„Bürger hängt mit Burg zusammen. Keiner weiß das so gut wie die Flüchtlinge, die nach Europa streben. In gewisser Weise hat dies auch der Münchner Erzbischof auf den Begriff gebracht, als er nun von der „Festung Europa“ sprach. Freilich meinte Kardinal Reinhard Marx dies negativ. Er wollte so davor warnen, dass sich Europa und vor allem Deutschland durch eine striktere Migrationspolitik nach außen hin verschließt, quasi einmauert. Gleichzeitig machte der Kardinal aber auch deutlich, es war vermutlich unfreiwillig, warum die Flüchtlinge gerade die Sicherheit in einer „Festung Europa“ suchen, warum Deutschland für sie ein Fluchtpunkt ist.
Europa, so der Kardinal, bedeute für ihn „Offenheit, Begegnung von Völkern und Kulturen, Integration, Aufnahme neuer Ideen, Neugierde“. Und der Erzbischof erinnerte an einen Ausspruch von Papst Johannes Paul II.: „Wenn man Europa sagt, soll das Öffnung heißen – apertura!“ Und in der Tat, wenn Flüchtlinge sich in die europäische Fremde aufmachen, dann fühlen sie sich vor allem vielleicht von diesem speziellen europäischen Geist angezogen, der eben auch, das Papst-Zitat belegt es, christlich fundiert ist.
Die Burg muss wieder in Stand gesetzt werden
Damit aber genau diese Kultur stabil bleibt und unsere Gesellschaft weiterhin prägen kann, muss ein bestimmter Rahmen erfüllt sein. Und damit sind wir wieder bei der Burg. Sie bietet nur dann Schutz, wenn ihre Mauer stabil ist und nicht bröckelt, auch die Zugbrücke sollte funktionsfähig sein. Weiterhin ist der Raum, der der Bevölkerung einer Burg zur Verfügung steht, beschränkt. Ist sie überfüllt, dann ist sie auch kein sicherer Zufluchtsort mehr. Deutschland ist nun an dem Punkt angelangt, an dem die Burg wieder in Stand gesetzt werden muss. Und diese Renovierungsarbeiten müssen auch Auswirkungen auf die Migrationspolitik haben.
Oder ein anderes Bild: Eine Familie mit drei Kindern wird nicht, wenn sie Probleme damit hat, ihren Unterhalt einigermaßen zu sichern, noch zusätzlich zwei Pflegekinder annehmen. Die Priorität der Verantwortung besteht zunächst gegenüber den eigenen Kindern. Nicht anders sieht es bei dem Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern aus. Er muss seine ganze Energie darauf richten, die Burg so auszustatten, dass sie den Bürgern auch angesichts neuer Herausforderungen auf Dauer eine sichere Heimstatt bietet. Wer das betont und entsprechend die Migrationspolitik anpassen will, der ist kein Ausländerfeind. Und er ist auch nicht unsensibel für die Not der Flüchtlinge. Er weiß nur, dass den Hilfsbedürftigen aus aller Welt nicht geholfen ist, wenn unsere Burg zerfällt. Denn dann gibt es irgendwann gar keinen Fluchtpunkt mehr. Am schnellsten sehen das übrigens oft Flüchtlinge ein, kennen sie doch aus eigener Erfahrung die Fragilität von Gesellschaften.
Wir brauchen gesamtgesellschaftliche Heilung
Markus Söder sprach bei der Pressekonferenz zur Kanzlerkandidatur davon, dass er hoffe, in den Debatten um die Migrationspolitik möge Heilung einsetzen. In erster Linie mag er den immer wieder aufbrechenden Streit zwischen seiner CSU und der CDU auf diesem Feld gemeint haben. Aber diese Heilung brauchen wir auch gesamtgesellschaftlich. Viel zu lange wurde das Migrationsthema von linker wie von rechter Seite genutzt, um jeweils dem anderen Lager seine Ideologiebesoffenheit vorzuwerfen. Damit sollte nun endlich Schluss sein. Christen, sie sind in allen politischen Lagern bei dieser Frage zu finden, sollten zu diesem Heilungsprozess beitragen. Weg von den Schlagwörtern und den polemischen Phrasen hin zum Pragmatismus im Dienste der Menschen.
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