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Hosen runter

Heute geht in Nairobi der Gipfel des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen zu Ende. Ziel der drei- tägigen Konferenz war es, alle verfügbaren Ressourcen und Kräfte zu bündeln, um 25 Jahre nach der Welt- bevölkerungskonferenz in Kairo der Ideologie der „sexuellen und reproduktiven Gesundheit“ und den „Rechten“, die interessierte Kreise daraus ableiten wollen, zum Sieg zu verhelfen.
Frauenkörper
Foto: adobe stock

Der Groll sitzt tief. Schon einmal – vor 25 Jahren nämlich – wollte der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) der Welt einen imperialistischen Stempel aufdrücken. Damals sollten die Teilnehmer der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo ein Schlussdokument unterzeichnen, das nicht nur den Ländern der sogenannten Dritten Welt die gescheiterte Sozialpolitik einiger technologisch und wirtschaftlich entwickelter Nationen aufgezwungen hätte, sondern auch die allgemeine Anerkennung eines Rechts auf Abtreibung ohne jede Einschränkung begründen sollte.

Eine unheilige Allianz, angeführt vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton und seinem Vize Al Gore, unterstützt von willfährigen UN-Beamten sowie mächtigen Nichtregierungsorganisationen wie der International Planned Parenthood Federation (IPPF), hatte einen Entwurf des Schlussdokuments vorgelegt, der niemand Geringeren als Papst Johannes Paul II. auf die Barrikaden trieb und zu einer Kampagne veranlassen sollte, die immer noch ihresgleichen sucht.

Modell einer „Gesellschaft von ‚Dingen‘ und nicht von ‚Personen‘“

Ausführlich beschrieben und mit zahlreichen interessanten Details garniert, findet sie sich in der von George Weigel vorgelegten Biografie „Zeuge der Hoffnung“ (Schöningh-Verlag, Paderborn 2002, vgl. S. 753–765). Hier nur so viel: Wie Johannes Paul II. im Laufe der zahlreiche Initiativen umfassenden Kampagne in einem Schreiben festhielt, mit dem er sich an die Staatsoberhäupter der Welt und den Generalsekretär der Vereinten Nationen wandte, hinterlasse die Lektüre des Dokuments „den bitteren Eindruck eines Diktates: nämlich eines Lebensstils, wie er typisch ist für gewisse Schichten einer entwickelten, materiell reichen und säkularisierten Gesellschaft“. Das sei ein neuartiger, sehr gefährlicher Imperialismus. Und weiter: Das geplante Dokument zeige jungen Menschen das Modell einer „Gesellschaft von ‚Dingen‘ und nicht von ‚Personen‘“.

Beherrschung der Triebe, Selbstlosigkeit und Verantwortungsgefühl seien Vorstellungen, die man offenbar als „einer anderen Zeit zugehörig“ betrachte. Die Führer der Welt würden auf diese Weise gerade jungen Menschen den „Sinn des Lebens“ vorenthalten, da sie ihnen nicht auch die „Pflichten“ aufzeigten, „die einem Wesen obliegen, das mit Intelligenz und Willensfreiheit ausgestattet ist“. Tatsächlich, so der Papst weiter, behandelten die Themen Bevölkerung und Entwicklung wichtige Fragen. Jedoch könne man sich mit ihnen nicht ernsthaft befassen, ohne dabei einen „Sinn für die Heiligkeit des Lebens“ und ein Verständnis für die „Fähigkeit [des Menschen], zu lieben und sich zu opfern“, an den Tag zu legen.

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Im Fokus standen Themen wie Verhütung und Abtreibung

Heute, 25 Jahre später, ist das immer noch hochaktuell. Und obwohl sich Geschichte nicht einfach wiederholt, gibt es – neben gravierenden Unterschieden – auch eine Reihe von Parallelen zu der Situation, die der Heilige Papst Johannes Paul II. damals antraf.

