Wie sehr die westlichen Wirtschaftssanktionen auf der Zivilbevölkerung Syriens lasteten, zeigen die Reaktionen auf die Nachricht von der Aufhebung dieser einseitigen Zwangsmaßnahmen: In den vergangenen Tagen feierten Menschen in ganz Syrien mit Freudentränen in den Augen und unter erlösten Jubelrufen die erhoffte wirtschaftliche Erholung.
Tatsächlich leben derzeit über 90 Prozent der Syrer unter der Armutsgrenze. Schuld daran ist nicht nur der 2011 ausgebrochene Krieg und die unter dem gestürzten Assad-Regime grassierende Korruption. Vertreter der syrischen Zivilbevölkerung, unabhängige humanitäre Organisationen und UN-Gremien wiesen seit vielen Jahren unermüdlich darauf hin, dass die Sanktionen von EU und USA buchstäblich „Massenvernichtungswaffen“ waren, die Millionen Syrer in Hunger, Krankheit und Elend trieben und Zivilisten aller Religionsgemeinschaften und Ethnien ebenso zielsicher wie Bomben und Gewehrkugeln verstümmelten, entmenschlichten, töteten.
Dschihadisten dürfen nicht salonfähig werden
Viel zu lange wurden diese warnenden Stimmen vom politischen Establishment in Berlin, Brüssel und Washington überhört oder süffisant abgetan. Umso erfreulicher ist, dass die EU-Mitgliedsstaaten am 20. Mai auf dem in Brüssel tagenden Rat für Auswärtige Angelegenheiten beschlossen, alle Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufzuheben. Die EU folgt damit einer von US-Präsident Trump bereits am 13. Mai angekündigten und am 23. Mai in Kraft getretenen Direktive zur Aufhebung der einseitigen Zwangsmaßnahmen gegen Syrien.
Die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen ist tatsächlich ein wesentlicher Schritt zur Rettung der syrischen Zivilbevölkerung aus verheerender Armut und Perspektivlosigkeit und ein wichtiger Hebel zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Gleichzeitig muss die EU aber vom neuen Regime in Damaskus die Beachtung der Religionsfreiheit und der grundlegenden Menschenrechte fordern und alle jene im Umkreis von Präsident Ahmed al-Scharaa zur Rechenschaft ziehen, die an den jüngsten Ausschreitungen gegen Alawiten, Drusen und auch Christen beteiligt waren. Dschihadisten dürfen nicht salonfähig werden.
Der Autor ist Pfarrer und Geschäftsführer von „Christian Solidarity International“ (CSI) Deutschland.
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