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Bewusstlose Leihmütter

Künftig könnten für hirntot erklärte Frauen Leihmütter ersetzen. Das schlug kürzlich die Bioethikerin Anna Smajdor von der Universität Oslo in der Zeitschrift „Theoretical Medicine and Bioethics“ vor. Der Shitstorm blieb nicht aus. Warum er unangebracht ist und den Falschen traf.
Leihmutterschaft mit hirntoten Frauen
Foto: AndreyPopov via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Leihmutterschaft mit hirntoten Frauen. Eine Auswirkung der zunehmenden Ideologie des Transhumanismus?

Anna Smajdor ist Philosophin. An der Universität Oslo lehrt die gebürtige Britin Medizinische Ethik und Bioethik. Dabei gilt Smajdors besonderes Interesse der „Ethik der Reproduktionsmedizin“. Und damit, jedenfalls in weiten Teilen, einem schwarzen Schimmel. Smajdor ist nicht irgendwer. 2021 gab sie gemeinsam mit Jonathan Herring und Robert Wheeler das „Oxford Handbook of Medical Ethics and Law“ heraus. Ende vergangenen Jahres veröffentlichte sie in der Fachzeitschrift: „Theoretical Medicine and Bioethics“ unter dem Titel „Whole body gestational donation“ (dt.: „Ganzkörper-Schwangerschaftsspende“) einen scheinbar vielbeachteten Aufsatz, der kurz nach seinem Erscheinen eine Reihe kritischer Medien-Berichte und heftige Reaktionen auf Social Media-Plattformen auslöste. Dabei wurde die Medizinethikerin mal als „Nazi“, mal als „Frauenfeind“, mal als „Rechts“-, mal als „Linksextremist“ beschimpft sowie als „wissenschaftlicher Analphabet“ oder „böse Wissenschaftlerin“ bezeichnet. Doch dazu später mehr.

In ihrem 12-seitigen Essay greift Smajdor einen Vorschlag von Rosalie Ber vom „Israel Institute of Technology“ auf und modifiziert diesen in einigen Punkten. Ber hatte im Jahr 2000 in derselben Zeitschrift vorgeschlagen, die Kinder von Paaren, die sich zur Realisierung ihres Kindeswunsches an Leihmutter-Agenturen wenden, anstelle von gedungenen Leihmüttern von Frauen austragen zu lassen, die sich in einem sogenannten „anhaltenden vegetativen Status“ (PVS) befänden. Als PVS (PVS = persistent vegetative state), auch apallisches Syndrom oder Wachkoma genannt, wird in der Medizin der Zustand von Personen bezeichnet, die infolge einer schweren Schädel-Hirn-Verletzung tatsächlich oder auch nur scheinbar dauerhaft das Bewusstsein verloren haben, jedoch selbstständig atmen und verdauen. Auf diese Weise ließen sich, so Ber damals, viele der moralischen Probleme, die mit Leihmutterschaft-Arrangements verbunden seien, umgehen.

Hirntote Patientinnen sollen Kinder austragen

In ihrer renovierten Version schlägt Smajdor vor, die Kinder anstelle von Patientinnen mit einem diagnostizierten PVS von solchen austragen zu lassen, die künstlich beatmet werden müssen und für „hirntot“ erklärt wurden. Das habe mehrere Vorteile. So gäbe es nicht nur deutlich mehr für hirntot erklärte Patienten (in Großbritannien etwa 18 pro eine Million Einwohner) als Patienten mit PVS (0,01 bis 0,02 pro eine Million Einwohner). Auch werde die Hirntod-Diagnose, wenngleich auch sie „nicht unumstritten“ sei, von Medizinern deutlich seltener infrage gestellt als PVS-Diagnosen. Zudem könnten sich PVS-Patienten ganz oder teilweise von ihrem Schädel-Hirn-Trauma erholen.