Der Agenda zufolge spielten auch diesmal die Themen Bevölkerung und Entwicklung allenfalls eine untergeordnete Rolle. Stattdessen sollten die Konferenzteilnehmer ihren Fokus auf Themen wie Verhütung und Abtreibung richten. Auf der Tagesordnung standen fünf Themenbereiche, darunter „Universeller Zugang zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte als Teil der allgemeinen Gesundheitsversorgung“ und „Wahrung des Rechts auf sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung auch in humanitären und fragilen Kontexten“.

Dieser Fokus war so eng, dass auch die Kenianische Bischofskonferenz bei einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag kein Blatt mehr vor den Mund nahm und den Gipfel als „Versuch“ brandmarkte, „unsere Jugend zu korrumpieren und sie zu Sklaven einer fremden Ideologie zu machen“. Der Ungeist des Imperialismus, soll das wohl heißen, ist eben keinesfalls erloschen.

Keine Delegation vom Heilig Stuhl nach Kenia

„Von einem sinnvollen Gipfel“ erwarte man „ein Programm, das Frauen und Kinder stärkt, die in extremer Armut leben“, so die Bischöfe weiter. Sichergestellt gehöre der Zugang von Frauen zu Arbeitsplätzen, Landbesitz und Technologie. Behandelt werden müssten Themen wie Migration, Alphabetisierung und Bildung. Stattdessen propagierten die Veranstalter unter dem „Deckmantel der Frauenförderung“ jedoch Verhütung und Abtreibung. Die Bischöfe kündigten an, gemeinsam mit dem Kirchenrat Kenias sowie Vertretern evangelischer Kirchen und Ärzten eine Gegenveranstaltung durchführen zu wollen.

Anders als bei der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo – und das macht zumindest demokratiepolitisch einen Unterschied – gingen der Konferenz in Nairobi allerdings keine umfangreichen Konsultationen über den Entwurf des Schlussdokuments voraus. Kritik, die in solchen Kreisen ohnehin keinen guten Ruf besitzt, sollte diesmal erst gar keine Gelegenheit erhalten, sich artikulieren zu können. Der Heilige Stuhl ließ deshalb die Regierung Kenias, die zusammen mit dem UNFPA und der Regierung Dänemarks den Gipfel ausrichtete, bereits am 24. Oktober wissen, dass er keine Delegation zu der Konferenz entsenden werde.

Ein handverlesenes Ensemble unter der Regie der UNFPA

Wie der Heilige Stuhl schreibt, sei die Erklärung von Nairobi ohne die „wesentlichen und grundlegenden Beratungen über den Text“ verfasst worden, wodurch eine breite Unterstützung „unmöglich gemacht“ worden sei. Da die Konferenz zudem „außerhalb des Rahmens der Vereinten Nationen“ stattfinde, seien „transparente Regierungsverhandlungen“ ausgeschlossen. Dennoch werde der Eindruck „eines Konsenses“ über die Erklärung von Nairobi vermittelt. Anders formuliert: In Nairobi waren nur Abnicker erwünscht.

Dazu passt, dass pro-life ausgerichtete Nichtregierungsorganisationen bereits Mitte Oktober beklagten, dass der UNFPA bisher keine einzige von ihnen für die dreitägige Konferenz von 12. bis 14. November in Nairobi akkreditiert habe. Darunter auch solche nicht, die gemäß Artikel 71 der UN-Charta offiziell als Berater zugelassen sind. Kein Problem mit der Akkreditierung hatten dagegen Organisationen, die Abtreibung befürworten, bewerben oder gar selbst durchführen. Mehr noch: Einige von ihnen, wie die „International Planned Parenthood Federation“, „SheDecides“, „Family Planning Association“ und „Women Deliver“ saßen sogar im Lenkungskomittee der Konferenz.

In einer offiziellen Pressemitteilung der UNFPA wurde, einen Tag vor Konferenzbeginn, ein ganz anderer Eindruck erweckt. „Kenia ist stolz darauf, 6 000 Staats- und Regierungschefs, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, junge Menschen, Führungskräfte aus Wirtschaft und Religion und so viele andere aus 160 Ländern zu beherbergen“, darf dort der Staatssekretär im kenianischen Außenministerium, Macharia Kamau, erklären. In Wirklichkeit handelt es sich bei der Konferenz um die Zusammenkunft eines mehr oder minder handverlesenen Ensembles, das unter der Regie des UNFPA der Welt drei Tage lang die Illusion von Demokratie und Konsens vorgaukelte.

