Pater Pfluger, Sie sind seit 2019 Distriktoberer der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) in Deutschland. Welche besonderen Herausforderungen gab es bisher?
Die große Schwierigkeit bei so einem Amt ist, dass man überhaupt erstmal hineinwachsen muss. Wir sprechen hier von einem Distrikt mit 50 Priestern. Man braucht mindestens zwei Jahre, bis man wirklich im Sattel sitzt. Und diese ersten zwei Jahre waren stark durch Corona geprägt.
Die Gemeinden der Piusbruderschaft konnten in dieser Zeit viel freier operieren als die Pfarreien. Hat das für Zulauf gesorgt?
Die Schwierigkeit bestand darin, einerseits die sinnvollen Maßnahmen umzusetzen und die staatlich vorgegebenen Verpflichtungen einzuhalten. Auf der anderen Seite war unser Hauptanliegen, den Gläubigen weiterhin das Empfangen der Sakramente zu ermöglichen. Was damals viele Gläubige zu uns getrieben hat, war die Tatsache, dass wir die Mundkommunion gespendet haben.
Vor kurzem ist mit Bernard Tissier de Mallerais einer der Bischöfe der Piusbruderschaft verstorben. Wird die Bruderschaft früher oder später wieder Bischöfe weihen müssen?
Aktuell haben wir noch zwei Weihbischöfe. Wir können die Frage der Bischöfe nicht trennen von unserer grundsätzlichen Existenzfrage. Dass unser Gründer Erzbischof Marcel Lefebvre 1988 eigene Bischöfe geweiht hat, war notwendig, weil man uns wegen unseres Weges bei der Liturgie und unserer Weigerung, gewisse Punkte in der offiziellen Verkündigung nach dem Zweiten Vatikanum anzuerkennen, isoliert hat. Andererseits müssen vor allem die Gläubigen, die zu uns kommen und die die Frage der Bischofsweihen natürlich umtreibt, begreifen, dass man Bischofsweihen nicht einfach so macht. Bis man zu diesem Mittel greift, muss die Notwendigkeit evident sein. Etwas anderes wäre völlig unkirchlich. Und zum kirchlichen Denken gehört es auch, dass man alles versuchen wird, damit Rom sein Einverständnis für allfällige Bischofsweihen gibt. Die Hierarchie muss verstehen, dass wir keine Gegenhierarchie aufbauen. Wir wollten uns nicht von Rom trennen, wir sind zur Kirche gehörig. Unsere Bischöfe sind reine Hilfsbischöfe, die dazu da sind, die Spendung der Sakramente und der Weihen in unseren Gemeinden und in unseren Seminaren sicherzustellen.
Den Vorwurf, die Piusbruderschaft sei schismatisch, hört man heute nur noch selten. Meist ist davon die Rede, die Bruderschaft sei nicht in voller Gemeinschaft mit Rom. Wie sehen Sie das?
Wie man teilweise in Gemeinschaft stehen kann, aber nicht voll, das ist mir nicht klar. In meinen Augen streut man damit Sand in die Augen der katholischen Welt. Ich habe noch nie von irgendeinem kirchlichen Würdenträger oder einem Kirchenrechtler gehört, was genau uns noch fehlt zur vollen Gemeinschaft.
Geht es, neben den unerlaubten Bischofsweihen, nicht vor allem um die punktuelle Ablehnung einiger Lehrdokumente des Zweiten Vatikanums?
Das sind Punkte, wo wir sagen: Da steht das Zweite Vatikanische Konzil nicht in Kontinuität mit der ganzen Vergangenheit der Kirche. Erzbischof Lefebvre hat dazu sinngemäß gesagt: Was ist, wenn der Papst etwas anderes sagt, als all seine Vorgänger? Dann muss ich mich entscheiden und ich entscheide mich für die Vorgänger. Trotzdem können wir nur betonen, dass wir uns als unter den Papst gestellt sehen. Das geht so weit, dass wir Leute ausschließen, die sedisvakantistische Thesen vertreten, was in der Vergangenheit zum Teil mit großen Verlusten für die Bruderschaft verbunden war.
Zeigt aber der dauernde Ungehorsam nicht, dass man den Papst nicht wirklich anerkennt?
Nein, weil wir nicht aus Prinzip und nicht grundsätzlich ungehorsam sind. Ich kann nur darauf verweisen, was Erzbischof Lefebvre immer wieder betont hat: Der Gehorsam steht im Dienst der Wahrheit. Das Petrusamt ist keine absolutistische Monarchie, sondern ein Dienst an der Wahrheit, ein Dienst an Christus, ein Dienst an der Kirche. Wir haben nur dann das Recht, den Gehorsam gegenüber dem Papst zu verletzen, wenn dies nötig ist, um den Dienst an Christus und der Kirche nicht zu verletzen.
Sprechen wir über die Liturgie. Vor 40 Jahren erließ Johannes Paul II. das Indult „Quattuor abhinc annos“, das Diözesanbischöfen die Vollmacht gab, in ihren Bistümern die Messe nach dem Missale Romanum von 1962 feiern zu lassen.
