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„Willkommen mein Gott, mein Herr und mein Sohn”

Wie eine Vision der heiligen Birgitta von Schweden unser Weihnachtsbild prägte.
Weihnachtskrippe im Osnabrücker Dom
Foto: Friso Gentsch (dpa) | Weihnachtskrippe im Osnabrücker Dom. Unsere Vorstellung von Weihnachten ist sehr stark von den Visionen der Heiligen Birgitta von Schweden beeinflusst.

Wir sind Anfang des 13. Jahrhunderts. Eine achtfache Mutter aus Schweden kommt nach Rom und will eine neue Ordensgemeinschaft gründen. Ihr Ehemann ist Zisterziensermönch geworden. Sie unternimmt eine Pilgerfahrt ins Heilige Land, schaut dort in einer Vision in der Basilika von Bethlehem die Geburt Jesu Christ, hält diese und weitere sechshundert Visionen und Auditionen schriftlich fest. Sie lässt die Texte von Priestern prüfen und verbreitet sie. Sie fordert den Papst ultimativ auf, aus Avignon nach Rom zurückzukehren. Ja sie droht dem Heiligen Vater im Namen der Gottesmutter Maria schwere Strafen an, falls er nicht Frankreich verlassen sollte.

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Lektüre erlaubt

Der Papst gehorcht. Ausgehend von Rom werden immer mehr Künstler von der Anschaulichkeit ihrer Weihnachtsvision ergriffen und erschaffen daraus einen völlig neuen Bildtyp: Unser westliches Weihnachtsbild, wie es bis heute selbstverständlich ist. Auf zwei Konzilien, Konstanz und Basel, wurden die Visionen von bedeutenden Professoren kontrovers diskutiert. Über einhundert Stellen galten als verdächtig. Das Urteil der Kirche war schließlich: In den „Revelationes” (Offenbarungen) genannten Visionen seien keine der Lehre der Kirche widersprechenden Aussagen enthalten. Ihre Lektüre sei für die Glaubenden nicht schädlich.

Damit war dem Siegeszug des neuen Weihnachtsbildes keine Grenze mehr gesetzt. Diese unglaubliche Geschichte ist die wahre Lebensgeschichte der adligen Schwedin Birgitta Birgersdotter (1303-1373), verheiratet mit Ulf Gudmarsson. Ihre Visionen, soeben erstmals vollständig ins Deutsche übertragen (Birgitta von Schweden: „Werke“ 2Bd. Übersetzt von Apollonia Buchinger OSsS, EOS Verlag St. Ottilien), umfassen 1250 Druckseiten. Nur achtzehn Jahre nach ihrem Tod wurde Birgitta von Schweden 1391 heiliggesprochen. Papst Johannes Paul II. ernannte Birgitta 1999 zusammen mit Katharina von Siena - auch sie hatte Anteil an der Rückkehr des Papstes nach Rom -  und Teresia Benedicta a Croce / Edith Stein zur Patronin Europas.

Ochs und Esel

Betrachten wir die Weihnachtsvision im Einzelnen. Neunundsechzigjährig kommt Birgitta 1372 in die Geburtsgrotte in Bethlehem. Sie berichtet: „Ich sah eine sehr schöne Jungfrau; sie war schwanger und trug einen weißen Mantel und ein feines Unterkleid (…) Bei ihr befand sich ein sehr ehrwürdiger alter Mann, und beide hatten einen Ochsen und einen Esel bei sich. Als sie die Höhle betreten hatten, band der alte Mann den Ochsen und den Esel an die Krippe und ging nach draußen, um nicht persönlich bei der Geburt anwesend zu sein.” Hier finden sich bereits mehrere Details, die über die Evangelien hinausgehen. Die Geburtshöhle entspricht der Ortsüberlieferung in der Unterkirche der Basilika in Bethlehem. Den heiligen Joseph als alten Mann darzustellen, geht auf die apokryphen Schriften zurück.

Sein Hinzutreten mit einer Kerze oder einer Laterne haben viele Maler mit seinem zweiten Betreten des Raumes nach der Geburt zusammengelegt. Die Apokryphen erwähnen zuerst Ochs und Esel, die gemeinsam mit dem gewickelten Jesuskind zu den ältesten Elementen der Weihnachtsdarstellung gehören. Maria bleibt allein in der Höhle zurück: Sie „streifte die Schuhe von den Füssen, legte den weißen Mantel ab, (…) und blieb mit bloßem Unterkleid; ihre überaus schönen, wie Gold schimmernden Haare hingen ausgebreitet über ihre Schultern hinab.” Mit dem Ausziehen der Schuhe wird auf die Theophanie im brennenden Dornbuch angespielt: Wie Mose, angesichts der Heiligkeit Gottes die Schuhe abzulegen, geboten wurde, so ist sich Maria bewusst, dass auch hier in der Armseligkeit der Höhlenstallung Gott selbst erscheinen wird.

