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ARD und ZDF wollen Netflix Konkurrenz machen

Konkurrenz belebt das Geschäft: Mit einem massiven Ausbau ihrer Mediatheken wollen die Öffentlich-Rechtlichen Netflix und Co. etwas Wasser abgraben.
Apps von ARD und ZDF und anderen
Foto: dpa | Lange hinkten ARD und ZDF Streamingdiensten wie Netflix mit non-linearen Medienangeboten hinterher. Das hat sich mittlerweile geändert - die Zugriffszahlen auf die Mediatheken steigen.

Bereits seit Jahren sehen sich die Programmverantwortlichen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen mit neuen Sehgewohnheiten der Zuschauer konfrontiert. Die Verbreitung der sogenannten Online-Streamingdienste (Netflix startete in Deutschland 2014, dann folgten unter anderem Amazon Prime, Sky beziehungsweise Wow, Apple TV+ und Disney+) und der damit einhergehende neue Serienboom führten dazu, dass sich immer mehr Menschen ihr „Fernseh“-Programm selbst zusammenstellen. Demgegenüber überwiegt Umfragen zufolge inzwischen das lineare Fernsehen lediglich bei den über 50-jährigen Zuschauern.

Deshalb setzt das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf den Ausbau seiner Mediatheken. Was zunächst als eine Art Archiv konzipiert wurde, um ausgestrahlte Sendungen eine Zeit lang abrufbar zu halten, hat sich zu regelrechten Streaming-Diensten nach dem Vorbild von Netflix und Co. entwickelt. Es werden längst nicht nur etwa erfolgreiche europäische Serien bereitgehalten, sondern auch einige Produktionen in die öffentlich-rechtlichen Mediatheken eingestellt: Zurzeit wird insbesondere bereits für das Prestigeobjekt „Der Schwarm“, die Verfilmung des gleichnamigen Ökothrillers von Frank Schätzing als internationale achtteilige Serie, kräftig geworben. Auch international koproduzierte Dokumentationen haben in der Mediathek ein viel größeres Publikum gefunden, als in deren linearer Ausstrahlung.

„Die ARD-Mediathek wurde im ersten Quartal des Jahres 609 Millionen Mal angeklickt,
19 Prozent mehr als in den ersten drei Monaten von 2021.
Die ZDF-Mediathek wuchs 2021 um 40 Prozent im Vergleich zu 2020“

Film-Klassiker hingegen haben die Bezahl-Streamingdienste mit Ausnahme von Disney+ (mit dem riesigen Fundus eines der größten Filmproduktionskonzerne überhaupt) bislang kaum entdeckt. Bei Amazon und bei YouTube können zwar Filmklassiker gegen Bezahlung abgespielt werden, allerdings ist bei der Auswahl der eingestellten Filme irgendeine Systematik nicht zu erkennen. Die Mediatheken von ARD oder ZDF scheinen sich ebenfalls in Sachen Filmklassikern eher vom Zufallsprinzip leiten zu lassen. So stehen in der ZDF-Mediathek unter der Rubrik „Retro-Serien und -Filme“ neben den drei „Fantomas“-Filmen aus den 1960er Jahren die vier Staffeln der ZDF-Familienserie „Die Wicherts von nebenan“ (1986-1991).

In diesem Zusammenhang bietet die ARTE-Mediathek eine größere Systematik – so befinden sich darin neben der Rubrik „Asiatisches Kino“ auch eine Retrospektive des französischen Regisseurs Maurice Pialat (1925-2003), aber auch einige deutsche Klassiker von Rainer Werner Fassbinders „Angst essen Seele auf“ (1974) und „Lili Marleen“ (1981) bis Tom Tykwers „Lola rennt“ (1998). „Im sehr umkämpften Streamingmarkt setzen wir auf eine starke Editorialisierung unserer Inhalte. Wir betten einzelne Programme inhaltlich in übergeordnete Themen ein und stellen sie in Bezug zum aktuellen Geschehen, um den Nutzern Orientierung zu geben“, so Sylvie Stephan, stellvertretende ARTE-Programmdirektorin.

