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Hochschule Benedikt XVI. würdigt Josef Pieper

„Das Heilige denken“: An der Hochschule Benedikt XVI. wurde im Rahmen einer hochkarätigen Tagung das Werk des Philosophen Josef Pieper gewürdigt. Von Sebastian Ostritsch
Referenten der Pieper-Tagung
Foto: Reinhard Gölzner | Gruppenbild mit Bild: Die Pieper-Tagung fand standesgemäß vor historischer Kulisse statt.

Als Bischof Robert Barron, eine der profiliertesten theologischen Stimmen der USA, kürzlich nach zehn Empfehlungen aus der Philosophie gefragt wurde, tauchten in seiner Liste gleich drei Bücher Josef Piepers (1904 bis 1997) auf. Daran zeigt sich, dass Pieper in der anglophonen Welt auch im Jahr seines 120. Geburtstags nichts an Beliebtheit eingebüßt hat. Im Gegensatz dazu ist es im deutschsprachigen Raum still geworden um diesen einst so populären philosophischen Autor, dessen Werke zu seinen Lebzeiten weit über die engen Grenzen des Hochschullebens Verbreitung gefunden hatten. Dass Pieper heute nur noch wenigen etwas sagt, dürfte vor allem auch damit zu tun haben, dass sich der Resonanzraum eines intellektuellen Christentums hierzulande insgesamt stark verkleinert hat.

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Das von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz geleitete Europäische Institut für Philosophie und Religion der Hochschule Heiligenkreuz im Wienerwald gehört zu den wenigen verbliebenen Kraftorten christlicher Philosophie im deutschen Sprachraum. Hier weiß man, welche geistigen Schätze das Werk Piepers, der fünfzig Jahre an der Universität Münster lehrte, birgt.

Alles Seiende ist gut

Rund fünfzig Zuhörer kamen am vergangenen Freitag und Samstag im prunkvollen Kaisersaal des Stifts Heiligenkreuz zusammen, um dort den Vorträgen der insgesamt sechs Referenten zu lauschen. Überschrieben war die Tagung mit „Das Heilige denken“, wobei es näherhin vor allem um die Frage gehen sollte, wie sich Philosophie und Theologie im Werk Piepers befruchten.

In ihrem Eröffnungsvortrag erläuterte Gerl-Falkovitz die Überzeugung Piepers, dass alles Seiende gut ist. Nicht an eine moralische Wertung sei hierbei in erster Linie zu denken, sondern an das Sein der Dinge: Die geschaffene Wirklichkeit ist gottdurchwirkt und damit ursprünglich geheiligt. Aus dieser These Piepers, die eine Wiederaufnahme klassisch-antiken und mittelalterlich-scholastischen Denkens ist, folgt nicht, dass alles gleichermaßen vollkommen wäre. Vielmehr gibt es, wie die Religionsphilosophin ausführte, Stufen der seinsmäßigen Heiligkeit. Und freilich kommt es auch vor, dass die Dinge dem grundsätzlichen Gutsein, das in ihrem Wesen beschlossen liegt, nicht gerecht werden.

Die Heiligung der Welt im religiösen Kult

Daher sei es möglich und notwendig, dass sich trotz der ursprünglichen Heiligkeit der Welt auch ihre Heiligung vollzieht. Beauftragt sei damit der Mensch. Vollbringen könne er dies, indem er erstens die Heiligkeit aller Dinge anerkenne und respektiere und indem er zweitens in seinem Herzen, aber auch in der sozialen Welt dem heiligenden Wirken Gottes den Weg freimache. Gefragt sei hier nicht nur der Einzelne, sondern die Gemeinschaft der Gläubigen, also die Kirche. Sie vollziehe die Heiligung der Welt, die „consecratio mundi“, vor allem im religiösen Kult. Praktisch nachvollziehbar wurde die kultische Heiligung auch anhand des Rahmenprogramms der Tagung, das neben der Konventsmesse auch das Chorgebet und die Vesper der in Heiligenkreuz ansässigen Zisterzienser-Mönche umfasste.

