und kremltreue Extremisten zu fördern.

Bei allen Unterschieden schafften es moderat-gemäßigte Parteien jüngst in anderen rechtsstaatlichen Demokratien, zum Beispiel in Dänemark, rechtspopulistische beziehungsweise -extremistische Kräfte vor allem durch eine differenziert-konsequente Migrationspolitik etwa durch erhebliche Leistungskürzungen stark zurückzudrängen, ohne Demokratiefeinde zu kopieren. Durch den Kurswechsel der gemäßigten Parteien, gerade der Sozialdemokraten, in Dänemark gelang es, vor allem viele Arbeiterstimmen für demokratische Politik zurückzugewinnen.

Ebenfalls vernachlässigt die SPD seit Jahren den Kampf gegen Kriminalität, darunter Einbrüche, Diebstahl, Raub und rohe Gewalt. Doch vor allem im schwachen Staat erklingen Rufe nach einem „starken Mann“. Im Kontrast zur Rhetorik vieler SPD-Funktionäre fürchtet sich die große Mehrzahl der Normalbürger mehr vor (privaten) Verbrechern als vor einem angeblichen Überwachungsstaat. Die meisten Wahlberechtigten entscheiden sich im Zweifel eher für ihre körperliche Unversehrtheit als für informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz. Kriminalität und Intensivtäter zu bekämpfen, gehört nicht zu Rand-, sondern zu den Topthemen der politischen Mitte. Im Unterschied zu den oberen Zehntausend können sich gerade „kleine Leute" kaum einen Wohnsitz in „gated communities“ leisten.  

Kein Sinn für die Innere Sicherheit

Stattdessen setzt die SPD auf diverse Randthemen. Kaum interessiert viele „kleine Leute“, darunter viele Frauen, zum Beispiel das weit abgehobene SPD-Thema einer gendergerechten Sprache. Dadurch wird die politische Sprache noch komplizierter – zum Nachteil „kleiner Leute“ und zum Vorteil von Populisten. Viele Normalbürgern drücken ganz andere Probleme, unter anderem hohe Preise. In der demoskopisch gemessenen Prioritätenskala der Wahlberechtigten rangiert das Gendern ähnlich weit unten wie der erleichterte Zugang zu Cannabis, den viele Experten ablehnen, unter anderen Fachärzte und Polizeigewerkschaftler. Aus Sicht vieler Leute „draußen im Lande“ handelt es sich hierbei eher Phantomdebatten als Politik zur pragmatisch-prinzipienfesten Problemlösung.

Unsozial wirkt auch die sozialdemokratische Schuldenpolitik. Denn von höheren Schulden profitieren vor allem Banken und Reiche, bei denen sich der Staat Geld leiht. Je höher die Schulden, desto weniger Geld bleibt, um wirklich Bedürftige zu unterstützen und in Bildung zu investieren. Aktuell überweisen Bund und Länder jährlich hohe Milliardensummen allein für den Schuldendienst an Banken. Wie viele moderne Schulgebäude und Stipendien für begabte Arbeiterkinder ließen sich damit finanzieren? Hohe Schulden verschlechtern das Investitions- und Beschäftigungsklima zulasten gerade kleiner Leute. Dafür interessieren sich freilich viele SPD-Funktionäre, darunter ökonomieferne Beamte, nur wenig. In der SPD gibt es immer noch viele Funktionäre, die Kredite für normale Einnahmen halten.

Sozialdemokratische Realitätsferne

Von sozialdemokratischer Realitätsferne zeugt schließlich die desolate Bildungspolitik gerade von langjährig SPD-regierten Ländern, obwohl gerade Bildung sozialen Aufstieg fördert und „kleine Leute“ sich üblicherweise für ihre Kinder weder Nachhilfe noch teure Privatschulen leisten können, in denen es keine hohen Anteile von Schülern mit mäßigen Deutschkenntnissen gibt. Teile der Debatte über Umwelt- und Klimaschutz wiederum gelten unter potenziellen SPD-Wählern als undifferenziert und weltfremd – gerade unter dem Aspekt drohender Zusatzkosten für Strom, Heizung und Autofahren.

Zweifelhaft scheint, ob die SPD es schafft, eine konsequente Kurskorrektur oder gar eine neues „Bad Godesberg“ innerparteilich gegen realitätsferne Ideologen durchzusetzen. Eine solche Aufgabe anzugehen, ähnelte strategisch einem Sprung ins Dunkle.

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