Herr Rachel, viele Bürger zucken wohl immer noch mit den Schultern, wenn sie das Wort „Religionsfreiheit“ hören. Es klingt ihnen zu abstrakt. Die Bundesregierung sieht das anders. So heißt es im Koalitionsvertrag, die Geltung der Religionsfreiheit sei so etwas wie ein Gradmesser für Rechtsstaatlichkeit. Wie schätzen Sie die Lage ein? Hat in den vergangenen Jahren das Bewusstsein für dieses Problem zugenommen, und welche Rolle kann dabei Ihr Amt spielen?
Es wäre sicherlich vermessen, wenn ich nach kurzer Zeit im Amt schon eine Bilanz ziehen wollte. Generell betrachtet ist für die überwiegende Mehrheit der Menschen weltweit Religionsfreiheit von herausragender Bedeutung. Denn: Vier von fünf Menschen sagen, dass Religion in ihrem Leben einen hohen Stellenwert hat. Sie stehen morgens mit Gott auf und gehen abends mit ihm schlafen. Sicherlich ist weltweit das Bewusstsein für die Bedeutung von Religion unterschiedlich ausgeprägt, und vor allem in säkular geprägten Gesellschaften wie in Deutschland und Europa hat es nachgelassen. In anderen Teilen der Welt sieht das aber ganz anders aus. Und deswegen ist ein zentraler Punkt in der Arbeit des Bundesbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass dieses zentrale Menschenrecht in vielen Teilen der Welt gefährdet ist.
Im Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist dieses Grundrecht verankert. Das wissen viele, gerne wird darauf in öffentlichen Statements verwiesen. Trotzdem wirkt das auf viele Menschen wie ein fernes Problem.
Es geht bei der Religionsfreiheit aber eben nicht um ein abstraktes Prinzip, sondern es kann für manche Menschen schnell zu einer Frage von Leben und Tod werden. Zum Beispiel, weil sie ihre Religion wechseln wollen, werden sie diskriminiert, bedroht oder ins Gefängnis gesteckt. Das ist an vielen Orten der Welt traurige Realität. Diesen Menschen wollen wir eine Stimme geben und helfen.

Stichwort öffentliche Aufmerksamkeit: Als Beauftragter veröffentlichen Sie regelmäßig einen Bericht zur weltweiten Lage. Wann wird der nächste Bericht veröffentlicht werden? Und wie wird er erstellt? Verfügen Sie über einen eigenen Mitarbeiterstab?
Der nächste Bericht befindet sich in Vorbereitung und wird in rund zwei Jahren erscheinen. Wir greifen hier zum Beispiel auch auf die Informationen und Analysen der deutschen Botschaften zurück. Natürlich pflegen wir auch den Kontakt zu Organisationen aus der Zivilgesellschaft, Vertretern der Wissenschaft, und es gibt auch ein internationales Netzwerk mit Beauftragten für Religionsfreiheit anderer Länder.
Als Beauftragter sind Sie anders als Ihre Vorgänger dem Auswärtigen Amt zugeordnet. Deutsche Außenpolitik wird durch deutsche Interessen bestimmt. Sie heben besonders den universellen Charakter des Grundrechtes hervor. Inwieweit spielen aber in diesem Themenfeld auch solche konkreten machtpolitischen Interessen eine Rolle? Beispiel Frankreich: Dort fühlt man sich besonders dem Schutz der Christen im Libanon verbunden. Das ist sozusagen historisch gewachsen. Und in diesem Einsatz spiegelt sich auch so etwas wie ein französisches Selbstbewusstsein wider, ein wichtiger weltpolitischer Faktor zu sein. Gibt es hier unterschiedliche Ansätze?
