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Wer Frieden will, muss das ungeborene Kind schützen

Das Leben von Mutter Teresa ist ein Zeugnis für den christlichen Lebensschutz. Immer wieder prangerte sie das Übel der Abtreibung an. Doch verhallten ihre Mahnungen oft ungehört.
Heilige Mutter Teresa
Foto: imago stock&people | Mutter Teresa hatte nicht nur Recht im Hinblick auf die „Millionen ungeborener Kinder“, die getötet werden, sondern auch mit ihrer Feststellung, dass die Gesellschaft gegenüber den Abtreibungen „stumm“ bleibt.

Mutter Teresa nutzte ihre Ansprache anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 1979 in Oslo für eine unerwartete Botschaft: „Der größte Zerstörer des Friedens ist heute der Schrei des unschuldigen, ungeborenen Kindes, das im Schoß seiner Mutter ermordet wird.“ Wenn ihr den Frieden wollt, „rettet das ungeborene Kind, erkennt die Gegenwart Jesu in ihm“. Die kleine Ordensfrau aus Kalkutta scheute sich nicht, den Rahmen dieser traditionsreichen Veranstaltung zu sprengen und der Festgesellschaft gleich zweimal Vorhaltungen zu machen: „Heute werden Millionen ungeborener Kinder getötet, und wir sagen nichts … Niemand spricht von den Millionen von Kleinen, die empfangen wurden … wie Sie und ich“, aber nicht zur Welt kommen durften. „Und wir sagen nichts, wir sind stumm.“

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Mutter Teresa, 1910 in Albanien geboren, 1997 in Indien gestorben, 2003 von Papst Johannes Paul II. selig- und 2016 von Papst Franziskus heiliggesprochen, Mutter Teresa, die wirklich kompetent war, über Armut zu sprechen und die für ihre heiligmäßige Hingabe an die Armen und Sterbenden ausgezeichnet wurde, wagte ihren Zuhörern zu sagen, die Nationen, die Abtreibung legalisiert haben, seien für sie „die ärmsten Länder“. Die meisten ihrer Zuhörer waren aus diesen Ländern.

Gottes Geschenk für die Ärmsten der Armen

Mutter Teresa wiederholte ihre Mahnungen 15 Jahre später auf einer ähnlich großen Bühne. Bei der UN-Konferenz über „Bevölkerung und Entwicklung“ 1994 in Kairo sagte sie: „Ich habe oft bekräftigt – und dessen bin ich sicher –, dass der Hauptzerstörer des Friedens in der Welt von heute die Abtreibung ist. Wenn eine Mutter ihr eigenes Kind töten kann, was hält dich und mich davon ab, uns gegenseitig zu töten?“

Papst Johannes Paul II. mit Mutter Teresa
Foto: imago stock&people | Der heilige Papst Johannes Paul II. mit Mutter Teresa während seines Besuchs in Kalkutta. Der polnische Papst nannte die kleine Ordensfrau eine „Ikone des barmherzigen Samariters“.

Papst Johannes Paul II. machte sich diese Mahnungen während seiner Polen-Reise im Juni 1997 zu eigen. In einer Predigt in Kalisz wiederholte er die Worte von Mutter Teresa, wonach der Hauptzerstörer des Friedens in der Welt von heute die Abtreibung sei. Mutter Teresa starb am 5. September 1997. Am ersten Jahrestag ihres Todes nannte Papst Johannes Paul II. sie „Gottes Geschenk für die Ärmsten der Armen“. Bei der Seligsprechung schon sechs Jahre nach ihrem Tod erinnerte er „an ihre Stellungnahmen für das Leben und gegen die Abtreibung“. Er nannte sie eine „Ikone des barmherzigen Samariters“ und bekannte: „Ich bin dieser mutigen Frau, deren Nähe ich immer gespürt habe, persönlich dankbar.“

Fast eine Million Abtreibungen vor 1979 in Deutschland

Mit ihren Vorhaltungen bei der Verleihung des Friedensnobelpreises hatte Mutter Teresa nicht übertrieben. In den 13 Jahren vor ihrer Ehrung war Abtreibung in vielen westlichen Ländern, beginnend 1967 in Großbritannien, legalisiert worden – 1972 in der DDR, 1976 in der BRD. Über die Abtreibungszahlen weltweit mag spekuliert werden. Es gibt mehr oder weniger plausible Schätzungen. Für Deutschland weist eine Statistik allein bis 1979 fast eine Million Abtreibungen (genau 944.116) aus. Das Statistische Bundesamt gibt zwar jährlich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche des Vorjahres bekannt, unterlässt es aber hartnäckig, die eigenen Zahlen zu addieren, die auch noch um eine Dunkelziffer in vergleichbarer Höhe ergänzt werden müssen.

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Mutter Teresa hatte nicht nur Recht im Hinblick auf die „Millionen ungeborener Kinder“, die getötet werden, sondern auch mit ihrer Feststellung, dass die Gesellschaft gegenüber den Abtreibungen „stumm“ bleibt. Die Politik hätte prüfen müssen, ob die bei jeder Reform des Abtreibungsstrafrechts vorgetragene Begründung, damit die Zahl der Abtreibungen senken zu wollen, zutrifft. Auch wenn die „Korrektur- und Nachbesserungspflicht“, die das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber für den Fall aufgetragen hat, dass das Ziel der Reform, die Abtreibungszahlen zu reduzieren, nicht erreicht wird, erst im Urteil vom 28. Mai 1993 festgehalten wurde: Dieser Pflicht hätte der Gesetzgeber auch schon nach den Reformen des Paragraphen 218 StGB 1974 und 1976 nachkommen müssen. Er ignoriert sie aber bis heute. Gesetzgeber und Regierung bleiben stumm.