Bei hirntoten Patienten sei dies per definitionem ausgeschlossen. Wer von ihnen sich „erhole“, sei „in Wirklichkeit nie hirntot“ gewesen. Ein Umstand, der die Hirntod-Diagnose zum „bevorzugten Weg der Organspende“ mache. Auch seien „die Anforderungen an die Zustimmung zur Organspende“ verglichen mit „den Zustimmungen, die für andere Formen medizinischer Eingriffe erforderlich“ seien, „äußerst locker“. Wenn „die derzeitigen Zustimmungsprotokolle für die Organspende akzeptabel“ seien – in Großbritannien gilt die Widerspruchsregelung – dann könnten sie auch als hinreichend für eine WBGD (WBGD = „Whole body gestational donation“) betrachtet werden.

Ein weiterer Vorteil sei, dass „die schwangere Frau bereits tot“ sei und folglich „nicht geschädigt werden“ könnte. Daher könnten die beauftragenden Eltern nach ihren eigenen Wünschen über Abtreibung oder selektive Reduktion entscheiden, ohne sich um die Auswirkungen auf die Schwangere kümmern zu müssen. Normalerweise „wagen wir es nicht, zu viele Embryonen auf lebende Frauen zu übertragen, da die selektive Reduktion traumatisch und schädlich für die schwangere Frau ist“. Probleme, die bei WBGD-Spenderinnen entfielen. „Eltern können so viele Embryonen übertragen, wie sie erzeugen können, um die Chancen auf mindestens eine lebensfähige Geburt zu maximieren und gegebenenfalls beschädigte oder kranke Embryonen im Voraus zu verwerfen.“

Zynische Kritik an der Hirntod-Diagnostik

Spätestens hier hätte jeder begreifen können, dass Smajdor nicht einer „Ganzkörper-Schwangerschaftsspende“ das Wort redet, sondern stattdessen eine zynische Kritik an der Hirntod-Diagnostik, den Bedingungen der Organspende sowie den Zumutungen der Reproduktionsmedizin formuliert. Dafür wäre es allerdings erforderlich gewesen, den gesamten Aufsatz zu lesen, statt nur den ihm vorangestellten „abstract“.

Will man den Medien, die reißerisch über Smajdors Essay berichteten, nicht Bösartigkeit unterstellen, muss man annehmen, dass sie es bei der Lektüre der Zusammenfassung beließen. Die „Social-Media-Helden“ wiederum dürften sich auf Überschriften und Schnell-Lese-Ebenen verlassen haben. In einer moralisch halbwegs gesunden Welt könnte man es dabei bewenden lassen. Dass das nicht geht, liegt daran, dass eine solche Welt bedauerlicherweise nicht existiert. Und womöglich auch nie existiert hat. Zumindest nicht seit der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies. Jedenfalls ist das Gedankenexperiment, das Smajdor in ihrem Aufsatz bis in die letzte Konsequenz durchspielt, alles andere als unrealistisch. Nicht nur, weil der Vorschlag Bers, den Smajdor persifliert, durchaus ernst gemeint war. Sondern auch weil Bio-„Ethiker“ in der Vergangenheit zahlreiche vergleichbare „Konzepte“ vorgeschlagen haben. Sie reichen von der Forderung, Krankenhausärzte sollten Wachkoma-Patienten, Sterbende und irreversibel Bewusstlose töten, um Anzahl und Qualität transplantierbarer Organe zu steigern, über die Erzwingung von Samen„spenden“ Verstorbener mittels durch den Anus eingeführter Sonden, die elektrische Impulse auslösen, bis zur Rabattierung künstlicher Befruchtungen, sofern die sie in Anspruch nehmenden Paare sich bereitfinden, für „überzählig“ erachtete Embryonen für die sie verbrauchende Forschung zu spenden.

Makabres Experiment

So unterschiedlich all diese Konzepte auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, gemeinsam ist ihnen, dass sie den menschlichen Körper nicht als Leib einer Person, sondern als bloße Materie und Teil der Natur betrachten, die ausgebeutet und nutzbar gemacht werden darf. So wie embryonale Stammzellen, für deren Gewinnung menschliche Embryonen zerstört werden müssen, längst als Testsysteme für die „Toxizitätsprüfung“ von Arzneimitteln, Kosmetika und chemischen Produkte jedweder Art herhalten, so stehen für hirntot erklärte Patienten mittlerweile für die Funktionsprüfung von Xenotransplanten (aus genetisch modifizierten Schweinen gewonnenen Organen) gerade.

