Schon lange nicht mehr war die Weltkirche so vereint wie gestern, am Fest der Verkündigung des Herrn. Der Weihe der ganzen Welt, vor allem Russlands und der Ukraine, an das Unbefleckte Herz Mariens, die Papst Franziskus am Nachmittag in Anwesenheit von über dreitausend Mitbetenden im Petersdom und nochmals zweitausend Menschen auf dem Petersplatz vorgenommen hat, schlossen sich Bischöfe, Priester, geistliche Gemeinschaften und Gläubige in der ganzen Welt an. In Moskau und in Kiew, in Kasachstan und Skandinavien, in Asien, Amerika und Australien. Der emeritierte Papst vollzog die Weihe zeitgleich im privaten Gebet. In Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligten sich nahezu alle Diözesen an dem Akt, der den Angriff Russlands auf die Ukraine zum Anlass hatte. Die Waffen sollen schweigen, der Krieg soll enden, zumal er jederzeit weiter eskalieren kann. „Beende den Hass, besänftige die Rachsucht, lehre uns Vergebung“, betete Franziskus beim Weiheakt, „befreie uns von Krieg, bewahre die Welt angesichts der nuklearen Bedrohung.“
Nur wer büßt, kann auch bitten
In Rom dauerte der Ritus zwei Stunden. Es war ein Bußakt – unterbrochen durch eine lange Zeit der privaten Einzelbeichte in den Beichtstühlen der Petersbasilika. Franziskus empfing selber das Bußsakrament und nahm Gläubigen die Beichte ab. Am Ende der Liturgie dann das Weihegebet, das den Aufruf zu Buße und Umkehr aufnahm: „Wir sind vom Weg des Friedens abgekommen“, betete der Papst. „Wir haben die Lehren aus den Tragödien des letzten Jahrhunderts und das Opfer der Millionen in den Weltkriegen Gefallenen vergessen... Wir sind an Gier erkrankt... Wir haben Gott nicht beachtet, wir haben es vorgezogen, mit unseren Lügen zu leben, Aggressionen zu nähren, Leben zu unterdrücken und Waffen zu horten.“ Das ganze Volk Gottes, so war es die Absicht des Papstes, sollte nicht nur auf den Aggressor blicken und von der Gottesmutter das Ende des von ihm entfachten Wütens erbitten, sondern den Blick zunächst auf die eigene Unfähigkeit richten, den eigenen Kindern und nachwachsenden Generationen eine Welt des Friedens und der Brüderlichkeit zu hinterlassen.
Damit Putin nicht durchdreht
Je mehr der Krieg nicht nach den Plänen des Angreifers Wladimir Putin verläuft, desto mehr wächst die Sorge, dass der Kremlherrscher eine irrationale Entscheidung treffen könnte. Wirtschaftlich und medial hat Russland den Krieg schon jetzt verloren. Auf der Bühne der internationalen Politik steht das Land zudem weitgehend isoliert und als Paria da. Und militärisch können die Ukrainer jetzt Erfolge vorweisen, während die russische Führung erkennt, dass sie mehreren Fehleinschätzungen erlegen ist: Sie hat die Bereitschaft der Ukrainer zum Widerstand unterschätzt, die Rolle des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als charismatischer Anführer seines Volkes verkannt und nicht mit der Geschlossenheit des Westens gerechnet. Putin hat jetzt das, was er unbedingt zurückdrängen wollte: die Präsenz der NATO vor seiner Haustür, deren Bataillone nun auch in Bulgarien, Rumänien und der Slowakei stehen werden. „Himmel hilf“, möchte man ausrufen, damit Putin nicht durchdreht. „Himmel hilf“ haben Papst und die ganze Weltkirche gebetet, auf dass der Herr „die Welt angesichts der nuklearen Bedrohung“ bewahre.
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