„Recht auf sexuelle Selbstbestimmung“ neu beleuchtet

Was wie eine Demonstration der „Arroganz der Macht“ aussieht, scheint jedoch in Wahrheit von Angst gespeist zu werden, wie eine Anfang vergangener Woche erschienene Studie des „Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung“ mit Sitz in Berlin nahelegt. Die Studie, die den Titel „Umkämpftes Terrain“ trägt, und durch Zuwendungen des Drogeriekönigs Dirk Roßmann, eines bekennenden Atheisten, ermöglicht wurde, beleuchtet, wie es im Untertitel heißt, den wachsenden „internationalen Widerstand gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung“. Obwohl die Autorinnen erwartungsgemäß keinerlei Sympathien für Papst Franziskus und den Vatikan, die Administration von US-Präsident Donald Trump, die Pro-Life Bewegung in den USA oder die „Agenda Europe“ erkennen lassen – einem „Netzwerk aus konservativen Politikern und NGOs, das 2013 in Leben gerufen wurde“ –, zeigen sie sich von deren Erfolgen beeindruckt.

Papst und Vatikan wird die Fähigkeit attestiert, Allianzen „auch über alle religiösen und kulturelle Gräben hinweg“ zu schmieden, welche „die Möglichkeiten der Vereinten Nationen“ begrenzten, „sich effizient und für die Selbstbestimmung rund um Sexualität und Fortpflanzung einzusetzen“. Ausführlich beschrieben werden die Nöte, in welche die Abtreibungslobby aufgrund der Wiederaufnahme und Ausweitung der „Mexiko City-Policy“ durch die Trump-Administration geraten sei.

Voller Sorge blicken die Autoren auch auf die Europäische Union. Der Auftrieb und wachsende Einfluss „von Anti-Choice-Organisationen“, also solchen, die sich dem Lebensschutz verschrieben haben, könne „künftig nicht nur die nationale Politik in den EU-Mitgliedsstaaten stärker beeinflussen“. Auch „die Machtverhältnisse in den Institutionen der EU könnten sich dadurch verändern“. Ob die Europäische Union „ihre Rolle als zentraler Fürsprecher und Förderer sexueller und reproduktiver Gesundheit und Recht auch über die Legislaturperiode bis 2014 hinaus weiter uneingeschränkt wahrnehmen kann“, müsse abgewartet werden.

 

Hintergrund

Internationale Konferenzen verfahren üblicherweise nach dem Konsensprinzip. Bevor ein Dokument von der Konferenz als Ganzer angenommen werden kann, müssen die Teilnehmer entweder allen seinen Teilen zustimmen oder zumindest erklären, dass sie diesen „ihre Zustimmung nicht versagen“. Ist Letzteres der Fall, dann können dem Schlussdokument die „Vorbehalte“ einzelner Teilnehmer hinzugefügt werden.

Der UNFPA (United Nations Population Fund) mit Sitz in New York wurde 1967 als Treuhandfond errichtet und ist der weltweit größte Fonds zur Finanzierung von Bevölkerungsprogrammen. Er gibt seit 1969 jährlich einen Weltbevölkerungsbericht heraus. Finanziert wird der Fonds aus freiwilligen Beiträgen der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sowie den Spenden privater Stiftungen.

Unter „reproduktiver Gesundheit“ wird seit Kairo der „Zustand des vollständigen seelischen, körperlichen und sozialen Wohlbefindens im Hinblick auf Sexualität und Fortpflanzung“ verstanden. Daraus abgeleitet wird das „Recht“, über Zeitpunkt und Zahl der Kinder selbst entscheiden zu können. Aufgrund dieses Rechts – so will es die Ideologie – hätten Männer und Frauen nicht nur ein Anrecht auf Zugang zu bezahlbaren Kontrazeptiva, sondern müssten auch die Möglichkeit besitzen, ein ungeplantes Kind, fachgerecht abzutreiben, um auf diese Weise eine ungewollte Schwangerschaft beenden zu können.

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