Berkeley

Judith Butler: Argumente für ihre Ideologie hat sie nicht

Die Performance entscheidet, meint Gender-Theoretikerin Judith Butler: Argumente für ihre Ideologie hat sie nicht.
Judith Butler
Foto: Paco Freire (imago stock&people) | Will noch schärfer sein als Simone de Beauvoir, für die es noch Frauen gab: Judith Butler.

Die Geschlechterfrage ist zu einem der Hauptkampfplätze der Moderne geworden. Das betrifft längst nicht mehr die sexuelle Orientierung in den Utopien des Einzelnen, sondern das Geschlecht ist zum Politikum geworden. Einen der bekanntesten Fälle hat Bundeskanzlerin Merkel geschaffen, indem sie den Boden für die gesetzliche Anerkennung der Homo-„Ehe“ bereitete. Die Diskussion über das Geschlecht hat aber nicht nur psychologische und (familien)politische Implikationen, auch die Religion ist betroffen, insofern das christliche Weltbild der Urfamilie ad absurdum geführt wird.

Alles hätte dann auch anders sein können, alles ist anders, wie die Gendertheoretiker behaupten. Das ist der gesellschaftliche, rechtliche und politische Relativismus, vor dem Benedikt XVI. bereits gewarnt hat. Die Gendertheorie unterscheidet zwischen kultureller Geschlechtsidentität (gender) und der biologischen (sex). Ursprünglich bezeichnet gender das „grammatische Geschlecht“ im Englischen und ist damit mit der kulturellen Geschlechtsidentität konnotiert, die dem Unterschied von „Männlich“ und „Weiblich“ in der Gendertheorie zugeordnet ist.

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Für Butler gibt es keine geschlechtliche Identität außerhalb der selbstdefinierten

Von frühen Auflösungen des Geschlechts bei Simone de Beauvoir bis heute zu Judith Butler gab es eine Fülle verschiedener Gendertheorien. „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“, hieß es noch bei Simone de Beauvoir, denn die Frau sei „zu einem großen Teil eine Erfindung des Mannes“. Die 1956 geborene Judith Butler, Lehrstuhlinhaberin für Rhetorik und Komparatistik an der University of California in Berkeley/Kalifornien und Autorin von „Das Unbehagen der Geschlechter – Gender Studies“ hat eine verschärfte Sicht, in der diese Art von Feminismus, wie bei de Beauvoir, bei Butler selbst zur Zielscheibe geworden ist.

Bei Simone de Beauvoir hatten die Frauen als solche noch eine Identität. Butler aber beginnt ihr frühes Hauptwerk über das „Unbehagen der Geschlechter“, mit dem sie bekannt geworden ist, mit den Worten: „Die feministische Theorie ist zum größten Teil davon ausgegangen, dass eine vorgegebene Identität existiert, die durch die Kategorie ,Frau(en)‘ bezeichnet wird.“ Das habe auch Konsequenzen für die Gesetzgebung, dass diese nämlich Strukturen der Macht über die Frauen erst hervorbringen, indem sie die Frauen repräsentiere, wie Butler meint: „Die verbreitete Annahme, dass das ,Subjekt vor dem Gesetz‘ eine ontologische Integrität besitze, kann als zeitgenössische Spur der Hypothese vom ,Naturzustand‘ verstanden werden – jener fundierenden/fundamentalistischen Legende, die für die Rechtsstrukturen des klassischen Liberalismus konstitutiv war.“

Sie kämpft gegen die Natur

Selbst für Simone de Beauvoir muss es ein ursprüngliches Ich der Frau geben, das die Zuschreibung „Frau“ übernimmt oder dass die Geschlechtsidentität sich als Konstruktion aneignet, meint Butler. Butler will die gesellschaftliche Ordnung ins Rutschen bringen, wodurch jede Form einer ursprünglichen vorrechtlichen Auffassung vom Geschlecht beseitigt werden soll, auch die im Naturzustand, wie ihn das Christentum versteht. Sie spricht es in ihrem Buch offen aus: „Wie kann man die Fundamente aufbrechen, die alternative kulturelle Konfigurationen der Geschlechteridentität verdecken? Wie kann man die ,Prämissen‘ der Identitätspolitik destabilisieren und ihnen ihre phantasmatische Dimension zurückerstatten?“

