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„Adoratio-Kongress“ im Bistum Görlitz war ein Wagnis

Der erste „Adoratio-Kongress“ im Bistum Görlitz war ein Wagnis. Es gelang auch dank berührender Glaubenszeugnisse.
„Adoratio-Kongress“ im Bistum Görlitz
Foto: Gierens | Mitten in der Diaspora im Bistum Görlitz hat zum ersten Mal ein „Adoratio-Kongress“ in Neuzelle stattgefunden.

So voll wie an diesem Samstag ist es im ansonsten beschaulichen Ort Neuzelle selten. Hier in der Nähe von Frankfurt (Oder) ist das einzige Barockkloster Brandenburgs beheimatet, das seit 2017 wieder von Zisterziensermönchen aus dem Stift Heiligenkreuz bei Wien besiedelt worden ist. Und die Mönche haben an diesem Samstag zu einer besonderen Veranstaltung eingeladen: Dem ersten „Adoratio-Kongress“ im Bistum Görlitz – ein ganzer Tag mit Vorträgen und Anbetung, mit Messfeier und Beichte rund um die Eucharistie und ihre Verehrung.

Anbetung im Osten - ein Wagnis

Das ist durchaus ein Wagnis, hier im Osten Deutschlands mit einem Katholikenanteil von gut 2,5 Prozent. Entstanden sind die „Adoratio-Kongresse“ (von lateinisch adoratio = Anbetung) in einer Region, die in religiöser Hinsicht gegensätzlicher nicht sein könnte: Im Bistum Passau, konkret im bayerischen Wallfahrtsort Altötting, fand 2019 der erste Kongress statt, 2021 folgte in Corona-Zeiten eine Online-Variante. Kann das, was sozusagen in der Herzkammer des bayerischen Katholizismus entstanden ist, ausgerechnet im weitgehend entkirchlichten Osten funktionieren? „Wir backen kleinere Brötchen“, sagt Pater Isaak Maria Käfferlein, ein junger Mönch in Neuzelle, der diesen Kongress maßgeblich organisiert hat.

Doch so klein sind die Brötchen an diesem Tag gar nicht: Mehr als 200 bis 300 Besucher haben bei regnerischem Wetter hierher gefunden. Die prächtige Stiftskirche ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt. „Für die Diaspora ist das schon echt gut“, freut sich Pater Isaak über diesen Zuspruch – und die Besucher kommen längst nicht nur aus dem näheren Umland, viele sind aus anderen Diözesen eigens für diesen Kongress an die Oder gereist.

Hören auf Gottes Wort in der Stille

Und der beginnt bewusst mit der heiligen Messe, die – wie der Görlitzer Bischöfe Wolfgang Ipolt in seiner Predigt betont – nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils „Quelle und Gipfel“ kirchlichen Lebens ist. Die Eucharistie sei „Ursprung allen Tuns der Kirche und zugleich der Höhepunkt, auf den alles hinzielen muss. Ohne diese Feier sind wir nicht Kirche im echten Sinne“, so Bischöfe Ipolt. Damit war der Ton für diesen Tag gesetzt: Die Eucharistie und ihre grundlegende Bedeutung für den Glauben der Kirche sollte im Mittelpunkt stehen, die Anbetung des Allerheiligsten und die Stille vor dem Angesicht des Herrn. Keine Reformdiskussionen, keine innerkirchliche Nabelschau, sondern das Hören auf Gott Wort in der Stille, die Anbetung des Herrn in Gebet und Lobpreis, aber auch Impulse und Vorträge prägen die „Adoratio-Kongresse“.

Dennoch kann die Situation des Glaubens und der Kirche in Deutschland nicht völlig außen vor bleiben. „Wir haben in unserem Land, das ist inzwischen öffentlich und statistisch nachgewiesen, derzeit ein großes Problem: Eine große Mehrheit der Getauften hat sich von der sonntäglichen Eucharistie verabschiedet“, so der Görlitzer Bischöfe weiter. Oft würde er wie andere Seelsorger den Satz hören: „Die Messe gibt mir nichts“.

"Jesus umarmt jeden von uns vom Kreuz her"

Diese Problematik habe sich in der Corona-Zeit verstärkt. Da könnte es uns allen helfen, sich ein wenig klarer zu werden, was eigentlich in einer Eucharistiefeier geschehe – und welche Folgen das für ein Leben als Christ habe. Die Messe brauche kein eigenes Thema, sie habe ein Thema: Das Opfer Christi am Kreuz für das Heil der Welt. „Jesus umarmt jeden von uns vom Kreuz her und bietet uns seine Liebe an“, betont Bischöfe Ipolt.

Deshalb sei es richtig und wichtig, wenn jeder bei der Wandlung ein kurzes, persönliches Gebet im Stillen spreche – vielleicht mit den Worten des Apostels Thomas „Mein Herr und mein Gott“. Es brauche die aufrichtige Teilnahme an der Euchariste immer wieder. „Hier in der Eucharistie“, so der Bischöfe abschließend, „sorgt der Herr selbst dafür, dass wir nicht geschmacklos werden“ – und das Salz der Erde bleiben.

