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Andreas Stegmann: Christen in der DDR

Andreas Stegmann befasst sich mit der Rolle der Kirchen in Ostdeutschland bis zum Mauerfall.
4. Europäische Ökumenische Begegnung von Vertretern der Konferenz Europäischer Kirchen KEK
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Kardinal Carlo Maria Martini als Präsident des Rates der katholischen Bischofskonferenzen in Europa (CCEE) bei einer ökumenischen Begegnung in der DDR im Oktober 1988.

Seit der deutschen Einigung 1990 gibt es zur Geschichte der Kirchen in der DDR eine Fülle von Literatur. Alleine zur Geschichte der katholischen Kirche erschienen umfangreiche Dokumentationen und Quelleneditionen, zahlreiche Monographien – meistens Dissertationen –, in denen das Verhältnis von Kirche und Staat dargestellt wurde, sowie mehrere 1 000 Artikel in Fachzeitschriften und Sammelbänden. Der an der Humboldt Universität zu Berlin tätige Privatdozent Andreas Stegmann hat nun für die Wissen-Reihe im Münchener Beck-Verlag ein Büchlein herausgebracht, das 114 Seiten Text, eine vierseitige Zeittafel, ein Literaturverzeichnis von drei Seiten, ein Personenregister und zwei Landkarten enthält.

Grundkonflikt zwischen Kirche und DDR-Staat

Die Schriftenreihe von Beck zeichnet aus, dass die unterschiedlichsten Themen unter Berücksichtigung der neuesten Forschungen in einem Gesamtüberblick einem interessierten Leserkreis angeboten werden. Das ist bei historischen Themen, die politisch sehr unterschiedlich bewertet werden, zuweilen etwas schwieriger, wie die Darstellung von Stegmann über die Kirchen in der DDR ebenfalls offenbart. Dass in seinem Buch die evangelische Kirche, die 1946 noch 81 Prozent der Bevölkerung stellte und 1990 nur noch 24 Prozent einen breiteren Raum einnimmt, als die katholische Kirche, die 1946 etwa 12 Prozent und 1990 nur noch 5 Prozent der Bevölkerung ausmachte, ist leicht nachzuvollziehen.

Ausgehend von Definitionen des Totalitarismus weist Stegmann auf einen „Grundkonflikt“ von Kirche und SED-Staat hin. Er schreibt betont von der religions- und kirchenfeindlichen SED und bemerkt, dass die Geschichte des Konfliktes den unterschiedlichen Ganzheitsansprüchen an den Staatsbürger beziehungsweise den Christen geschuldet sei. Dabei kommt Stegmann ohne die Begriffe des Unrechts- oder Willkürstaat aus.

Katholische Kirche in drei Kapiteln

Stegmann setzt bei seinem Buch sinnvollerweise mit der deutschen Nachkriegszeit 1945 ein und behandelt dann den „Aufbau der Sozialismus“ von 1949 bis 1961. Es folgt die Zeit vom Mauerbau 1961 bis 1968. Schließlich behandelt er die kirchlichen Aufbrüche 1969 bis 1978 und fasst die Phase von der Friedensbewegung (1978) bis zur friedlichen Revolution 1990 in einem eigenen Kapitel zusammen. Die katholische Kirche wird wiederholt erwähnt und vor allem aber in drei Kapiteln auf insgesamt gut elf Seiten eigens behandelt.

Zu Beginn werden die verschiedenen Maßnahmen der SED gegen die Kirchen erläutert, die sowohl politisch und ideologisch wie auch auf administrative Weise erfolgten und sich schließlich auch mit gezielten polizeilichen und geheimdienstlichen Maßnahmen gegen Kirchenvertreter und Gläubige richtete, um den Einfluss der Kirchen im öffentlichen Leben möglichst völlig zurückzudrängen.

Fehleinschätzing in Bezug auf die katholische Kirche

Eine Überblicksdarstellung muss sich schon aus Platzgründen auf wesentliche Inhalte konzentrieren; doch legt wenigstens ein Kenner der Geschichte der katholischen Kirche in der DDR das Buch ratlos und auch enttäuscht beiseite. Die gemeinsame Behandlung der katholischen und evangelischen Kirche führt zwangsläufig dazu, dass die gängige Periodisierung der Geschichte der katholischen Kirche der DDR, die sich an die Amtszeiten der Berliner Bischöfe anlehnt, die zugleich Vorsitzende der Berliner Ordinarienkonferenz waren, nicht berücksichtigt wird. Auch kommt es in dem Buch zu mancherlei merkwürdigen Formulierungen und Fehleinschätzungen insbesondere in Hinblick auf die katholische Kirche, die für Stegmann neben der evangelischen Kirche zu der „bunte(n) Vielfalt anderer christlicher Religionsgemeinschaften“ gezählt wird.

