Ach, wäre das schön, wenn noch mehr Deutsche über 70 Jahre alt wären … Ein Tagtraum aus dem Adenauer-Haus? Die CDU ist so etwas wie der Senioren-Flüsterer unter den deutschen Parteien. Ihre immer noch stabilen Umfragewerte verdankt sie vor allem der Zustimmung der Deutschen jenseits der 60. Würden diese alleine in Deutschland die Politik bestimmen, dann könnten Christdemokraten vielleicht sogar auch noch von der absoluten Mehrheit träumen. Zwar auch eher von Ferne, aber es wäre jedenfalls nicht völlig unrealistisch. In der politischen Gegenwart liegt für die Union so ein Ziel nämlich jenseits aller Möglichkeiten. Und das muss naturgemäß den Strategen in Berlin Sorgen machen. Denn zu dem Bild einer Volkspartei gehört, dass sie zumindest ansatzweise in diese Höhen vordringen kann, mindestens aber es regelmäßig zur eindeutig stärksten Partei bringt.
Aber wie macht man das? Es ist ganz offensichtlich, dass ganz viele sich diese Frage stellen. Merz, aber auch sein Generalsekretär Carsten Linnemann, sind sogar – man merkt es zwar nicht immer – von diesem Problem elektrisiert. Was der Kanzler auch macht, die Sorge um die Stabilität ist dabei sein Motor. Aber wie das eben so ist: Sorgen können zu Befreiungsschlägen führen. Sie können aber auch lähmen. Selbst wenn Merz ganz viel tut, wirkt es doch so, als ob nichts geschehen würde. Der Kanzler ist zum Kaninchen geworden. Und das blickt gebannt auf die Schlange AfD. Statt fröhlich über die deutsche Wiese zu hoppeln, ist das schwarze Kaninchen im Hypnosebann der bösen blauen Augen der Alternative.
Zwei Polit-Rentner auf den Barrikaden?
Doch zwei Polit-Rentner haben ihre Hände erhoben, sie wollen die Union aus ihrem Tiefschlaf wachschnippen. Wird nun aus dem Zwergkaninchen wieder ein schwarzer Riese? Auf der linken Seite hat sich Ruprecht Polenz in Stellung gebracht. Der glückloseste Generalsekretär, den Angela Merkel als CDU-Vorsitzende je hatte, ist heute so etwas wie der Influencer des linken CDU-Flügels. Schon bei Twitter zwitscherte der inzwischen 79-Jährige in diesem Sound, jetzt X-t er entsprechend. Die stetige Mahnung des linken Catos aus Münster: Im Übrigen aber meine ich, die CDU imitiert die AfD. Im Subtext heißt das immer: Merz kann es nicht und muss weg (vielleicht ersetzt durch Hendrik Wüst oder Daniel Günther). Jetzt haben sich einige Getreue um Polenz geschart und eine eigene Gruppe gegründet, „Compass Mitte“ heißt sie. Und die Botschaft steht im Namen: Aus der Sicht dieser Gruppe steht die CDU in der Gefahr, aus dieser Mitte Richtung nach rechts wegzudriften.
Der andere Polit-Rentner, der zumindest indirekt einen Mahnruf an seine alte Partei abgesetzt hat, ist der 84-jährige Alexander Gauland. Der galt während seiner immerhin fast vier Jahrzehnte in der Union dort als so etwas wie ein konservativer Vordenker. Freilich kam sich Gauland in dieser Rolle nie genug gewürdigt vor, die chronisch denkfaule Kohl-CDU konnte einen wie ihn nur als störend empfinden. Und so überwiegte bisher die Deutung, der heutige AfD-Ehrenvorsitzende habe die Gründung der neuen Rechtspartei vor allem deswegen vorangetrieben, um Rache zu nehmen.
Träume und Traumata
Als dann, vor allem von Maximilian Krah, in der AfD die Devise ausgegeben wurde, es müsse Ziel sein, die CDU zu zerstören, konnte man vermuten, auch Gauland sei ganz auf dieser Linie. Aber dem ist nicht so. Der blaue Elder Statesman warnte nun seine Parteifreunde, es dürfe nicht das Ziel der AfD sein, den schwarzen Konkurrenten endgültig zu Fall zu bringen. Man wolle schließlich nur eine andere Politik, aber kein anderes System. Es gab sogar verhalten lobende Worte von Gauland für den Kanzler: Merz wolle schon in die richtige Richtung, könne sich aber nicht durchsetzen. Es ist klar: Gauland träumt von der schwarz-blauen Koalition.
Sie wäre für ihn deswegen ein Triumph, weil das ein später Sieg über die CDU-Linken wäre, unter denen er in der Kohl-Zeit gemobbt wurde. Und auch bei Polenz ist die Zeit aus dem letzten Jahrtausend prägend: Auch Polenz war einmal jung und damals ein führender Vertreter des RCDS, der CDU-Studentenorganisation. Die hatte in der unmittelbaren Phase nach 68 an den Unis einen schweren Stand. Daher rührt ein Trauma: Polenz will endlich auch mitspielen können. Dazu gehört das Bekenntnis: „Wir sind doch gar nicht rechts, sondern genauso wie ihr. Lass uns doch auch in den Sandkasten.“ Polenz will endlich aus dem Spind raus.
Wenn auch diese alten Männer jetzt noch mit ihren Stellungnahmen die Öffentlichkeit dominieren, ist den Union-Strategen damit nicht geholfen. Auf die Frage, wie denn nun das Profil der C-Partei künftig aussehen sollte, liefert das alles keine Antwort. Der Kaninchen-Effekt wirkt weiter und im Adenauer-Haus mümmeln alle vor sich hin.
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