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Die Freude unermesslicher Neugierde

Der langjährige Universitätspolitiker Nikolaus Lobkowicz regt in seinen „Philosophischen Memoiren“ an, sich auf das Abenteuer des Denkens einzulassen.
Nikolaus Lobkowitz
Foto: IN | Die persönliche Gottesverehrung bedarf keiner Neubestimmung: Nikolaus Lobkowicz.

Der Philosoph und langjährige Autor dieser Zeitung, Nikolaus Lobkowicz (1931–2019), verspürte früh das Bedürfnis nach Beschäftigung mit dem eigenen Lebenslauf. Bereits in seinen 1980 veröffentlichten „Wortmeldungen“ findet sich ein Betrag mit retrospektiven Betrachtungen des damals knapp Fünfzigjährigen, der sich als einen auf dem „Parkett der Politikwissenschaft ,Ausgerutschten‘“ bezeichnete.

Dieses angebliche Scheitern resultierte vor allem daher, dass er vor seiner Berufung nach München 1967 nicht viel mit dieser akademischen Disziplin zu tun hatte, mit Ausnahme der Tatsache, dass er (Schüler des berühmten Dominikanerpaters, Sowjetologen und Logikers Joseph Maria Bocheñski!) als Marxismus-Experte bekannt war. Lobkowicz zögerte nie, sich als konservativen Katholiken zu bekennen. Öfters konnte man vernehmen, er sei Opus-Dei-Mitglied, was er aber stets bestritten hat.

Er argumentierte gegen den progressiven Sozialethiker Hertz

Seine glaubenstreue Haltung zeigt sich exemplarisch in einer schmalen Schrift („Am Ende aller Religion?“) aus den 1970er Jahren, die aus einem Leserbriefdisput mit dem Dominikaner Anselm Hertz hervorgegangen ist. Lobkowicz argumentierte damals gegen den progressiven Sozialethiker, dass herkömmliche persönliche Gottesverehrung im Sinne der religio, auch wenn man um ihre Herkunft aus dem römischen Kulturkreis weiß, nicht überholt sei und keiner Neubestimmung bedürfe. Seine Amtsführung wurde durch seine Weltanschauung, die in der Öffentlichkeit bekannt war, sicherlich nicht erleichtert. Der angeblich „Ausgerutschte“ machte innerhalb der Universität schnell Karriere.

Bis 1982 war Lobkowicz noch Präsident der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, ehe ihn der Senat nach elf Jahren Amtszeit abwählte. Von 1984 bis 1996 stand er der katholischen Universität Eichstätt vor. Nach seiner Emeritierung widmete er sich dem Aufbau des Zentralinstituts für Mittel- und Osteuropastudien – ein Herzensprojekt des in Prag geborenen Angehörigen eines berühmten europäischen Adelsgeschlechts, dem nach seiner Flucht 1948 die tschechische Staatsangehörigkeit entzogen wurde. Nach dem Ende des Kommunismus erhielt er sie jedoch wieder zurück. Im September dieses Jahres ist der vielfach Geehrte verstorben.

Das Projekt einer umfangreicheren Darstellung seines Lebenslaufes hat er nie aufgegeben. Aufgrund vielfältiger Aufgaben konnte er es jedoch erst im neunten Lebensjahrzehnt in Angriff nehmen. Seine „philosophischen Memoiren“ sind freilich keine klassischen Erinnerungen, in denen der Autobiograph als eine Art auktorialer Erzähler vorkommt; vielmehr behandelt er geistesgeschichtliche Themen, die ihn von frühen Zeiten an geprägt haben. Insofern ist die Anordnung doch eine sehr persönliche. Im Prolog lässt er wichtige Stationen seines Lebens Revue passieren: die Kindheit im böhmischen Raum, die Studien in Fribourg, die Dozententätigkeit in den USA und in München bis zu diversen Erfahrungen in der Leitung zweiter Universitäten. Lobkowicz betrieb seit Studentenzeiten ausgedehnte Aristoteles- und Thomasstudien, weiter arbeitete er intensiv über Marx und seine Wurzeln bei Hegel.

