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Joachim von Fiore: Prophet einer neuen Zeit

In einer Osternacht hatte Joachim von Fiore eine Erleuchtung, die Geschichte machen sollte: Er erfand die „Zeit des Heiligen Geists“.
Heilige
Foto: wikipedia | Joachim von Fiore und der heilige Franziskus von Paola.

Im christlichen Geschichtsdenken spielt das 20. Kapitel der Apokalypse seit jeher eine besondere Rolle. Nach der Fesselung Satans sollen die Märtyrer auferstehen: „Sie gelangten zum Leben und zur Herrschaft mit Christus für tausend Jahre. Die übrigen Toten kamen nicht zum Leben, bis die tausend Jahre vollendet waren. (Ofb 20,4-5)
Die Herrschaft der Märtyrer mit Christus – musste das nicht ein messianisches Friedensreich, ja das Kommen des Heils noch in dieser Welt vor dem Ende von Geschichte und Zeit sein? Der Offenbarungstext ließ großen Spielraum für Interpretationen.

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Fortschritt 

Die Idee eines solchen Tausendjährigen Reiches oder Millenniums wurde schon früh vom Lehramt verworfen, indem die tausend Jahre als die Zeit der Kirche definiert wurde, die alle Christen – und damit auch die Märtyrer – im Leib Christi vereint. Das Millennium ist somit nichts anderes als die Endzeit und hatte demnach mit der Gründung der Kirche durch Jesus Christus begonnen.
Benedikt XVI. fasste diese frühchristliche Grundhaltung in seiner Habilitationsschrift über die Geschichtstheologie des Heiligen Bonaventura in folgende Worte: „Die Erlösung besteht (geschichtlich gesehen) in diesem begonnenen Ende, während die Geschichte gleichsam per Nefas noch einige Zeit weiter läuft und den alten Aeon dieser Welt zu Ende führt.“

Als das Jahr 1000 und mit ihm das Millennium ohne besondere Vorkommnisse verstrichen waren, fragten sich die Theologen, was die Parusieverzögerung nun konkret für die christliche Geschichtserwartung zu bedeuten habe. Die wohl originellste, sicher aber folgenreiche Antwort gab Joachim von Fiore, der um das Jahr 1202 in dem von ihm gegründeten Kloster in San Giovanni in Fiore bei Cosenza verstarb.

Joachim, um 1130 im kalabrischen Celico geboren, arbeitete zunächst als Notar. Nach einer Pilgereise ins Heilige Land wurde er zum Priester geweiht und trat schließlich in das Benediktinerkloster Corrazzo ein, in dem er – nachdem er zum Abt gewählt worden war – die Zisterzienserregel einführte. In einer Osternacht zwischen 1191 und 1195 – vor rund 830 Jahren – hatte er jene Erleuchtung, die Geschichte machen sollte: Das in der Offenbarung des Johannes verborgene Schicksal der Menschheit konnte anhand der Ereignisse und Gestalten des Alten und Neuen Testament gedeutet werden.

Daraus ergab sich für Joachim ein heilsgeschichtlicher Fortschritt entlang der Trinität: Auf die Epoche des Vaters, des alten Bunds, sollte das Epoche des Sohnes, Jesu Christi, folgen. Joachim hatte aber anhand der biblischen Generationenfolge und der Projizierung der neutestamentlichen Geschehnisse auf Ereignisse der Kirchengeschichte errechnet, dass in naher Zukunft noch eine weitere Epoche, die des Heiligen Geistes, beginne. Diese Epoche wird oft mit dem Millennium identifiziert, obwohl Joachim sich nie dazu geäußert hat.
Er selbst bezeichnete sie als dritten Zustand „tertius status“, der sich durch die Erscheinung eines „novus dux“ ankündige – den Joachim als universalen Papst verstand.