Was das Indult angeht, so erlaubte es im Grunde nur jenen, die Tridentinische Messe zu feiern, die den Nachweis erbrachten, dass sie nicht unbedingt darauf angewiesen sind. Es galt nämlich folgende Bedingung: Es muss öffentlich feststehen, dass der jeweilige Priester und die jeweiligen Gläubigen das Missale von Paul VI. gutheißen. Damit degradiert man diejenigen, die die Alte Messe wollen, zu bloßen Liebhabern, zu einer Art „Oldtimer-Fanclub“.
Halten Sie die Neue Messe denn für ungültig?
Bei uns hat nie jemand bestritten, dass der Novus Ordo in sich gültig ist. Es ist aber ein Ritus, der – obwohl formal gültig – wesentliche Erfordernisse eines katholischen Ritus nicht erfüllt. Die neue Liturgie bringt wesentliche Wahrheiten des Glaubens, vor allem den Charakter des Sühneopfers, nicht mehr zum Ausdruck. Auch gilt es, den desaströsen Glaubensabfall zu berücksichtigen, der sich seit der Einführung des Novus Ordo beobachten lässt. Das zeigt meines Erachtens ganz deutlich, dass dieser Messritus, obwohl gültig und vom Papst approbiert, dermaßen defizitär ist, dass er den Seelen zum Schaden gereicht. Und deswegen weigern wir uns, ihn zu feiern. Abgesehen davon spricht niemand auf unserer Seite dem Papst grundsätzlich die Möglichkeit ab, einen neuen Ritus einzuführen. Es geht eher um die Frage: Kann er den alten verbieten?
Kommen wir zu den lehramtlichen Streitfragen. Die Piusbruderschaft stößt sich an Aussagen des Zweiten Vatikanums zur Ökumene, der Kollegialität der Bischöfe und der Religionsfreiheit. Die Petrusbruderschaft, die sich auch der Bewahrung der Tridentinischen Liturgie verschrieben hat, erkennt das Konzil hingegen voll an und vertritt im Anschluss an Benedikt XVI. eine „Hermeneutik der Kontinuität“. Spiegelt die Piusbruderschaft nicht unter umgekehrten Vorzeichen die Position jener Progressiven wieder, die mit Bezug auf einen ominösen „Geist des Konzils“ einen radikalen Bruch in der Lehre der Kirche herbeireden wollen?
Ich denke, wir müssen fein säuberlich die einzelnen Dokumente durchgehen und unterscheiden: Was katholisch ist, das können wir vorbehaltlos annehmen. Was nicht eindeutig katholisch ist, müssen wir katholisch interpretieren, auch wenn es andere anders interpretieren. Aber der Stein des Anstoßes sind die Stellen, von denen wir sagen, die kann man nicht katholisch auslegen, weil sie der Heiligen Schrift und der Lehrtradition der Kirche widersprechen.
Nehmen wir den Fall der Religionsfreiheit.
Die Frage der Religionsfreiheit wird meistens komplett missverstanden, vor allem in den Medien, wo man meint, die Gegner der Religionsfreiheit befürworten einen Zwang zur Religion, was überhaupt nicht der Fall ist. Es war jederzeit verpönt und verboten, jemanden zu zwingen, katholisch zu werden. Die Frage ist: Hat der Staat gegenüber Gott eine Pflicht? Und da ist der moderne Standpunkt ganz klar: Nein. Die traditionelle Auffassung aber sagt, dass der Staat auch das letzte, übernatürliche Ziel der Menschen im Blick haben und diesem dienen muss.
Aber gibt es nicht eine Zwischenposition, die besagt, dass der Staat zwar eine Pflicht hat, auch das übernatürliche Wohl seiner Bürger im Blick zu haben, dass er sie aber trotzdem nicht in der Ausübung falscher Religionen einschränken darf? Was ist an dieser Toleranz falsch?
Das ursprünglich vorbereitete Dokument beim Konzil lautete in der Tat „De tolerantia religiosa“, also „Über die religiöse Toleranz“, und nicht „De libertate religiosa“, sprich: „Über die Religionsfreiheit“. Toleranz ist das entscheidende Stichwort: Man toleriert ein Übel. Der Irrtum, welcher auch immer das sei, hat kein Recht zu existieren, auch wenn man ihn dulden mag. Die moderne Vorstellung von Religionsfreiheit aber will gerade ein Recht auf den Irrtum einräumen.
Mein Eindruck ist: Die Piusbruderschaft hat sich mit ihrer Sonderrolle arrangiert und fährt einen erfolgreichen Kurs. Gibt es da überhaupt noch einen Grund, sich um die Aussöhnung mit Rom zu bemühen?
In dem Moment, in dem wir uns in unseren Kokon zurückziehen, haben wir das Katholischsein aufgegeben. Wie wollten wir dann den Auftrag Christi weiterführen, wie wollten wir dann Seelen zu Christus führen? Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, der Stachel im Fleisch der Amtskirche zu sein, ein bisschen zu stören, nicht indem wir polemisieren oder proletenhaft auftreten, sondern einfach durch unsere Anwesenheit und unsere missionarische Arbeit.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.