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Missbrauch: Zwischen Aufklärung und Generalverdacht

Warum Missbrauchsaufarbeitung differenziert bleiben muss und die Kirche ihren ureigenen Auftrag nicht vergessen darf. 
Zwischen Aufklärung und Generalverdacht
| Sexueller Missbrauch ist kein originär kirchliches Problem.

In einem umfangreichen Prüfverfahren durch die Kanzlei Feigen-Graf konnten keine belastbaren Hinweise auf kirchliche Täternetzwerke oder rituelle sexualisierte Gewalt durch Amtsträger in drei deutschen Bistümern gefunden werden. Die teils schwerwiegenden Beschuldigungen gegen Kardinäle, Bischöfe und Priester – einige von ihnen bereits verstorben – ließen sich weder durch objektive Beweise noch durch konsistente Zeugenaussagen belegen. 

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Die Ermittler kamen zu dem Schluss, dass bei den Anklägern sogenannte Scheinerinnerungen vorlagen – also Erinnerungen an Geschehnisse, die sich aus wissenschaftlicher Sicht mit großer Sicherheit nie ereignet haben. Diese sind keine Lügen im klassischen Sinn, sondern subjektiv überzeugende, aber objektiv falsche autobiografische Konstruktionen. Ein bekanntes Phänomen in der psychologischen Forschung, das für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt eine besondere Herausforderung darstellt.

Verantwortungsvole Aufarbeitung

Im Sinne einer seriösen Missbrauchsaufarbeitung haben die Bistümer und die Kanzlei hier verantwortungsvoll gehandelt: Die Aussagen wurden ernst genommen, sorgfältig geprüft und die Wahrheit als oberstes Kriterium gewahrt. Umso interessanter ist, ob säkulare Medien hierüber genauso transparent berichten werden wie sie sich sonst genüsslich auslassen über echte Missbrauchsfälle in der Kirche. Oder ob eine Kirche, die unschuldig bleibt und verantwortungsvoll aufarbeitet, weniger interessant ist. 

Das wäre bedauerlich – vor allem wegen der gesellschaftlichen Wirkung. Denn Falschaussagen – ob bewusst oder unbewusst – beschädigen nicht nur den Ruf der zu Unrecht Beschuldigten und stellen Geistliche unter Generalverdacht, sondern auch das Ansehen der Kirche insgesamt und nähren ein Bild, das längst fest in der öffentlichen Wahrnehmung verankert scheint: Die Kirche als Täterinstitution – pauschal, strukturell, systemisch. Viele können die Institution Kirche kaum mehr losgelöst von Missbrauch denken.

Missbrauch ist kein genuin kirchliches Problem

Und dazu hat die Kirche auch selbst beigetragen. Ein strukturelles Problem besteht darin, dass immer wieder neue Missbrauchsberichte auf Ebene einzelner Diözesen vorgestellt werden, anstatt eine bundesweite, einheitliche Untersuchung durchzuführen. So wird das Thema immer wieder medial lanciert, mit einem abfällig-negativen Tenor, so dass die Kirche fortwährend in einem negativen Licht erscheint, Menschen und der Eindruck entsteht, als sei sexueller Missbrauch ein originär kirchliches Problem.

Dabei ist längst belegt, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen handelt – zu finden in Familien, Sportvereinen, Heimen, Schulen. Wenn dieser Kontext verloren geht, droht die notwendige Auseinandersetzung mit dem Thema in ein mediales Zerrbild zu kippen: Empörung ersetzt Aufklärung, Verdacht ersetzt Differenzierung.

Der eigentliche Auftrag der Kirche gerät aus dem Blick 

Die Kirche steht damit doppelt unter Druck: einerseits durch die historische Schuld realer Verbrechen,  andererseits durch die ständige Wiederholung einer Anklage, in der nicht mehr zwischen Täter und Institution unterschieden wird. Hinzu kommt, dass der eigentliche Auftrag der Kirche zunehmend aus dem Blick gerät: Menschen zu Christus zu führen. Es fehlt an einer lebendigen Katechese, die Gläubige neu für die Nachfolge begeistert, und an geistlicher Bildung, die hilft, Gottes Stimme im Leben zu erkennen – sei es im Gebet, in der Heiligen Schrift oder im Miteinander.

Stattdessen entsteht der Eindruck, als sei die Aufarbeitung von Missbrauch inzwischen die zentrale Aufgabe kirchlicher Kommunikation geworden – begleitet von dem Versuch, die kirchliche Lehre unter dem römischen Radar weichzuspülen und damit de facto eine „deutsche Nationalkirche“ zu etablieren. 

Es braucht Mut zur ganzheitlichen Wahrheit. Ein ehrliches Gutachten ist ein erster positiver Schritt. Vor allem aber muss die Kirche ihren Fokus auf Christus zurückgewinnen, der Weg, Wahrheit und Leben ist. Und es braucht eine Rückbesinnung auf das, was Kirche im Kern ist: nicht Täterkollektiv, nicht moralische Instanz, sondern Volk Gottes, das selbst täglich Umkehr nötig hat; nicht kollektiv, sondern individuell.

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