Schönheit der Gottesmutter

Schönheit und Haarpracht der jugendlichen Gottesmutter darzustellen, war für die Künstler eine wunderbare Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Sodann folgt bereits die Schilderung des eigentlichen Geburtsvorgangs: Die Jungfrau beugte „die Knie und begab sich ins Gebet (…) mit erhobenen Händen und die Augen zum Himmel gerichtet (…) in der Ekstase der Betrachtung befindlich und trunken von göttlicher Süßigkeit. Als sie sich nun so im Gebet befand, sah ich, wie sich das in ihrem Schoß liegende Kind bewegte und sofort, in einem Moment und Augenblick, in einem Nu gebar sie den Sohn, von dem ein so großes unaussprechliches Licht und solcher Glanz ausging, dass die Sonne nicht damit zu vergleichen war  und auch nicht jene Kerze, die der alte Mann aufgesteckt hatte (…).” In Orantenhaltung, sozusagen als die personifizierte betende Kirche, erwartet Maria die Gottesgeburt in einem ekstatischen Zustand, der jenem Außersichsein entspricht, in dem Birgitta selbst ihre visionäre „Gottesgeburt” erfährt.

Überirdisches Licht

Vom Neugeborenen geht ein überirdisches Licht aus. Auch diese Einzelheit enthält bereits die apokryphe Literatur. Sie veranschaulicht damit die theologische Aussage des nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses: „Wir glauben an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater (…).” Wenn auf den Tafelbildern Joseph seine kleine Kerze in den göttlich strahlenden Stall trägt, hat dies etwas rührend Hilfloses.

Es zeigt: Gott will die Mitwirkung des Menschen, er soll sein kleines Licht, seinen bescheidenen Beitrag einbringen. Darauf folgt der Höhepunkt der Vision: Ich sah „das Kind nackt und ganz leuchtend am Boden liegen. Sein Fleisch war vollkommen sauber (…) ich sah auch die Haut der Nachgeburt daneben liegen, zusammengewickelt und ganz glänzend. Ich hörte dann auch den Gesang der Engel (…). Sobald die Jungfrau (…) geboren hatte, betete sie sofort mit geneigtem Haupt und gefalteten Händen (…) den Knaben an und sagte zu ihm: ’Willkommen mein Gott, mein Herr und mein Sohn!’

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Nun weinte das Kind und zitterte wie vor Kälte (…) streckte die Glieder aus, um Schutz und mütterliche Zärtlichkeit zu finden. Da nahm die Mutter das Kind auf den Arm, drückte es leicht (…) mit dem zarten Mitgefühl einer Mutter. Dann (…) nahm sie ihren Sohn (…) und griff mit ihren Fingern feinfühlig nach der Nabelschnur , die sofort abgetrennt war (…).” Auch wenn die Geburt ohne Schmerzen und wundersam leicht vor sich ging, Maria ist die ohne Erbsünde empfangene, so betont doch die vielfache Mutter Birgitta sehr realistisch die Menschheit Jesu durch die Erwähnung von Nachgeburt und Nabelschnur. Es ist nur ein Moment, in dem das nackte Kind auf dem Erdboden liegt, bevor die Mutter es aufnimmt und wärmt.

Anbetung nach der Geburt

Anbetung und Annahme des sich für uns erniedrigenden Gottes in der Gestalt des hilflosen und weinenden Säuglings durch Maria macht den neue Typus des von Birgitta inspirierten westlichen Weihnachtsbildes aus. Aus dem Lukasevangelium wurden die Engel der Hirtenverkündigung an die Krippe versetzt: „Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlische Heer, das lobte Gott und sprach: Herrlichkeit Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen seines Wohlgefallens”. Beim Evangelisten sprechen die Engel das Gloria. Birgitta hört  „Gesang der Engel”. Abschließend schildert Birgitta das Wickeln des Knaben. Als Joseph wieder hereingekommen war, legten sie ihn „zusammen in die Krippe, beteten ihn an mit gebeugten Knien, mit großer Freude und unermesslicher Fröhlichkeit”. So nimmt Birgitta mitten hinein in die Tiefen des Weihnachtswunders.  Michael Karger        

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