Und die Vertreter der Kirche? Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), oder Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), betonten zwar immer wieder, dass der katholische Glaube den Schutz des ungeborenen Lebens verlangt. Aber sie hielten in der Debatte um eine erneute Reform der Paragraphen 218 ff., deren Befürworter den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr im Strafrecht, sondern im Zivilrecht oder in der ärztlichen Berufsordnung regeln wollten, die gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland von 1995 für einen guten Kompromiss zwischen dem Lebensrecht des Kindes und dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren, an dem nichts geändert werden solle. Auch diese Regelung ist eine Legalisierung der Abtreibung, die aus dem Beratungsschein eine Lizenz für den Arzt zur Tötung des ungeborenen Kindes machte. Gegenüber dieser Regelung zu schweigen oder sie gar als bewährten Kompromiss zu bezeichnen, ist gewiss nicht im Sinne von Mutter Teresa.

Manche Theologen hätten besser geschwiegen

Zu den sprachmächtigen Vertretern der Kirche können auch Theologieprofessoren gezählt werden, insbesondere jene der Moraltheologie und der Christlichen Gesellschaftslehre. Letztere haben zum weit überwiegenden Teil den Schutz des Lebens noch nicht als ihre Agenda entdeckt, obwohl alle Päpste seit Johannes Paul II. der „Kultur des Todes“ ihre Aufmerksamkeit widmeten und den Schutz des Lebens als sozialethische Aufgabe unterstrichen. Insbesondere Papst Benedikt XVI. betonte in seiner Enzyklika „Caritas in Veritate“ mehrfach den Zusammenhang zwischen der Ethik des Lebens und der Sozialethik.

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Bei manchen Theologen wünschte man sich freilich, sie wären stumm geblieben. Ursula Nothelle-Wildfeuer, Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Freiburg, erklärte 2024 gegenüber der Kirchenzeitung des Bistums Münster, „Kirche und Leben“, die Beteiligung der Kirche an der Debatte um eine Reform des Abtreibungsparagraphen stelle „ein Kräftemessen zwischen Kirche und Staat“ dar, bei dem es der Kirche mehr um „Lehrschutz“ als um Lebensschutz ging. Sie plädierte für eine „deutlichere Trennung von Kirche und Staat“ und, im Gegensatz dazu, für eine Rückkehr der Kirche in das gesetzliche Schwangerschaftskonfliktberatungssystem. Selbst der Marsch für das Leben, der vom „Bundesverband Lebensrecht“ 2003 erstmals und seit 2008 jährlich organisiert wird und der den stimmlosen Opfern der Abtreibung und der Euthanasie eine Stimme gibt, wurde im selben Interview ohne nähere Begründung als in seiner „Wirksamkeit für den Lebensschutz zumindest fragwürdig, wenn nicht sogar kontraproduktiv“ dargestellt.

Alle Gefährdungen des Lebens im Blick

Das Leben von Mutter Teresa ist ein Zeugnis für den christlichen Lebensschutz, der sich nicht auf den Kampf gegen die Abtreibung beschränkt, sondern alle Gefährdungen des Lebens im Blick hat und allen Notleidenden Hilfe anbietet. Wenn Mutter Teresa dennoch den Kampf gegen die Abtreibung ins Zentrum rückt, so weil sie überzeugt ist, dass die Leugnung des Lebensrechts im frühesten Stadium der menschlichen Existenz eine „Hauptzerstörerin des Friedens“ ist. Die immer wieder zu hörende Forderung, Katholiken sollten sich nicht nur um Abtreibung kümmern, sondern auch um Armut, Migration, Gesundheitsfürsorge und die Todesstrafe, erweckt den Eindruck, als hätten alle sozialen Probleme denselben Rang. Den haben sie aber nicht. Natürlich engagiert sich die Kirche in all diesen Feldern. Aber die seit der amerikanischen Debatte um den Kommunionempfang von Pro-Choice-Politikern Anfang der 80er Jahre immer wieder erhobene Forderung nach einer „konsistenten Ethik“ steht immer in Gefahr, die Grundfrage nach dem Lebensrecht zu relativieren und den Kampf der Kirche gegen die Abtreibung zu diskreditieren.

Dem ist Papst Benedikt XVI. schon 2006 in einem Schreiben an die amerikanischen Bischöfe entgegengetreten: „Nicht alle moralischen Fragen haben dasselbe moralische Gewicht wie Abtreibung und Euthanasie… Es mag selbst unter Katholiken über die Fragen, ob ein Krieg geführt oder die Todesstrafe angewandt werden soll, legitime Meinungsverschiedenheiten geben, nicht jedoch im Hinblick auf Abtreibung und Euthanasie.“ Im Schutz des Lebens ungeborener Kinder liegt deshalb die Wiege des Friedens, denn er trägt sowohl der Überzeugung als auch der Erfahrung Rechnung, dass die Tötung unschuldiger Personen in der frühesten Phase ihrer Existenz Probleme nicht verringert, sondern vermehrt.

Der Autor ist emeritierter Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Osnabrück.

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