Lebensschutz

Gelungenes Experiment

Mit einer hochkarätigen Podiumsdiskussion im vollbesetzten Bonner Münster zum "Assistierten Suizid" präsentiert sich die katholische Kirche endlich wieder einmal gesellschaftsrelevant und den Menschen zugewandt
Debatte um Neuregelung der Suizidassistenz
Foto: imago stock&people via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Sterben bleibt ein in hohem Maße variabler Vorgang, wie überfallartige Todesfälle ebenso belegen, wie jene, bei denen die Suizidassistenz nicht das intendierte Ergebnis bringt.

Derart viele ungläubige Gesichter sieht man selten. Schon gar nicht an einem Hort des Glaubens. Selbst der Bonner Stadtdechant Wolfgang Picken scheint einen Moment zu brauchen, um zu realisieren, dass das, was sich gerade vor seinen Augen abspielt, kein Traumbild, sondern Realität ist. Schon eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn sind sämtliche Kirchenbänke im Bonner Münster voll besetzt. Wo sonst vier Gottesdienstbesucher bequem Platz finden, sitzen nun fünf oder gar sechs Menschen, dicht an dicht gedrängt.

Rund 750 Menschen, heißt es später, hätten an diesem Abend den Weg in die Münsterbasilika gefunden. Rund 250 weitere hätten sich per Live-Stream zugeschaltet und die Podiumsdiskussion verfolgt, zu der die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn, das katholische Bildungswerk und das Stadtdekanat Bonn geladen hatten. Die Veranstaltung trägt den Titel "Assistierter Suizid – Worum es geht und was auf dem Spiel steht". Ein Thema, das die Menschen offensichtlich elektrisiert. Immer noch strömen sie in Scharen in die Stadtkirche. Eilig stellen ehrenamtliche Helfer Stühle in der Apsis auf. Als die ausgehen, werden Hocker herbeigeschafft. Das hilft. Reichen tut es nicht. Am Ende müssen Treppenstufen als Sitzgelegenheiten und Säulen als Rückenstützen herhalten.


Das Podium in der Basilika

"Sie erleben heute Abend eine besondere Premiere", begrüßt Picken die Gekommenen. Es sei das "erste Mal", dass "das Podium mitten in der Münsterbasilika" stehe. Dass ihm der Altar weichen musste, stößt dem einen oder anderen ein wenig bitter auf. Allerdings sind die regelmäßigen Gottesdienstbesucher an diesem Abend eindeutig in der Minderheit. "Wir haben uns dazu entschieden, ethisch relevante Fragestellungen ganz bewusst in die Mitte dieser Kirche zu setzen, damit Dialog in unserer Gesellschaft möglich wird und auch wir uns als Christen und als Kirche in gesellschaftliche Debatten kompetent eingeben. Für den heutigen Abend haben wir das Thema ,Assistierter Suizid  ausgewählt. Eine schwierige Fragestellung, die aber hohe gesellschaftlich Aktualität besitzt", erklärt Picken.
 
In der Tat. Bis Ostern, hieß es Anfang des Jahres, wolle der Deutsche Bundestag abschließend über die bereits in Erster Lesung behandelten drei interfraktionellen Gesetzesentwürfe entscheiden. Mit ihnen wollen die Parlamentarier die Beihilfe zum Suizid rechtlich neu regeln. Bleibt es dabei, müsste ihre abschließende Behandlung in der Sitzungswoche vom 27. bis 31. März auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Paradoxe Situation

Auf dem hochkarätig besetzten und von "Phönix"-Redakteur Thomas Bade mit viel Umsicht, Feingefühl und dem Thema angemessener Ernsthaftigkeit moderierten Podium sorgen die Gesetzesentwürfe denn auch gleich für eine der wenigen Kontroversen an diesem Abend. Mit ihnen wolle der Gesetzgeber "verhindern, dass der Suizid zu einem Normalfall wird", erklärt die Bonner Medizinethikerin Christiane Woopen. Diesem Anliegen könne sie "durchaus beipflichten". Übersehen werde jedoch, dass eine Gesetzgebung, die festlege, ab wann ein assistierter Suizid "rechtlich vertretbar" sei, damit auch zugleich definiere, was künftig "als Normalfall" zu gelten habe. "Durch die Regulierung" rufe der Gesetzgeber also "genau das hervor, was er eigentlich verhindern möchte". Das sei eine "paradoxe Situation, die so in der Gesellschaft noch nicht ausreichend diskutiert wird", meint die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats.


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Selbstbestimmung in Freiheit

Das sieht der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio anders. Wie Woopen hält auch di Fabio dafür, "dass es zur Selbstbestimmung in Freiheit gehört, sich auch das Leben zu nehmen". Das habe jedoch "schon vor 150 Jahren" festgestanden. Die eigentliche Frage sei daher, "welche Rahmenbedingungen schafft eine Gesellschaft, um mit diesem Recht umzugehen". Denn werde bei der Selbsttötung Assistenz geleistet, gehe mit diesem Recht auch "eine Gefahr" einher. "Die Gefahr nämlich, dass ein Geschäft daraus wird" und dabei "die Autonomie des Einzelnen unter die Räder kommt". Dem gelte es zu wehren. Denn jede Selbsttötung sei "per se ein Grenzfall der menschlichen Existenz". Es sei "nicht der Normalfall, wie wir Freiheit ausüben". Und deshalb habe "die Rechtsordnung, die den Schutz des Lebens gewährleisten muss, eine gesellschaftliche Verantwortung, die Autonomie des Einzelnen, der aus dem Leben scheiden will, bis an den Schluss zu wahren".


