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„Das war ein Angriff auf das Herz des syrischen Christentums“

Pfarrer Peter Fuchs, Geschäftsführer von Christian Solidarity International (CSI), spricht mit der Tagespost über den Anschlag und die Lage der Christen in Syrien.
Anschlag Mar-Elias-Kirche
Foto: Imago/Anadolu Agency | Nach dem Anschlag auf die griechisch-orthodoxe Mar-Elias-Kirche in Damaskus: Rettungskräfte und Gemeindemitglieder inmitten der Trümmer.

Herr Pfarrer Fuchs, was wissen Sie über den Anschlag auf die griechisch-orthodoxe Mar-Elias-Kirche in Damaskus?

Es war ein gezielter Angriff – mitten im Herzen des syrischen Christentums. Der Anschlag ereignete sich direkt in Damaskus, unweit des christlich geprägten Viertels der Altstadt Bab Tuma, in dem sich viele Kirchen und Kathedralen befinden. Ganz in der Nähe der Elias-Kirche befindet sich auch der Ort, an dem Paulus laut Apostelgeschichte die Stimme Christi vernahm. Dass das Attentat dort stattfand, ist kein Zufall. Die Botschaft ist klar: „Ihr Christen seid nicht einmal in Damaskus sicher.“

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Welche Rolle spielt der Stadtteil, in dem die Tat verübt wurde?

Es handelt sich um ein einfaches Viertel mit Werkstätten und Autoreparaturbetrieben. Keine Elitegegend, aber zentral für die christliche Präsenz in der Hauptstadt. Das macht die Symbolik so stark. Ziel ist es, den Christen überall im Land zu signalisieren: Ihr seid nirgendwo sicher. Und das war unter Assad eben anders. Gerade Damaskus galt damals als Festung gegen islamistische Kämpfer. Heute ist das nicht mehr der Fall.

Berichte sprechen davon, dass es der erste Anschlag auf eine Kirche in Damaskus seit über 160 Jahren war. Teilen Sie diese Einschätzung?

Das kann sein. Ich habe Ähnliches gehört – ob es wirklich der erste seit 1860 war, lässt sich schwer verifizieren. Aber in dieser Form, so gezielt gegen eine Kirche und während eines Gottesdienstes, ist jedenfalls ein extremes Ereignis. Ich höre, dass Kirchen in Damaskus ihre Gottesdienste für die kommenden Tage abgesagt haben.

Unmittelbar nach dem Anschlag wurde der Islamische Staat (IS) als Täter benannt. Halten Sie das für plausibel?

Das kann ich nicht sicher sagen. Solch ein Anschlag lässt sich nicht spontan planen – und es gibt Hinweise, dass weitere Personen involviert waren. Ein syrischer Geistlicher sagte mir, es sei merkwürdig, dass sofort nach der Tat der IS als Täter genannt wurde – ohne Ermittlungen. Das wirkt wie eine gezielte Ablenkung durch die neue Regierung, die versucht, alles als Einzelfälle darzustellen.

Also dient die genannte Terrorgruppe der Regierung als willkommener Sündenbock?

Das ist gut möglich. Die neue Regierung inszeniert sich als gemäßigt, doch sie ist zutiefst geprägt von islamistischer Ideologie. Syrische Christen weisen stets darauf hin, dass al-Scharaa immerhin der Gründer der al-Nusra-Front ist. Sie kennen ihn und sie wissen, was er im Krieg gesagt und getan hat.

Was sagt es aus, dass der Präsident sich bisher nicht zu dem Anschlag geäußert hat?

Das ist sehr aufschlussreich. Ein Anschlag mit 30 Toten – mitten in der Hauptstadt – und keine Reaktion. Stattdessen beschäftigt sich die Regierung – zugespitzt gesagt - mit Bikiniverboten und der Frage, ob Männer kurze Hosen tragen dürfen. Das zeigt, welche Prioritäten sie setzt.

Wird der Anschlag als isoliertes Ereignis betrachtet?