"Gott gibt immer das, was wir brauchen“

Sich auf Gott einlassen, ihm das eigene Leben zu übergeben, nicht selber etwas „machen wollen“, sondern sich ganz Gott zu überlassen: Dazu ermuntert Pallottinerpater Hans Buob, langjähriger Exerzitienmeister aus Hochaltingen im Bistum Augsburg, in seinem Vortrag. „Wir wollen alles selber machen und bringen nichts zustande“, so Pater Buob. Anbetung heiße, Gott einfach anzuerkennen: „Du bist die Liebe, Du allein der Herr, Du allein der Höchste.“ Aber wir müssten auch zu ihm gehen, ihm unsere Nöte und Sorgen übergeben. „Gott gibt immer das, was wir brauchen“, so Buob. „Einfach anbeten, Gott anerkennen, seine Zeit verschwenden vor diesem Tabernakel. Es langt, wenn ich da bin, dann kann er handeln.“

Er rief die Zuhörer dazu auf, nicht in ihren eigenen Sorgen „herumzurühren“, sondern sie Jesus in der Anbetung zu übergeben. „Jesus sagt: ,Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid?‘, aber wir glauben es nicht.“ Dabei müssten wir Jesus nur um das bitten, was wir heute bräuchten. „In Zukunft gehen Sie mit Ihren Sorgen und allem, was Sie haben, in Ihre Kirche an die Quelle des Heils … und Sie geben die Sorgen ab, gehen heim und schlafen selig“, forderte er die Zuhörer auf.

"Ich habe keinen Gott gehabt, zu dem ich schreien konnte"

Dass dies funktioniert, davon spricht Monika Winter am Nachmittag nach einer Anbetungsstunde mit Lobpreis in der Neuzeller Stiftskirche. Als Kind erfuhr sie von ihren Eltern keine Liebe, die Mutter ignorierte sie weitgehend, der Vater war gewalttätig. Erst schlug er sie, wenn er abends nach Hause kam, schließlich verging er sich immer wieder an ihr, missbrauchte sie sexuell. Später wandte sie sich dem Buddhismus zu, aber erfuhr darin keine Liebe, keine Geborgenheit. „Ich habe keinen Gott gehabt, zu dem ich schreien konnte“, erzählte Monika Winter den Kongressteilnehmern. Dann habe sie erfahren: „Jesus lebt. Da schaute mich Jesus an, und ich habe mich in ihn verliebt.“

Damit habe für sie ein neues Leben begonnen, ein Leben in Freude. Nicht nur sei sie von ihren Herz-Rhythmus-Störungen geheilt worden, auch ihr Sohn habe eine lebensbedrohliche Erkrankung überstanden. „Ich bin ein Kind Gott und bin wunderbar gemacht – wir sind Kinder Gott und sind geliebt, das muss man sich jeden Tag immer wieder sagen“, rief sie den Teilnehmern zu, die ihr Zeugnis mit großem Applaus erwiderten.
Auch im Gespräch mit der „Tagespost“ betont Monika Winter, wie sehr ihr die Beziehung zu Christus geholfen habe, die furchtbaren traumatischen Erfahrungen ihrer Kindheit zu verarbeiten. „Durch die Liebe Gott bin ich verändert worden, da ist der Missbrauch eigentlich ganz, ganz klein geworden“, sagt Winter. „Die Kraft der Liebe, die Gott ist, hat mich gewandelt. Die heilige Eucharistie ist mein ganzer Lebensinhalt.“

Einmal die Woche zur Anbetung

Und mit dieser Erfahrung ist Monika Winter nicht alleine. Auch Claudia Guhl aus Berlin ist an diesem Samstag nach Neuzelle gekommen. Über den ersten „Adoratio-Kongress“ in Altötting 2019 hat sie die Eucharistische Anbetung für sich entdeckt, ist im Erzbistum Berlin einer Anbetungsgemeinschaft beigetreten, die seinerzeit von den „Rosa Schwestern“, den Steyler Anbetungsschwestern, betreut wurde, die mittlerweile ihr Kloster im Berliner Westend aufgegeben haben. Doch die Anbetungsgemeinschaft gebe es nach wie vor, es sei ein lockerer Zusammenschluss von Menschen, die sich selbst verpflichten, mindestens einmal wöchentlich eine Anbetung vor dem Allerheiligsten zu halten.

Aus dem nahe gelegenen Frankfurt (Oder) ist Marcel Peters nach Neuzelle gekommen. Der 42-Jährige sucht den Kontakt zu den Zisterziensern vor Ort, will in ein paar Jahren als Laienbruder dem Orden beitreten. Vor Corona, so erzählt er, habe es in einer evangelischen Kirche in Frankfurt einmal wöchentlich ein Taizé-Gebet gegeben, da sei er oft gewesen, bevor in der Pandemie-Zeit solche Angebote eingestellt wurden.

Starke Vorträge und Zeugnisse

Erfahrungen sammeln will an diesem Tag auch Agnes-Maria Streich, die mit ihrem Mann David aus Berlin angereist ist. Im dortigen Ordinariat arbeitet sie in der Diözesanstelle für Berufungspastoral. Etwas mehr Lobpreis und Anbetung hätte sie sich auf diesem Kongress gewünscht, sagt Streich im Gespräch. Doch die Vorträge und Zeugnisse seien „stark“ gewesen. 2019 habe sie am ersten „Adoratio-Kongress“ in Altötting teilgenommen – unter der Prämisse der Neuevangelisierung.

Ihr Fazit: Anbetung kann zur Evangelisierung beitragen – weil sie zur „Fokussierung“ auf das Wesentliche beitrage. Dieser Fokus war an diesem Tag in Neuzelle bei der Anbetungsstunde am Nachmittag besonders zu spüren: Vor dem ausgesetzten Allerheiligsten in der Monstranz herrschte trotz voller Kirche eine nahezu totale Stille, sogar der prasselnde Regen war im Kirchenraum zu hören. Oder – wie es Pater Isaak im Gespräch auf den Punkt bringt: „Wir können in der Kirche noch 20 000 Sachen machen, wir werden nichts erreichen, wenn wir nicht aus der Eucharistie unsere Kraft schöpfen.“

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