Zunächst die gute Nachricht: Mit nur wenigen Tagen Vorlaufzeit haben die Energieminister der Europäischen Union am Dienstagabend mit der Verabschiedung des EU-Gasplans, der vom 1. August bis zum 31. März kommenden Jahres eine freiwillige Energieeinsparung um 15 Prozent in allen Mitgliedsstaaten vorsieht, allen Unkenrufen zum Trotz Handlungsfähigkeit bewiesen. Wirtschaftsminister Robert Habeck, dessen Ministerium für die Energieversorgung Deutschlands Verantwortung trägt, bezeichnete den Deal gar als ein „starkes Zeichen gegen alle Spötter und gegen alle Verächter“ der EU.
Das Wort „Schadenfreude“ kennt man auch als Nicht-Deutscher
Doch der Weg zum Gas-Deal auf EU-Ebene war trotz aller Kürze des Verfahrens schwierig – denn der am Dienstag verabschiedete Notfallplan stellt nur auf den ersten Blick ein großes Signal innereuropäischer Solidarität dar. In Wirklichkeit dient der Gasplan der EU vor allem einem Land: Dem von russischem Gas immer noch im höchsten Maße abhängigen Deutschland.
Wie das stets gut unterrichtete Nachrichtenportal „politico.eu“ zu berichten weiß, waren es ausgerechnet Griechenland, Portugal, Irland und Zypern, die einem ursprünglich noch viel weitergehenden und Deutschland noch mehr begünstigenden ersten EU-Gasplan-Entwurf eine klare Abfuhr erteilten – also jene Länder, welche vor rund zehn Jahren die Haltung Merkel-Deutschlands ihnen gegenüber in der Finanz- und Eurokrise als rigide, oberlehrerhaft und unflexibel empfunden haben. Trotz der letztlichen Umsetzung einer überarbeiteten Fassung des EU-Notfallplans für die Gassicherung innerhalb der Europäischen Union und der Einsicht, dass man nur gemeinsam der russischen Bedrohung widerstehen könne, war in den vergangen Tagen ein nicht geringer Hauch von Schadenfreude gegenüber dem gerade unter Angela Merkel moralinsauer aufgetretenen Deutschland in Brüssel zu spüren.
Deutschland: Zu viel Moral, zu wenig Substanz
Denn kaum ein anderes EU-Land hat sich – und damit die gesamte Europäische Union – trotz zahlreicher scharfer Warnungen aus anderen EU- und NATO-Staaten energiepolitisch so in die Fänge des russischen Diktators Wladimir Putin begeben wie Deutschland. Nicht nur die deutsche Industrie und Millionen von Privathaushalten sind auf dessen Erdgas angewiesen: Bei der von Angela Merkel angestoßenen Energiewende sollten in puncto Stromversorgung die Gazprom-Pipelines Nord Stream 1 und 2 jene Lücken füllen, die der nun wieder infrage gestellte Ausstieg aus Atomkraft und Kohlestrom reißt. Da Wind- und Solarenergie alleine keine Industrienation zuverlässig versorgen können, wollte die Bundesregierung verstärkt auf Gaskraftwerke setzen. Diese Idee ist mit dem Ukraine-Krieg geplatzt – und letztendlich die gesamte Energiewende einstweilen verbockt.
Immerhin: Leichte Entwarnung gibt es von vier führenden deutschen Wirtschaftsinstituten in puncto dem Gewappnetsein Deutschlands im Falle weiter reduzierter Gaslieferungen aus Russland. Laut „Handelsblatt“ zeigt eine Analyse von IWH Halle, RWI Essen, IfW Kiel und Ifo München, dass es im wahrscheinlichsten Fall nicht zu einem Gasmangel im Winter kommen wird: „Wenn unsere Annahmen so eintreten, würde das Gas sowohl in diesem als auch im nächsten Winter reichen“, sagte IWH-Ökonom Christoph Schult dem Handelsblatt – eine Aussage, die auch europaweit Schadenfreude durch Erleichterung ersetzen dürfte.
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