Das Zauberwort für diese Destabilisierung der Geschlechterverhältnisse ist Genealogie. Butler greift dazu auf einen Ausdruck Nietzsches zurück, auf die „Metaphysik der Substanz“, durch die eine Identität schon vor dem Gesetz und vor dem gesellschaftlichen Diskurs angenommen wird. Denn alles Reden über Geschlechter müsse sich ja auf die grundlegende Unterscheidung von Mann und Frau beziehen – das nennt Butler die Metaphysik der Substanz; Mann und Frau müssen ja der Geschlechterdifferenz substanziell zugrunde liegen, meint die traditionelle Auffassung. Diese Metaphysik der Substanz will Butler auflösen, indem sie der Substanz die ihr innewohnende Identität entzieht – indem für Butler die Person sich nicht dadurch auszeichne, dass sie eine Geschlechtsidentität (gender) hat, dass sie ein anatomisches Geschlecht hat (sex) und dass sie ein „psychisches Selbstgefühl“ hat mit einem bestimmten sexuellen Begehren.

„Butch (männlich) nennt man das in der Szene,
womit die Vertuschung des Geschlechts gemeint ist.“

Also das, was man traditional für normal gehalten hat. Für Butler ist das aber „institutionalisierte Heterosexualität” – wobei der „Sexus“ Ursache der Geschlechtererfahrung sei und nicht Produkt. Nichts ist gegeben, alles produziert. Und warum ist das nach Butler so? Weil es nach Nietzsche kein Tätersubjekt mehr gibt, sondern nur noch die Tat. Es gibt kein Tätersubjekt, weil es die Frage nach dem Warum nicht mehr gebe, sondern nur nach dem „Wie“. Wie funktioniert das, was ist – das sei die Antwort auf Wesensfragen. In der Sprache eines heutigen Philosophen heißt das, die Frage nach dem Wesen des Fahrradfahrens erklärt nicht die Frage nach dem Warum, sondern nach dem Wie – wie fährt man Fahrrad?

Und das erfährt man durch die Tat, das Tätersubjekt spielt hierbei keine Rolle. So auch bei Butler. Nicht die Norm als Subjekt (gesellschaftlich oder kirchlich) erkläre die Geschlechter, sondern die Tat, die Butler Performance nennt: „Innerhalb des überlieferten Diskurses der Metaphysik der Substanz erweist sich also die Geschlechteridentität als performativ, d.h. sie selbst konstituiert die Identität, die sie angeblich ist. In diesem Sinne ist die Geschlechtsidentität ein Tun, wenn auch nicht das Tun eines Subjekts, von dem sich sagen ließe, dass es der Tat vorangeht… Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese ,Äußerungen‘ konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind.“

Ausleben vermeintlich gerade empfundener Befindlichkeiten wird zum Lebensmotto

Hier unterscheidet sich Butler von vielen Feministinnen, die hinter der Tat noch einen „Täter“ als Handlungsträger sehen. Die Performance ist der nicht theoretische Kern von Butlers Theorie: einfach machen, lebt euch aus, öffentlich als qeer oder homosexuell/lesbisch auftreten. Das kann von der Kleidung bis zum verliebten Verhalten in der Öffentlichkeit reichen. Das öffentliche Auftreten ist für Butler das Unterlaufen des „metaphysischen“ geschlechtlich identifizierbaren Subjekts – die Performance wird einfach zum gesellschaftlichen Phänomen. Wer Butler schon einmal begegnet ist, wird sie nicht als feminin erlebt haben – weite Hosen, Jackett, Kurzhaarschnitt. Butch (männlich) nennt man das in der Szene, womit die Vertuschung des Geschlechts gemeint ist.

Butch/femme (männlich/weiblich) nennt die Szene Beziehungen der Geschlechtsoffenen, die durch wiederholende Auftritte radikale Verschiebungen der Geschlechterdifferenzen hervorrufen: „Die kulturellen Konfigurationen von Geschlecht und Geschlechtsidentität könnten sich vermehren …, indem man die Geschlechter-Binarität in Verwirrung bringt“, schreibt Butler. Nach ihr gehört zu solchen Performances auch die ständige Präsenz von Drag-Queens, die etwa in Talkshows ihre regelmäßige Bühne bekommen.

Butler hat gar kein rationales Argument, das die traditionell verstandene Geschlechterdifferenz als unwahr entlarven würde; sie will Verwirrung stiften und nicht in eigener Sache die substanzielle Metaphysik der Geschlechter schleifen. Der Schöpfungsordnung ist damit nicht widersprochen.


Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter – Gender Studies. Taschenbuch edition suhrkamp 1722, 1991, 236 Seiten, ISBN 978-518-11722-4, EUR 14,40

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