"Leben" und "Autonomie" müssten jeweils auch vor "gesellschaftlichen Kräften" geschützt werden, die Menschen "dazu bringen, aus dem Leben zu scheiden". Der Staatsrechtler, der wie Woopen an der Universität Bonn lehrt, verweist auf die Erfahrungen, die die Niederländer mit ihrer "stark liberalisierten" Gesetzgebung gemacht hätten: "Die Erfahrungen sind nicht durchweg positiv. Das muss man ganz deutlich sagen." Es gebe Fälle, in denen die Betroffenen "von dem Umfeld, von nahen Verwandten in die Richtung der Selbsttötung gedrängt wurden". Auch gebe es "eine Scham", anderen zur Last zu fallen. Die könne einen gesellschaftlichen Druck aufbauen, ",Ja  zur assistierten Selbsttötung zu sagen". "Und dann ist die Schwelle nicht fern, wo man mehr gedrückt wird, als dass man selbst die Hilfe auf sich zieht." Es sei zwar richtig, dass der Gesetzgeber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 nicht zwingend handeln müsse. "Es ist keine unzumutbare Rechtslage entstanden." Wohl aber verlange "die gesellschaftliche Entwicklung einen gesetzgeberischen Schutz der Autonomie auch und gerade des Sterbewilligen". Er, so Di Fabio weiter, halte dies auch für "den richtigen Weg des Umgangs mit dieser nicht einfachen Entscheidung" des Bundesverfassungsgerichts, "die das Selbstbestimmungsrecht sehr stark akzentuiert und die Gefahren, die mit einer organisierten Assistenz einhergehen, doch, sagen wir mal, nur am Rande behandelt".


Schlechte Informationslage

Dann ist Lukas Radbruch an der Reihe. Der Ärztliche Direktor der "Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin" der Universität Bonn, erklärt, er stelle immer wieder fest, dass Menschen, die einen Sterbewunsch artikulierten, "nicht alle Informationen haben, dass sie nicht wissen, welche Symptome man lindern kann und was es noch an alternativen Möglichkeiten gibt". Auch seien Suizidwünsche "schwankend", oft von einem auf den anderen Tag. Die Palliativmedizin, die "das Leben weder verkürzen noch verlängern" solle, habe "viele Optionen, die vorher gezogen werden könnten". Zu seinem Bild als Arzt passe es auch nicht, "eine tödliche Medikation zu verabreichen. Das möchte ich nicht in meiner Tätigkeit als Arzt ausüben".
Stefan Buchs, Mitglied der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz und Bonner Hochschulpfarrer, weist daraufhin, dass hinter einem Suizidwunsch oft gar kein Todeswunsch stehe, "sondern der Wunsch, nicht mehr so zu leben, wie ich jetzt lebe". Einer der Hauptfaktoren sei "Vereinsamung". Der könne jeder Einzelne, aber auch eine Gemeinschaft wie die Kirche entgegenwirken.


Dass es viel entscheidender sei, Suizide zu verhindern, statt die Beihilfe zu ihnen rechtlich zu regeln und sie zu organisieren zu helfen, scheint auch das Anliegen vieler Zuhörer zu sein. Als etwa Woopen darauf hinweist, der Ethikrat habe dem Gesetzgeber bereits 2014 empfohlen, sein Augenmerk verstärkt auf die Suizidprävention zu lenken und im Bonner Münster ein "Suizidpräventionsgesetz" fordert, brandet lang anhaltender Applaus auf. Den erntet auch Lukas Radbruch, als er erklärt, "aus meiner Sicht ist die Hospiz- und Palliativversorgung, das begleitete Sterben, genau der richtige Weg und eine Art der Suizidprävention, wenn man das Wissen darüber verbreitet".


Suizidprävention kostet Geld

Einig sind sich die Experten, dass der Gesetzgeber für den Ausbau der Suizidprävention sehr viel mehr Geld in die Hand nehmen müsse, als für Beratungsstellen, die Suizidwilligen Autonomie bescheinigen sollen. Ersteres sei "ein dickes Brett" und "sehr kostenintensiv". Während die Experten auf dem Podium weiter diskutieren, fühlt sich der Betrachter an Albus Dumbeldore erinnert. In der Verfilmung von Joanne K. Rowlings Roman "Harry Potter und der Feuerkelch" bedeutet der weise Schulleiter der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei seinem Schützling Harry: "Schon bald müssen wir uns entscheiden, zwischen dem richtigen Weg und dem leichten."

 

Und auch die Besucher, die den Weg ins Bonner Münster gefunden haben, lassen keinen Zweifel daran aufkommen, welchen Weg sie präferieren. Immer wieder brandet Applaus auf. So etwa als Radbruch erklärt, statt eine bloße "Beratung" durchzuführen müsse es darum gehen, "eine Beziehung" aufzubauen. Oder als in einer kurzen, eingestreuten Runde mit Praktikern ein Chefarzt erzählt, dass er sich "Zeit" für Gespräche mit Patienten "nimmt", die er eigentlich nicht habe. Zeit und Zuwendung, so scheint es, sind der Mehrheit der Menschen in der Münsterbasilika besonders wichtig. Auch und vielleicht gerade weil die sogenannte "sprechende Medizin" aus dem deutschen Gesundheitssystem inzwischen weitgehend verbannt wurde. Was eine sich um die Gesundheit der Seele sorgende Kirche tun kann, demonstriert der Bonner Stadtdechant. Für den Fall, dass das Thema bei dem einen oder anderen Zuhörer Gesprächsbedarf auslöse, stünden im Anschluss "für jeden von Ihnen, der das Bedürfnis hat, persönlich ein Gespräch zu führen, Seelsorger zur Verfügung", erklärt Picken. So also, zugewandt, gewinnend und respektvoll, kann sich Kirche auch präsentieren.

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