Daniel Zöllner, Autor und Doktorand der Philosophie, begab sich in seinem Vortrag auf die Suche nach der Komplementarität von Glauben und Philosophie im Werk Piepers. Dabei verdichtete Zöllner seine Überlegungen zu drei anthropologischen Thesen: Der Mensch sei erstens „weltoffen“, das heißt: seiner Umwelt nicht ausgeliefert, sondern in der Lage, sich gestaltend zu ihr zu verhalten. Zweitens sei der Mensch ein viatorisches Wesen, sprich: ein Wanderer oder Pilger, der nicht von Anfang an am Ziel seiner Existenz angekommen sei, sondern erst einen zeitlichen Lebensweg zu durchschreiten habe. Drittens kennzeichnete Zöllner den Menschen mit Pieper als ein Wesen, dessen Dasein nicht nur auf Arbeit, sondern auf zweckfreie Erkenntnis hin, wie sie eigentlich Sache der Philosophie ist, angelegt sei. In diesem Zusammenhang tauchte dann auch der piepersche Schlüsselbegriff der Muße auf: Das Mittel gegen die Gefahr einer totalisierten Arbeitswelt ist die Muße, die wahre Quelle aller Muße jedoch die kultische Feier. Angesichts dieses Zusammenhangs schloss Zöllner mit einem Plädoyer für neue Räume der zweckfreien Wahrheitssuche jenseits der üblichen Verzweckung des Lebens durch Wirtschaft, Medien und Technik.

Pieper, der Kant-Kritiker?

Mit Berthold Wald – einem Schüler Piepers und dem Herausgeber der im Hamburger Meiner-Verlag erscheinenden Werkausgabe – war einer der besten Pieper-Kenner überhaupt eingeladen. In seinem Abendvortrag stellte er sich der herausfordernden Frage, wie Piepers Art zu philosophieren gegen den Vorwurf der Naivität zu verteidigen sei. Denn Pieper philosophierte primär unter Rückbezug auf die großen Denker der Antike und des Mittelalters. Kann und darf man heute aber überhaupt Philosophie betreiben, ohne das eigene Denken an der Erkenntniskritik Immanuel Kants geschult zu haben? Wald wandte dagegen ein, dass der kantische Ansatz selbst einer radikalen Kritik unterzogen worden ist, nämlich durch die späte Philosophie Friedrich Wilhelm Joseph Schellings. Dieser nannte eine Philosophie, die sich um das eigene Denken und seine Kategorien dreht, „negativ“. Ihr setzte Schelling eine „positive Philosophie“ entgegen, die nicht Erkenntnisse konstruieren, sondern die Wirklichkeit vernehmen sollte. Um die Rückbesinnung auf die „Wirklichkeit des Wirklichen“ sei es, so Wald, auch Pieper gegangen, weshalb er Kants Denken letztlich als Sackgasse angesehen habe.

Diese gegen Kant gerichtete These erwies sich auch in Heiligenkreuz als intellektueller Zündstoff. So entspann sich im Anschluss an den Vortag Walds eine leidenschaftliche Diskussion. Unter anderen ergriff Christoph Böhr, der jüngst erst in einem Buch das Denken Kants und Ratzingers engzuführen versucht hatte, das Wort und verteidigte den Königsberger Aufklärer. Am Ende blieb die Frage: Muss christliche Philosophie heute durch Kant hindurch oder hinter Kant zurück?

