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Die SPD kennt den kleinen Mann nicht mehr

Beim Parteitag durfte noch einmal Olaf Scholz ans Pult. Der Ex-Kanzler personifiziert das große Sozi-Problem: In der Diagnose oft gar nicht schlecht, aber keine Rezepte. Die Funktionäre wissen nicht mehr, wie ihre Wähler leben wollen.
Olaf Scholz und Vizekanzler Lars Klingbeil
Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur (www.imago-images.de) | Wenn Olaf Scholz, hier mit Vizekanzler Lars Klingbeil, ein Arzt wäre, könnte man den Patienten nur einen Rat geben: in der Diagnose gar nicht schlecht, aber alle Rezepte bitte sofort in den Müll werfen.

Olaf Scholz, kennen Sie ihn noch? Das war der Mann, der knapp vier Jahre lang Bundeskanzler war. Zumindest seine Genossen haben ihn noch nicht ganz vergessen, und so durfte der Hamburger beim SPD-Parteitag eine Art Bilanz-Rede halten. Wenn Olaf Scholz ein Arzt wäre, könnte man den Patienten nur einen Rat geben: in der Diagnose gar nicht schlecht, aber alle Rezepte bitte sofort in den Müll werfen. Der Ex-Kanzler mahnte seine Partei, dass sie sich um die zu kümmern hätten, die keine Akademiker sind, ihr Leben lang arbeiten und den Anspruch darauf hätten, sich und ihre Familie damit ernähren zu können.

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Scholz hat nach eigener Erzählung weinen müssen, als er die „Hillbilly-Elegie“ von J.D. Vance gelesen hat. Der war damals noch nicht Trumps Vizepräsident, aber Scholz hatte verstanden, dass es solche sozial Abgehängten, wie sie in dem Buch für die USA beschrieben werden, auch in Deutschland gibt. Und er erkannte hier die Aufgabe der SPD: Sie muss sich um diese Leute kümmern. Das war der Hintergrund für seinen „Respekt“-Wahlkampf, der ihn dann ja auch schließlich ins Kanzleramt gebracht hat.

Nur Phrasen und nichts dahinter

Aber was ist jenseits der Phrase davon geblieben? Die Ampel-Rezepte haben nicht ansatzweise so etwas wie einen Heilungsprozess in den angepeilten Bevölkerungsschichten ausgelöst. Wenn dort die Menschen von der Politik überhaupt Lösungen erwarten, dann sicherlich nicht von Scholz und seinen Genossen. Viel wahrscheinlicher machen sie ihr Kreuz bei der AfD.

Noch einmal ein Blick auf die Rede: Scholz erklärte dort, die SPD sei eine fortschrittliche Partei. Deswegen müsse sie immer daran glauben, dass die Zukunft besser werde. Klingt banal, aber weist auf das Kernproblem hin. Denn die Zukunftsträume von SPD-Funktionären und der von ihnen angepeilten Wählergruppen laufen diametral auseinander. Man könnte auch sagen, sie träumen aneinander vorbei.

Der Facharbeiter, der Mann am Fließband oder in der Werkshalle lebt in der Regel in klassischen sozialen Verhältnissen: verheiratet, Kinder. Von der Politik erwartet er, dass sie dafür sorgt, dass dieses Lebensmodell, das er als natürlich empfindet, materiell abgesichert ist. Für die deutschen „Hillbillies“ gilt dies genauso: Wer sein ganzes Leben als eine Aneinanderreihung von Brüchen erlebt, der will Sicherheit und Stabilität.

Die SPD weiß nicht mehr, wovon die kleinen Leute träumen

Aber die SPD mit ihren verkopften Programmen und Diplom-Sozialwissenschaftlern in den Vorständen hat keine Beziehung zu solchen Zukunftshoffnungen. Sie wissen nicht mehr, wovon die kleinen Leute in Deutschland träumen. In den Parteigremien träumt man stattdessen lieber ideologisch. Geradezu symptomatisch eine Aussage der Ex-Parteivorsitzenden Saskia Esken in einem Fernsehinterview zum Parteitag. Gefragt, wo es denn Defizite in der Parteiarbeit gebe, sagte SPD-Linke doch tatsächlich, die Anliegen der LGBTQ-Bewegung müssten noch sichtbarer werden. Das ist wirklich schon Realsatire.

Und so stellt sich sowieso die Frage, wie ernst die SPD es denn wirklich mit ihren „Respekt“-Bekundungen à la Scholz meint. Ist am Ende nicht alles nur Folklore? Irgendwann in den 70er Jahren sind große Teile dieser Partei in die Hände der „Neuen Linken“ geraten. Dort galt die natürliche Familie seit je eher als latent „faschistoide“ Unterdrückungsinstitution statt als Ankerpunkt von Stabilität und Sicherheit. Solange die SPD hier nicht ihre Geschichte aufarbeitet, aus dem Elfenbeinturm der linken Theorien zurück auf die Straße findet, hat sie keine Zukunft. Es sieht so aus, als ob Olaf Scholz der letzte SPD-Kanzler gewesen sein könnte.      

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