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Qualität statt Quantität

Für seine Mediathek setzt der deutsch-französische Kultursender besonders auf europäische Serien, in denen Erzählweisen und die Kamerasprache weiter entwickelt werden. Ein Beispiel sind die ersten drei Staffeln der dänischen Erfolgsserie „Borgen“, deren deutsche Erstausstrahlung 2012-2014 bei ARTE lief. Auch die belgisch-niederländische Serie „Red Light“ – die allerdings nicht mehr verfügbar ist – soll ein Beispiel für „qualitative Standards und überraschende Erzählweisen und Perspektiven“ (Sylvie Stephan) sein. Ebenso können sich Opern- und Rockmusikfreunde zahlreiche hochklassige Konzerte im Stream ansehen.

„Kuratiertes“ Fernsehen könnte das Prinzip vor allem von ARTE, aber auch von ARD und ZDF, lauten. Ein Alleinstellungsmerkmal ist es jedoch nicht, denn dies gilt auch für kleinere Streamingdienste, etwa MUBI, der auch als Produktionsfirma und Filmverleih agiert. Im MUBI-Selbstverständnis heißt es: „Kino aus allen Teilen der Welt. Von Regie-Ikonen zu aufstrebenden Autorenfilmern – jeder einzelne Film wird von den MUBI-Kuratoren sorgfältig ausgewählt.“ Ähnliches könnte von Apple TV+ ausgesagt werden: Qualität statt Quantität scheint dessen Devise zu sein. Apple TV+ nahm erst ab November 2019 in Deutschland mit kleinem Inhalt seinen Betrieb auf, hat aber nach und nach qualitative Serien hinzugefügt (siehe DT vom 16. Oktober 2021). Wohl ein Alleinstellungsmerkmal für die öffentlich-rechtlichen Mediatheken sind – naturgemäß – die Nachrichtensendungen: „Auch bei der Mediathekennutzung wächst das Interesse an gut recherchierten Nachrichten und Hintergrundberichten“, so Sophie Burkhardt, Channel-Managerin der ARD und stellvertretende Programmdirektorin.

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Die Nutzerzahlen sind stark gewachsen

Auch deshalb wachsen die Nutzerzahlen: Die ARD-Mediathek wurde im ersten Quartal des Jahres 609 Millionen Mal angeklickt, 19 Prozent mehr als in den ersten drei Monaten von 2021. Die ZDF-Mediathek wuchs 2021 um 40 Prozent im Vergleich zu 2020. Auch bei ARTE kann der Trend bestätigt werden: Die Mediathek zählte letztes Jahr 1,8 Millionen Zugriffe – ein Wachstum um 68 Prozent von 2019 bis 2021. Eine weitere Rolle spielt ebenfalls das nutzerfreundliche Design, das insbesondere bei der ARD-Mediathek der Oberfläche von „Netflix“ immer mehr ähnelt.

Auf dem Bezahl-Streaming-Markt ist zurzeit eine eher paradoxe Entwicklung zu beobachten: Die Online-Dienste (allen voran Netflix) punkteten zunächst damit, dass eine ganze Staffel auf einmal online gestellt wurde. Der Zuschauer selbst konnte entscheiden, ob er sie am Stück oder in welchem Rhythmus auch immer sehen wollte. Demgegenüber greifen Disney TV+ und Apple TV+ auf den Ausstrahlungs-Rhythmus klassischer TV-Serien zurück: Sie stellen zu Beginn zwei oder drei Folgen und dann je eine Folge pro Woche online.

Wandel im Nutzerverhalten lenkt die Anbieter

Diese Art der Kundenbindung scheint eher zu funktionieren, weil bei Netflix die Zuschauer – so Jonathan Ederer (siehe DT vom 28. Juni) – „danach die Plattform auf unbestimmte Zeit wieder verlassen“. Der Streaming-Riese scheint es inzwischen verstanden zu haben: Ende Mai wurde lediglich der erste Teil aus der vierten Staffel von „Stranger Things“ online gestellt – der zweite Teil mit zwei Kapiteln wird erst am 1. Juli veröffentlicht. Das Gegenstück bei den öffentlich-rechtlichen Mediatheken heißt Zeitbegrenzung. Meistens werden Filme und Serien nur für einige Wochen oder Monate in die Mediathek eingestellt. Dafür sind sie „kostenlos“, das heißt in den Rundfunk-Gebühren enthalten.

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