„Wir bekennen uns zu der Freiheit jedes Menschen,
seine Religion oder Weltanschauung entsprechend zu leben,
sie zu bekennen, sie zu wechseln oder
auch ganz auf so ein Bekenntnis zu verzichten"
Im Fall der deutschen Bundesregierung und auch bei mir als Beauftragtem liegt der Fokus ganz klar auf der Religionsfreiheit als einem universellen Menschenrecht. Wir bekennen uns zu der Freiheit jedes Menschen, seine Religion oder Weltanschauung entsprechend zu leben, sie zu bekennen, sie zu wechseln oder auch ganz auf so ein Bekenntnis zu verzichten. Das entspricht auch dem, was in internationalen Verträgen geregelt ist.
Wie ist eigentlich zu bewerten, dass an manchen Orten der Welt Angehörige einer Religion unterdrückt werden, an einem anderen Ort aber eben die Vertreter genau dieser Religion dort ebenfalls andere Religionen unterdrücken?
Religiöse Akteure können sowohl Täter als auch Opfer von Diskriminierung und Verfolgung sein. Das ist durchaus ambivalent. Mein Ansatz ist dabei: Ich setze mich dafür ein, das Recht auf religiöse Überzeugung zu stärken. So will ich dazu beitragen, dass zwischen Weltanschauungen und Konfessionen Brücken gebaut werden. Es geht auch darum, den interreligiösen Dialog zwischen verschiedenen Akteuren zu fördern.
Ihre Arbeit findet also vielfach auf internationaler Ebene statt. Haben Sie auch Austausch mit den christlichen Hilfswerken, die hier in Deutschland aktiv sind?
In der Bundesrepublik ist die Religionsfreiheit gewährleistet und wird auch gelebt. Deswegen konzentriert sich mein Blick auf die weltweite Lage. Aber natürlich habe ich auch Austausch mit Vertretern der Kirchen oder anderen Religionsgemeinschaften hier vor Ort. Die berichten mir dann natürlich etwa von der Verfolgung ihrer Glaubensgeschwister in bestimmten Ländern. Solche Informationen sind für uns wichtig. Viele Menschen sind ja durch die Religionsgemeinschaften, denen sie angehören, international vernetzt.
Manchmal wird von Kritikern vorgeworfen, die Arbeit des Beauftragten konzentriere sich zu sehr auf die Christenverfolgung. Wie sehen Sie das?
„Wir wissen, dass die Christen als zahlenmäßig
größte Religionsgemeinschaft der Welt von der
Verletzung der Religionsfreiheit besonders betroffen sind"
Jeder Mensch hat ein Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Und das steht im Zentrum auch meiner Arbeit. Und dabei spielt es auch keine Rolle, welcher Religion ein Mensch angehört. Wir wissen aber, dass die Christen als zahlenmäßig größte Religionsgemeinschaft der Welt von der Verletzung der Religionsfreiheit besonders betroffen sind. Schließlich möchte ich noch etwas persönlich hinzufügen: Ich bin Christ und kirchlich engagiert. Nach meinem Menschenbild hat jeder Mensch eine einzigartige Menschenwürde. Daraus leitet sich auch das Recht auf freie Religionsausübung ab. Ich trete auch als Christ dafür ein, dass hier nicht zwischen der einen oder anderen Religion unterschieden wird, sondern dieses Menschenrecht universell gilt.
Zum Schluss noch etwas zum Komplex Religionsfreiheit und Asyl. Es gibt immer wieder Fälle von Iranern, die als Asylbewerber abgelehnt werden, inzwischen aber in Deutschland zum Christentum konvertiert sind. Sie befürchten nun, dass ihnen bei einer Abschiebung Verfolgung im Iran droht. Sind das auch Fälle für Sie als Beauftragten?
Hier liegt die Zuständigkeit bei einem anderen Ministerium, aber generell kann man natürlich sagen, dass die Asylentscheidung in Deutschland sich stets an den Umständen des individuellen Einzelfalls orientieren muss. Meine Wahrnehmung ist: Dann, wenn eine Hinwendung zum Christentum identitätsprägend ist und diese Identitätsprägung eine Verfolgung im Heimatland nach sich ziehen würde, wird dies bei der rechtlichen Entscheidung berücksichtigt.
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