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Die Retro-Wahl

Daniel Günther gilt als Merkel-Fan und Exponent des liberalen Flügels der Union. Aber nicht diesem Profil verdankt er seinen Erfolg. Ein Kommentar.
Daniel Günther Ministerpräsident von Schleswig Holstein, neben Hendrik Wüst
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Daniel Günther Ministerpräsident von Schleswig Holstein kommt neben Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zur Sitzung des CDU Bundesvorstands nach der Landtagswahl in dem nördlichsten Bundesland ...

Der alte Westen liegt im Norden: So ein Wahlergebnis wie in Schleswig-Holstein mit über 40 Prozent für den Sieger war in der alten Bundesrepublik Standard. In den letzten Jahren wirkte die Erinnerung daran aber wie eine Erzählung aus längst vergangener Zeit. Volksparteien schienen nicht mehr wirklich zu existieren, bei der Regierungsbildung lief der Trend auf komplizierte Dreier-Bündnisse heraus und auch die Parlamente wurden immer unübersichtlicher.

Doch jetzt ist in Kiel alles anders: Die CDU ist die eindeutige Gewinnerin und befindet sich in der bequemen Lage, sich einen Partner für eine Zweierkoalition aussuchen zu können. AfD wie Linkspartei haben den Einzug nicht geschafft. Eine Retro-Wahl? Das Ergebnis ist Ausdruck der Sehnsucht der Wähler nach Stabilität, gerade in Zeiten der Krise. 

Seine größte Angst: ein konservatives Rollback

Und diese Stabilitätssehnsucht macht der Wähler an Personen fest. Der Sieg ist in erster Linie der Sieg Daniel Günthers und erst dann ein Erfolg der CDU. Relativ geräuschlos und effektiv führte er ein Jamaika-Bündnis durch die letzte Legislatur. Damit hat er sich ganz offenbar den Respekt und das Vertrauen der Bürger erworben. Gewiss, die Formel dieses Erfolgsrezeptes ist nicht besonders originell, ja fast schon banal: Solidität zahlt sich aus.
Dabei hatte Günther in den letzten Jahren auch immer wieder versucht, eigene programmatische Akzente zu setzen, die über Schleswig-Holstein hinausgehen sollten. Exponent des Merkel-Flügels, der er ist, hat er sich immer dann zu Wort gemeldet, wenn es darum ging, das Erbe der Kanzlerin für seine Partei zu retten. Kurs halten, das heißt nämlich für Günther: Die Liberalisierung der Union der Merkel-Jahre darf nicht rückgängig gemacht werden, seine größte Angst: ein konservatives Rollback.

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Günther scheute sich auch nicht, klassischen CDU-Wählern verbale Kinnhaken zu verpassen und spekulierte über Koalitionen mit der Linkspartei. Als die Kieler Bildungsministerin Karin Prien im Bundestagswahlkampf gegen Hans-Georg Maaßen polemisierte, hatte sie dabei ganz gewiss die Rückendeckung ihres Ministerpräsidenten. Aber in den letzten Monaten vor der Wahl hat Günther abgerüstet. Ob dahinter Einsicht stand oder vor allem Taktik, das wird die Zukunft zeigen. Denn durch seinen Sieg spielt Günther nun auch auf bundespolitischer Ebene eine neue Rolle. Widersteht er der Versuchung, nun wieder stärker den „Reform-Günther“ zu geben und gegen Friedrich Merz zu stänkern oder sieht er sich eher schon auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur in drei Jahren? 

Wird er stärker die katholische Karte spielen?

Jedenfalls, und das dürfte auch Günther wissen, seine parteipolitischen Profilierungsversuche waren für seinen Sieg jetzt nicht relevant. Den meisten Wählern waren sie vor allem eines: egal. Vieles versendet sich. Spannend wird da schon eher sein, ob Günther künftig stärker die katholische Karte spielen wird. Fest in seiner Kirchengemeinde in Eckernförde verwurzelt, hat er sich immer wieder öffentlich zu seinem Glauben bekannt und ihn als Motor für sein politisches Engagement beschrieben.

Mehr freilich aber auch nicht. Wenn man seine katholische Prägung als Synonym für bodenständig, verwurzelt und irgendwie werteorientiert verkaufen kann, so scheint die Günther-Strategie zu lauten, dann soll man auch darüber sprechen. Ob das für Günther aber auch dann gelten wird, wenn sich diese Prägung bei Konfliktthemen beweisen muss, da sind noch Zweifel angebracht. 

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