Als erster Vorsitzender einer Bischofskonferenz hat sich der französische Erzbischof Georges Pontier mit Benedikt XVI. solidarisiert und dessen Sicht bestätigt: Ja, es gebe einen Zusammenhang zwischen 1968 und den Missbrauchsfällen in Kirchenkreisen.
Es gibt mehrere Ursachen für das Drama
Die Wortmeldung des Marseiller Oberhirten im National Catholic Register ist insofern bedeutsam, weil sie unfaire Kritiken am emeritierten Pontifex zurechtrückt und sich dabei auf Zahlen der französischen Bistümer stützen kann. Wie Benedikt sieht auch Pontier mehrere Ursachen für das Drama. In den reflexartigen Zurückweisungen des Textes von Benedikt XVI. von nicht wenigen Theologen bleibt dieser wichtige Aspekt meist unberücksichtigt. Der emeritierte Papst führt die Missbrauchskrise nicht allein auf 1968 zurück, sieht darin aber einen von mehreren Faktoren.
Fälle sexuellen Missbrauchs vor 1968 widersprichen Benedikts These nicht
Erzbischof Pontiers Beobachtungen der Kirche in Frankreich zeigen, dass es in Frankreich zwar auch vor den gesellschaftlichen Umwälzungen von 1968 schon Fälle sexuellen Missbrauchs durch Kleriker gegeben hat. Doch das widerspricht Benedikts These nicht. Diese Fälle häuften sich nämlich während der Kriegsjahre und der deutschen Besatzung in Frankreich, jener kritischen Phase also, in der sich das Land im Ausnahmezustand befand und die Gesellschaft aus den Fugen geraten war.
DT/reg (jobo)
Welche Auswirkungen Kriegszeiten auf sexuellen Missbrauch haben, warum ab 1970 eine neue Welle von Missbrauchsfällen in Frankreich auftrat und welche geistlichen Gründe Pontier für die Krise anführt, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der „Tagespost“ vom 2. Mai 2019.