Die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR), mit fast 2,2 Millionen Gemeindemitgliedern die zweitgrößte evangelische Landeskirche in Deutschland, verabschiedete Mitte Januar 2024 eine neue „Lebensordnung“ (LO). Diese fördert die Entstehung einer regionalen Gottesdienstlandschaft, wobei Formate und Zeiten im jeweiligen Kirchenkreis abgestimmt werden sollen. „Mit vorheriger Zustimmung des Kreissynodalvorstandes kann das Presbyterium festlegen, dass der Gottesdienst statt am Sonntag regelmäßig an einem anderen Wochentag stattfindet.“
Die Nachricht über die Abschaffung des Sonntagsgottesdienstes wäre beinahe unbemerkt geblieben, wenn nicht Hannah Bethke, Politik-Redakteurin bei der „Welt“, Ende Februar einen Artikel darüber veröffentlicht hätte. „Diese Nachricht müsste eigentlich ein Beben auslösen“, schreibt Bethke. Allerdings sei nach der Verkündung der neuen LO „gar nichts“ passiert: „Medial interessierte dieser drastische Vorgang, wenn überhaupt, nur am Rande, und die sonst so empörungswillige politische Öffentlichkeit blieb weitgehend stumm. Man kann daraus nur ableiten: Die Gesellschaft hat die Kirche abgeschrieben. Aber zur bitteren Wahrheit gehört auch: Die Protestanten tragen dazu selbst sehr viel bei.“
Großes Echo in spanischen Medien
Interessanterweise hat dieser Artikel der „Welt“ in spanischsprachigen Medien ein großes Echo gefunden. Sowohl die spanische Plattform „InfoCatólica“ als ACN „Agencia Católica de Noticias“ aus Mexiko haben den Artikel so gut wie vollständig ins Spanische übersetzt. InfoCatólica wählt die Überschrift „Evangelische Kirche im Rheinland will Sonntagsgottesdienste abschaffen – jeder beliebige Wochentag kann gewählt werden“, und betont, dass der „Welt“-Artikel die „mangelnde Aufregung“ darüber als Beweis für das Ausmaß der religiösen Gleichgültigkeit unter den Lutheranern anprangert.
ACN überschreibt die Meldung mit den Worten: „Die ‚Protestanten‘ schaffen die Sonntagsgottesdienste in Deutschland ab, und niemand regt sich darüber auf; ihre ‚Anpassung‘ an die Welt zerstört sie.“ Dies ist eine pointierte Übersetzung dessen, was Bethke geschrieben hatte: „Die Landeskirche im Rheinland verabschiedet sich vom Sonntagsgottesdienst. Eigentlich müsste das ein Beben auslösen, doch die religiöse Indifferenz hat die Protestanten längst selbst erfasst. Vor lauter Sorge, den Anschluss an die moderne Gesellschaft zu verpassen, geben sie ihren Glauben preis.“
Sowohl Bethke als auch die genannten spanischen Medien geben die neue Lebensordnung der Landeskirche wieder: „Die bisherigen Einschränkungen in Bezug auf den Ort für Gottesdienste zu Amtshandlungen (Taufe, Konfirmation, Trauung, Bestattung) entfallen. Einzige Regel ist, dass der Gottesdienst öffentlich sein soll.“
Weit von "urchristlicher Praxis" entfernt
In dem Zusammenhang zitierten sie ein Interview des Rheinischen Präses Thorsten Latzel mit dem „Domradio“, in dem er behauptet, die Kirche komme damit zur urchristlichen Praxis zurück, hätten doch schon in den ersten Gemeinden etwa Taufen direkt am Wasser stattgefunden. Behtke kritisiert diese Aussage: „Der Präses verschweigt dabei, dass wir heute vor einer grundlegend anderen Situation stehen. Nicht einmal die Hälfte der deutschen Bevölkerung gehört der katholischen oder evangelischen Konfession an und ist erst recht weit davon entfernt, zu irgendeiner urchristlichen Praxis zurückzukehren.“
Sie schlussfolgert: „Nicht nur das Bekenntnis zum Glauben, sondern auch das Wissen von Religion schwindet zunehmend.“ In einer Zeit, in der die Kirche den Menschen immer fremder werde, falle den Protestanten nichts Besseres ein, als die Gesellschaft „vollends von kirchlicher Realität zu entkoppeln.“ DT/jg
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.