Auf die Epoche des Vaters folgt die des Sohnes

Benedikt XVI. hatte 1975 darüber geschrieben: „Die Zeit des Geistes sollte endlich die volle Einhaltung der Bergpredigt bringen, die Versöhnung von Lateinern und Griechen, Juden und Christen; es sollte eine Zeit der Mönche sein, in der alle das leben würden, was Benedikt und die großen Ordensgründer in der Zeit des Sohnes beispielhaft vorweggenommen hatten.“
Joachim gründete daraufhin die Mönchgemeinschaft der Florenser, die sich in der Abgeschiedenheit Kalabriens betend auf das neue Zeitalter vorbereitete. Als Joachim starb, stand er im Einklang mit der Kirche. Das änderte sich, als eine Gruppe innerhalb des damals noch ganz neuen Franziskanerordens den „novus dux“ im heiligen Franziskus von Assisi zu erkennen glaubte – und Kaiser Friedrich II. als Antichristen. Joachim sei Franziskus Verkünder gewesen – wie Johannes der Täufer der Verkünder Christi.

Die Anhänger dieser „joachitischen“ Bewegung wurden wegen ihrer Heilig-Geist-Erwartung auch Spiritualen genannt. Der noch junge Franziskanerorden zerbrach fast daran, als die Spiritualen schließlich den Papst offen angriffen und eine vom Lehramt nicht mehr tolerierbare „Reformatio“ der Kirche hin zu einer hierarchielosen, vollkommen monastisch geprägten Gemeinschaft ohne Sakramente forderten, mit ihnen als Vorreitern und Verkündern des „dritten Testaments“, des bislang verborgenen geistigen Sinns der Schrift – in einer Art monastisch-messianischen Friedensrepublik. Damit aber hatten die franziskanischen Exegeten Joachims Geschichtstheologie missdeutet und ins Politische gewendet und die Heilserwartung auf ein diesseitiges Reich projiziert.

Die Kirche hat diese „Reformatio“ schon früh bekämpft. Als sich Gerhard von Borgo San Donnino in seinem „Liber introductorius“ auf Joachim berief und behauptete, das Zeitalter des Geistes breche 1260 an, verurteilte Papst Alexander IV. 1255 diese Schrift und die Lehre Joachims von Fiores gleich mit. Franziskaner-General Johannes von Parma musste zurücktreten und wurde durch den heiligen Bonaventura ersetzt.

Wann bricht die Zeit des Heiligen Geistes an?

Die Spiritualenbewegung aber existierte noch Jahrzehnte in verschiedenen Gruppierungen weiter und radikalisierte sich, bis um 1320 Papst Johannes XXII. erfolgreich gegen sie vorging.
Was bleibt von Joachim? Zunächst einmal eine ganz konkrete weltgeschichtliche Größe, die Joachim ganz sicher so nicht vorausgesehen und gewollt hat. Denn die Spiritualen waren lediglich die ersten, die aus der innergeschichtlichen Heilsetappe des Heiligen Geistes ein politisches Heilsversprechen machten.

Karl Löwith zog in „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ eine direkte Linie von dort bis hin zum Marxismus und den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts: „Das ,dritte Testament‘ der Joachiten erschien als ,dritte Internationale‘ wieder und als ,drittes Reich‘, verkündet von einem dux oder Führer, der als Erlöser bejubelt und von Millionen mit ,Heil‘ begrüßt wurde.“

Folgen wir Benedikts Habilitationsschrift, dann ist da noch ein zweiter Aspekt, dann ist Joachim von Fiore der „Wegbereiter eines neuen Geschichtsverständnisses, das uns heute so selbstverständlich als das christliche schlechthin erscheint, dass es uns schwerfällt zu glauben, es sei irgendwann einmal nicht so gewesen“.

Christi Erscheinen in der Welt markiert nun nicht mehr das Ende, sondern die Achse der Geschichte. Zuvor freilich musste erst die dreiteilige Geschichtsgliederung Joachims durch das Lehramt revidiert werden, sodass zwei Zeitalter übrig blieben. Im zweiten, dem Zeitalter Christi und der Kirche, leben wir immer noch.

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