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Patriarch Youssef Absi: „Theologische Diskussionen meiden“

Was Gläubige in Westeuropa von Glaubensgeschwistern aus dem Orient für das Zusammenleben mit Muslimen lernen können, erläutert der Patriarch Youssef Absi SMSP von der Griechisch-Katholischen-Melkitischen Kirche.
Patriarch Youssef
Foto: Carl Prämassing | Patriarch Youssef war in Deutschland zu Besuch, um sich ein Bild von der Situation seiner Gläubigen zu machen. In Regensburg wurde er herzlich empfangen.

Eure Seligkeit, die meisten Gläubigen Ihrer Kirche leben im Libanon und in Syrien. Wie ist ihre Situation dort?

Jeder dort ist die Situation leid – nicht nur die Melkiten. Wegen der Inflation, wegen des Krieges und wegen der Sanktionen. Die wirtschaftliche und humanitäre Lage ist katastrophal.

Wie sieht das Zusammenleben von Christen und Muslimen aus?

Das Zusammenleben von Christen und Muslimen ist sehr gut. Auch die Kommunikation zwischen Christen und Muslimen ist sehr konstruktiv. Denn uns verbindet dieselbe Kultur: Wir pflegen die gleichen Traditionen, wir haben dieselbe Mentalität. Der einzige Unterschied ist die Religion.

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Wie beeinflusst das Erstarken von Islamisten das Verhältnis von Christen zu Muslimen im Nahen Osten?

Während der ersten Jahre des Krieges in Syrien und insbesondere mit der Invasion des Irak ist der Fanatismus generell angestiegen. Dadurch, dass der IS nicht nur Nicht-Muslime angriff, sondern auch Muslime, die den Lehren des IS nicht zustimmten, bekamen die Menschen schnell ein Verständnis dafür, wie radikale Islamisten sich von Muslimen unterscheiden. Um die früheren Beziehungen wiederzubeleben und den Schaden, den der IS angerichtet hatte, zu überwinden, unterzeichnete Papst Franziskus mit dem Großimam von al-Azhar Sheikh Ahmed el-Tayeb das Dokument über die „Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ in Abu Dhabi.

Was können wir daraus für das Zusammenleben hier im Westen lernen?

Christen in den westlichen Ländern können viel von uns lernen, was das Zusammenleben mit Muslimen betrifft. Natürlich gibt es Schwierigkeiten, aber diese Schwierigkeiten kann man überwinden, denn wir haben vieles gemeinsam. Christen in den westlichen Teilen der Welt müssen lernen, den Hintergrund und die Mentalität von Muslimen zu verstehen, denn auf lange Sicht werden immer mehr Muslime nach Europa emigrieren. Meiner Erfahrung nach ist es kontraproduktiv, mit Muslimen über theologische Inhalte zu sprechen und ihren Glauben zu hinterfragen. Das soziale Zusammenleben lässt sich am besten gestalten, wenn man theologische Diskussionen meidet.

"Wir können nichts gegen den Exodus der Christen tun,
wir können ihnen nur helfen, hier ein neues Leben zu beginnen,
aber dennoch ihren Glauben und ihre Traditionen zu bewahren."

Inwieweit können theologische Grundsätze ausgeklammert werden, wenn sie dem politischen System der Demokratie widersprechen?

Theologische Grundsatzdiskussionen sollten im alltäglichen Leben vermieden werden, stattdessen sollte man versuchen, eine freundschaftliche Basis aufzubauen. Im Nahen Osten ist das der Fall: Freundschaft spielt die wichtigste Rolle. Der Konflikt zwischen Lehre und Demokratie sollte besser in akademischen Kreisen diskutiert werden, um auszuloten, wie der Glaube im demokratischen System gelebt werden kann. Viele arabische Gelehrte haben sich mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Wie kann das christliche Leben im Nahen Osten gerettet werden?

Ich habe lange versucht, unsere Gläubigen zu überzeugen, ihre Heimat nicht zu verlassen. Aber die wirtschaftliche und humanitäre Situation hat sich in den beiden Ländern enorm verschlechtert. Europa muss tun, was es kann, um Stabilität im Libanon und in Syrien herzustellen. Gebt uns den Frieden! Wenn es keine stabile Regierung und Wirtschaft gibt, können die Menschen nicht länger dort leben. Deswegen muss der Friede sobald wie möglich erreicht werden. Dafür müssen alle Kompromisse in Betracht gezogen werden. Eine erste Maßnahme, um mehr Stabilität herzustellen, wäre die Aufhebung der Sanktionen gegen das syrische Regime. Die Sanktionen belasten die bereits notleidende Bevölkerung, aber ändern nichts an der politischen Situation. Wir können nichts gegen den Exodus der Christen tun, wir können ihnen nur helfen, hier ein neues Leben zu beginnen, aber dennoch ihren Glauben und ihre Traditionen zu bewahren.  Um ihnen das zu ermöglichen, brauchen wir in Deutschland Priester der melkitisch griechisch-katholischen Kirche.

Wie viele melkitische Katholiken leben in Deutschland?

In Deutschland leben insgesamt gut 15 000 melkitische Katholiken. Pfarrer Mayas Abboud ist alleine für alle Gläubigen in Deutschland zuständig. Jede Woche besucht er eine andere Diözese, um mit den Gläubigen dort die heilige Messe zu feiern.

Sollen für die Seelsorge der melkitischen Katholiken noch mehr Priester eingesetzt werden?

Wir arbeiten mit den katholischen Hierarchen zusammen, um einen Weg zu finden, mehr melkitische Priester in Deutschland einzusetzen. Mit meinem Besuch möchte ich die deutschen Melkiten dazu ermutigen, zu prüfen, ob sie eine Berufung zum Priestertum verspüren.

Im Nahen Osten gibt es viele unierte Kirchen. Wie beeinflusst der Konfessionalismus das Zusammenleben der Christen dort?

Es gibt zwar viele Konfessionen: Die Maroniten, die Armenier, die Kopten und viele andere, aber wir sehen uns als eine Kirche. Auch zu den verschiedenen Strömungen der Orthodoxen Kirche haben wir ein gutes Verhältnis. Denn uns ist bewusst: Wir müssen gemeinsam Zeugnis geben vom einen Glauben an Jesus Christus.


Hintergrund

Die Griechisch-Katholische-Melkitische Kirche gehört zur katholischen Kirche, zelebriert die Liturgie aber nach dem byzantinischen Ritus in arabischer Sprache und richtet sich nach dem Kirchenrecht der katholischen Ostkirchen. Der melkitischen Kirche gehören gut 2,1 Millionen Christen an. Sie ist somit die größte unierte Kirche im orientalischen Raum. Youssef Absi ist seit 2017 Patriarch der Melkiten. In diesen Tagen besucht er die Gläubigen in Deutschland.

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