Immerhin werden auf Besonderheiten des Katholizismus in der DDR hingewiesen, was die Integration von katholischen Flüchtlingen, Mangel an Priestern und Religionslehrern und andere Probleme des Diasporakatholizismus betraf. Freilich, den Kirchenkampf an einer Stelle damit zu erklären, es habe „keine Sympathien für die zweite totalitäre Parteidiktatur“ in Deutschland gegeben, oder der Katholizismus sei der Entscheidung von „Anpassung oder Widerstand“ ausgewichen und habe sich ganz auf sich selbst zurückgezogen, wirkt auf den Leser wie ein Euphemismus des teils brutalen und perfiden Kampfes des SED-Staates gegen christliche Kirchen, ihre Gläubigen und ihre Vertreter.

Die Geschichte verharmlost und marginalisiert

So entsteht an mehreren Stellen der Eindruck, die Geschichte der Kirchen in der DDR zu verharmlosen und zu marginalisieren. Massive Streitigkeiten werden harmonisierend geschildert, auch wenn Stegmann einräumt, dass der „DDR-Katholizismus“ „weder duckmäuserisch noch staatsfromm“ gewesen sei. Geradezu komisch und unhistorisch wirken Formulierungen wie: „Der römische Katholizismus ließ sich 1933 durch das Reichskonkordat auf sein religiöses Leben beschränken.“ In eine grobe Schieflage gerät die verfassungsrechtliche Grundlage in der DDR, wenn Stegmann schreibt, die Kirchen seien „privilegiert“ gewesen, denn die kirchlichen Angelegenheiten seien in der DDR-Verfassung „übrigens ähnlich wie das Grundgesetz“ an Weimarer Verhältnisse angelehnt worden.

Dass die Verfassungswirklichkeit eine gänzlich andere war (und vor allem nicht den Verhältnissen in der Bundesrepublik entsprach), hätte Stegmann wenigstens erwähnen müssen. Jeder Kenner der Kirchengeschichte wird sich erstaunt zeigen über die wahrheitswidrige Formulierung: „Die römische Kurie entschied sich dafür, (Bischof Julius) Döpfner eine kirchliche Führungsposition in der Bundesrepublik zu geben …“. Es hätte dort stehen müssen, dass seine Konfrontationspolitik bei den staatlichen Stellen in Ost-Berlin gescheitert war; aber das wird alles nicht erwähnt.

Die Strukturen der Kirche völlig ausgeblendet

Stegmann berichtet, dass das finanzielle Überleben der katholischen Kirche dank der Unterstützung aus der Bundesrepublik ermöglicht wurde. Hingegen werden die Strukturen der katholischen Kirche bis hin zur Bedeutung des Papsttums vollständig ausgeblendet. So entfällt bei ihm der Konflikt mit dem Heiligen Stuhl über die Neuumschreibung der DDR-Bistümer unter Papst Paul VI. gänzlich. Ohnehin wird die „Ära Bengsch“ nur auf ihre Anfangsjahre reduziert. Die Teilung des Bistums Berlin in einen Ost- und einen Westteil mit all ihren Problemen und Chancen wird nicht gewürdigt. Die Berliner Ordinarienkonferenz taucht in der Zeittafel auf, ohne dass im Textteil auf ihre zentrale Rolle in der Koordinierung der Auseinandersetzung mit dem SED-Staat überhaupt erwähnt wird.

Auch die Konfliktthemen Jugendweihe, Abtreibung, Wehrsport et cetera, wozu sich die katholischen Bischöfe – anders als die evangelische Kirche – dezidiert geäußert hatten, werden nicht behandelt. Eine gemeinsame Betrachtung von evangelischer und katholischer Kirche ist Stegmann nicht gelungen; zu unterschiedlich sind beide Einrichtungen und ihre wechselhaften Berührungspunkte mit Staat und Partei in der DDR. Ein Vergleich beider Kirchen konnte alleine schon deswegen nicht gelingen, weil die unterschiedlichen Strukturen und Kirchenverfassungen erst gar nicht thematisiert wurden.

Andreas Stegmann: Die Kirchen in der DDR.
Von der sowjetischen Besatzung bis zur Friedlichen Revolution (C.H. Beck Wissen; 2921).
München, C.H.Beck 2021, 126 Seiten, ISBN 978-3-406-76412-7, EUR 9,95

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