Ganz sicher nicht. Seit dem Sturz Assads beobachten wir verschiedene Arten von Diskriminierung gegenüber Christen und anderen Nichtsunniten. Auf Facebook kursieren jetzt bereits Drohungen gegen Kirchen in anderen Teilen Syriens – etwa in Hama. Das zeigt: Es gibt koordinierte Pläne der Einschüchterung, nicht bloß spontane Einzeltaten. Viele Christen in Syrien haben schon seit März, seit den genozidhaften Übergriffen auf Alawiten, gesagt: Wir werden die Nächsten sein. Und das ist jetzt eingetreten.

Welche Konsequenzen ziehen die Christen im Land daraus?

Sie wollen raus. Geistliche bitten zunehmend um Hilfe, damit ihre Leute das Land verlassen können. Die Hoffnung, in Syrien bleiben zu können, ist weitgehend verloren.

Wie beurteilen Sie die Haltung des orthodoxen Patriarchen Johannes X., der den Anschlag verurteilt hat?

Viele Christen sagen: Eine Verurteilung reicht nicht. Worte helfen nicht mehr. Es braucht konkrete Schutzmaßnahmen – oder Ausreisemöglichkeiten.

Gab es unter den Christen auch Zustimmung zum Sturz Assads?

Natürlich. Viele hatten unter seinem Regime gelitten, unter Korruption und Überwachung. Man hoffte auf einen Neuanfang. Aber heute sagen viele: „Alles, was Assad vorhergesagt hat – dass wir ohne ihn schutzlos sein werden – ist eingetreten.“

Welche Forderungen stellen Sie an den Westen? 

EU und USA müssen Druck auf das Regime in Damaskus ausüben, damit Religionsfreiheit und Menschenrechte geachtet werden. Die Verbrechen an Christen, Drusen und Alawiten müssen unabhängig aufgearbeitet werden – nicht durch die Täter selbst. Und: Man sollte anfangen, über Aufnahmeprogramme für Christen nachzudenken, wie sie viele syrische Geistliche fordern.

Besteht dabei nicht die Gefahr, dass Christen in Flüchtlingsunterkünften erneut Diskriminierung erfahren?

Die Situation ist heute anders als vor zehn Jahren. Viele syrische Christen haben bereits Familienangehörige im Westen. Es gibt Netzwerke, die Schutz bieten. Und ich hoffe, auch das Bewusstsein für die besonderen Gefahren, denen Christen ausgesetzt sind, ist gewachsen.

Sie sagen, die neue syrische Regierung wolle die Christen loswerden. Ist das Ihre Einschätzung?

Es ist die Einschätzung vieler Syrer. In einem islamischen Gottesstaat wollen sie nicht leben. Und sie merken, dass ihre Lebensweise den Patrouillen der Dschihadisten in den Straßen des Landes ein Dorn im Auge ist. Eine Schutzsteuer wie früher im Osmanischen Reich wäre zu auffällig. Also wählt man den einfacheren Weg: Vertreibung. Der alte Kampfruf der al-Nusra-Front lautete „Alawiten ins Grab, Christen nach Beirut“. Genau das geschieht jetzt – systematisch.

Wie steht es um andere Minderheiten wie Alawiten und Drusen?

Sie werden ebenso verfolgt – oft mit noch größerer Härte. Alawiten gelten in manchen sunnitischen Fatwas als ungläubiger als Christen und Juden. Die Verachtung hat tiefe religiöse Wurzeln. Auch hier geht es nicht um politische Vergeltung, sondern um ideologisch motivierten Hass.

Wird der Iran als Schutzmacht der Schiiten nicht abschreckend wirken?

Eher nicht. Der Einfluss des Iran ist geschwächt. Viele Schiiten haben Syrien verlassen. Die Regierung sieht in ihnen offenbar keine akute Bedrohung. Anders als bei den Alawiten, die stark in einem bestimmten Gebiet präsent sind und daher strategisch ins Visier geraten.

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Was wünschen Sie sich von der Berichterstattung über diese Themen?

Mehr Aufmerksamkeit. Diese Entwicklungen bleiben oft unbeachtet. Ich bin dankbar, wenn Medien wie die Tagespost hinschauen. Und ich würde mir wünschen, dass auch deutsche Politiker – etwa der Beauftragte der Bundesregierung für Religionsfreiheit, Herr Rachel - und das Auswärtige Amt bei solchen Verbrechen klar Stellung beziehen. Thomas Rachel hat das im März bereits getan und betont, dass Alawiten allein wegen ihres Glaubens verfolgt werden.

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