Gegen die „Entsakralisierungsprogrammatik“

Dass sich mit Pieper gerade auch das Konkrete der Wirklichkeit erhellen lässt, zeigte sich im Vortrag Maria Elisabeth Höwers, einer Doktorandin der Humangeographie. Ihre Ausführungen zum „heiligen Raum“ im Anschluss an Pieper hoben zahlreiche bedenkenswerte Aspekte aufs Tableau. Der göttliche Raum auf Erden sei, so eine zentrale These Höwers, der Mittelpunkt, an dem sich die Horizontale und die Vertikale treffen. Die moderne Verengung auf die Horizontale müsse durch eine Vertikalausrichtung des Menschen durchbrochen werden. Im Sinne Piepers gelte es, sich durch das Feiern von (religiösen) Festen in die „Anwesenheit der Gottheit“ zu begeben.

Auch Nicolaus Buhlmann (CanReg) knüpfte in seinem Vortrag über die Liturgie an Piepers Theorie des Festes an. Als alles entscheidenden Punkt destillierte Buhlmann die Frage heraus: „Wer handelt in der Liturgie? Gott oder der Mensch?“ Pieper, so wurde bei Buhlmann deutlich, hatte sich entschieden gegen eine „Entsakralisierungsprogrammatik“ gewandt, die in der heiligen Handlung nurmehr menschliches Tun zu erblicken vermag. Mit einer solchen Herangehensweise werde der Kern der christlichen Mysterienfeier, nämlich die wahrhafte Präsenz Gottes unter den Menschen, mit einem letztlich profanen Symbolismus vertauscht.

Erbarmungslose göttliche Liebe

Der Wiener Autorin und Literaturwissenschaftlerin Gudrun Trausmuth gelang es in ihrem Vortrag, den besonderen Charakter von Piepers Sprache und ihren methodischen Sinn einzufangen. Dem künstlich geschaffenen Terminus setze Pieper die Schlichtheit und Tiefe der natürlich-geschichtlichen Sprache entgegen. Sich an die etablierte Sprache der Menschen zu halten, anstatt eine neue konstruieren zu wollen, heißt, sich an der Wirklichkeit zu orientieren. Nur die gewachsene Sprache hat nach Pieper jene wirklichkeitsaufschließende Kraft, die Trausmuth anschaulich unter Berufung auf die Rede vom „Zauberwort“ in Joseph von Eichendorffs Gedicht „Wünschelrute“ zu erläutern wusste. Das piepersche Sprachverständnis kenne zudem auch das Schweigen als eine positive Qualität: Sinnvoll und wahrheitsgetreu sprechen kann nach Pieper nur, wer sich zuerst im hörenden Vernehmen der Wirklichkeit übt.

Es war der Gastgeberin Gerl-Falkovitz vorbehalten, die Tagung mit einem zweiten Vortrag, diesmal über die Liebe und die „göttliche Mania“, zu beenden. Dabei gab es kaum eine Plattitüde über die Liebe, die von der Trägerin des Joseph-Ratzinger-Preises nicht auseinandergenommen worden wäre: Liebe ist selbstlos und selbstvergessen? Liebe ist das Verschmelzen mit dem Geliebten? Liebe ist kein begehrendes Haben-Wollen? Alles Unsinn, wie Gerl-Falkovitz unter Bezugnahme auf Pieper zu zeigen wusste. In Wahrheit beinhaltet die Liebe als Basis die Selbstliebe und ist ein Doppelgenuss: Die Liebenden freuen sich wechselseitig aneinander und am Geliebtwerden durch den jeweils anderen. Diese Wechselseitigkeit gelte auch dort, wo der Mensch durch Einbruch der göttlichen Liebe aus sich herausgerissen werde. Die göttliche Liebe ist, so spitzte Gerl-Falkovitz zu, erbarmungslos: Sie verlangt die Gegenliebe.

Angesichts des hohen intellektuellen Niveaus der Tagung und der Tatsache, dass die Referenten es durch ihre Vortragsweise auch Laien ermöglichten, ihren Überlegungen zu folgen, bleibt zu hoffen, dass die Veranstaltung bald eine Fortsetzung findet. Das Werk Piepers jedenfalls ist dazu reichhaltig genug.


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