Frage der Aktualität der Gottesbeweise

Im lockeren Durchgang schildert er die Quintessenz von Hegels Lehren und einige der vielfältigen Probleme seiner Rezeption. Diese erregte sogar noch in der Epoche der osteuropäischen Wendezeit vor drei Dekaden durch Francis Fukuyama Aufsehen, der Hegel durch die Brille von dessen Interpreten Alexandre Kojeve gelesen hat. Erst recht füllt die Auslegung Hegels durch Marx ganze Bibliotheken, ist sie doch in weltgeschichtlicher Weise weitaus bedeutender als die Verarbeitung fast aller früheren und späteren philosophischen Lektüren. Einseitigkeiten können sich jedoch aus rein materialistischer Perspektive ebenso wie aus der idealistischen ergeben. Methodisch sind sie ohnehin eng verwandt.

Lobkowicz erörtert auch Strömungen abseits philosophischer Hauptströmungen. So erwähnt er Vertreter der Mystik sowie Richtungen der Wissenschaftstheorie wie der Ethik. Freilich geht es auch in diesem Kontext um persönliche Eindrücke von Phänomenen.

Ein Thema, das Lobkowicz seit Studienzeiten in Fribourg interessiert, kreist um die Frage der Aktualität der Gottesbeweise. Man kann nicht sagen, dass es sich um eine Problematik handelt, die in der unmittelbaren Gegenwart größere Debatten hervorruft. Der heutige theologische Hauptstrom setzt eher bei der existenziellen Suche des Menschen an als bei der rationalen Begründung von Positionen, von deren Richtigkeit der Einzelne bereits überzeugt sein muss, ehe er darüber intensiv reflektiert.

Erörterungen über das Verhältnis von Theologie und Philosophie

Immerhin hat vor über einem Jahrzehnt der im vergangenen Jahr verstorbene Philosoph Robert Spaemann einen „letzten Gottesbeweis“ vorgelegt, der gegenüber der Kritik von Kant und Nietzsche resistent sein soll. Lobkowicz erörtert jedoch ausführlicher als neuere Versuche des Aufweises Gottes die klassischen Varianten, vor allem die „quinque viae“ des Thomas.

Lobkowicz verrät seiner Leserschaft, dass er sich öfters mit theologischen Fragestellungen herumgeschlagen hat, obwohl er das Fach nie studiert hat. Einige Einblicke bietet er am Beispiel der Analogie- wie der Eucharistielehre. Dabei spart er auch einige Einwände nicht aus, die schon seit der frühen Kirche gegen den Empfang des Leibes Christi vorgebracht werden. Dazu sind verschiedentlich zu hörende Kannibalismus-Vorwürfe zu zählen. Natürlich ist auch bei den diesbezüglichen Überlegungen Thomas ein wesentlicher Bezugspunkt.

Abgerundet werden die engagierten, stets von einem rechtgläubig-konservativen Standpunkt aus vorgetragenen Erörterungen von Darlegungen über das Verhältnis von Theologie und Philosophie. Einleuchtend argumentiert der Autor, wo sich beide Disziplinen unterscheiden und wo Berührungspunkte vorliegen. Am Ende ist ein ausführliches Verzeichnis von Veröffentlichungen abgedruckt.

Man wundert sich über die Produktivität des Gelehrten, dessen beste Jahre als Ordinarius er aufgrund seiner Aufgaben als Universitätsvorstand nicht in erster Linie der Forschung widmen konnte. Lobkowicz Erinnerungen beinhalten keinen hinreißend formulierten Rückblick auf primär biographische Zusammenhänge, sondern fordern den Leser auf, sich selbst auf das philosophische Abenteuer einzulassen, das ihn immer wieder neu inspiriert hat.

Nikolaus Lobkowicz: Philosophische Memoiren. Erinnerungen an die Philosophie. Eos-Verlag, Sankt Ottilien 2019, 307 Seiten, EUR 19,95

Themen & Autoren
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