Im Oktober 2021 veröffentlichte die Boulevard-Zeitung „USA Today“, mit 1,6 Millionen Exemplaren die auflagenstärkste Tageszeitung der USA, eine Reportage, bei der ein Team um den Chirurgen Robert Montgomery, Leiter des N.Y.U. Langone Health Transplant Institute in Manhattan, eine solche Schweineniere erfolgreich mit dem Organismus einer für hirntot erklärten, künstlich beamteten Patientin verband. Dabei wurde die zuvor explantierte Schweineniere, die bereits nach kurzer Zeit damit begonnen haben soll, Urin zu produzieren, provisorisch auf dem Oberschenkel der Patientin befestigt. Das makabre Experiment wurde nach 54 Stunden beendet und die Patientin vom Beatmungsgerät getrennt. Das Echo, das damals aus der „scientific community“, der Gemeinschaft der Wissenschaftler, erscholl, kam einer moralischen Bankrott-Erklärung gleich. Statt in Entsetzen verfielen die Forscher in Freudentaumel und sprachen von einem „Meilenstein“ auf dem Gebiet der Xenotransplantation. Kritisiert wurde lediglich, das Experiment habe nicht lange genug gedauert, „um Aussagen zur immunologischen Abstoßung oder zur möglichen Übertragung von Schweineviren“ treffen zu können.

Preiswerte Alternative zu Leihmütter-Arrangements

Da kann die Idee, dass hirntote Frauen auch als preiswerte Alternative zu Leihmütter-Arrangements in Betracht gezogen werden könnten, schwerlich Smajdor angelastet werden. Sie liegt längst auf der Hand. In einer mindestens ebenso unethischen Variante sogar bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir dürfen der Britin, die erklärtermaßen keine Christin ist, durchaus dankbar dafür sein, dass sie mit ihrem Zynismus (oder einem für Festland-Europäer schwer zugänglichen schwarzen Humor) die längst umherwandernden diesbezüglichen Konzepte auf die Spitze getrieben hat. Mehr noch: Man braucht kein Prophet zu sein, um zu wissen, dass die Nutzbarmachung von für hirntot erklärten Menschen als Versuchslabor für medizintechnische Verfahren gänzlich auf der Linie des so aufstrebenden wie wirkmächtigen Trans- humanismus liegt, der den Menschen als Maschine betrachtet, die mittels Technologie optimiert oder im Falle des Funktionsausfalls zweckentfremdet und ausgeschlachtet werden kann.

Früher oder später werden sich Staat und Gesellschaft – hierzulande wie andernorts – entscheiden müssen. Wollen sie nicht länger von Tabubruch zu Tabubruch stolpern, und sich dem Terror von „Wissenschaftlern“ ergeben, deren „höher-schneller-weiter“-Faszination keine Grenze zu akzeptieren bereit ist und die sich daher auch nicht mit der von manchen ersehnten Überwindung der Spezies „homo sapiens sapiens“ zufrieden geben werden, müssen sie anfangen, ernsthaft darüber nachdenken, wie Menschen neu lernen, wenigstens ihre eigene Gattung zu respektieren und sie vor Übergriffen zu schützen, die ihre Individuen verdinglichen und verzwecken.

Religion des Teufels

An „Konzepten“, die sich dazu eignen und auf die dabei zurückgegriffen werden kann, herrscht kein Mangel. Sie wurden von so unterschiedlichen Denkern wie Winfried Böhm, Martin Buber, Erich Fromm, Romano Guardini, Paul-Ludwig Landsberg, Jacques Maritain, Emmanuel Mounier, John Henry Newman, Max Scheler, Robert Spaemann oder auch Edith Stein und Karol Wojtyla entwickelt und firmieren in der Philosophie unter dem Oberbegriff „Personalismus“. Wer sich dem Transhumanismus, den einige für die „Religion des Teufels“ halten, nicht kampflos ergeben will, findet hier überzeugende Argumente.

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