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Hart umkämpfte Freiheit

Kontroversen um den Freiheitsbegriff in Texten des Synodalen Wegs.
Individuelles Selbstverständnis wird zum Maßstab erhoben
Foto: Graham Oliver | Der Test Synodalforum 4 unterläuft "nicht nur ohne Not die biblisch fundierte Lehre von der Zweigeschlechtlichkeit, sondern propagiert im Namen der Freiheit einen Optionalismus der Geschlechtswahl, der mit der ...

Der Begriff der Freiheit gehört zu den wichtigsten und zugleich umstrittensten Kategorien unserer Moralsprache. Weder sein genauer Sinngehalt noch die davon abhängige Reichweite seiner legitimen Verwendung verstehen sich einfach von selbst. Daher ist der in sich vielschichtige Freiheitsbegriff seit langem Gegenstand erbitterter Kontroversen.

Ambivalenz und Dialektik des Freiheitsdenkens

Die einen versuchen aus einer empirischen Perspektive, etwa mit neurowissenschaftlichen Argumenten, den illusionären Charakter insbesondere der Willensfreiheit aufzudecken, um so einer vollständigen Naturalisierung des Menschen zum Durchbruch zu verhelfen. Die anderen bemühen aus einem normwissenschaftlichen Blickwinkel nicht nur darum, die Freiheit als unverzichtbares Element unseres personalen Selbstverständnisses gegen verschiedene Infragestellungen zu verteidigen, sondern auch die konkreten Voraussetzungen persönlicher Verantwortungsübernahme möglichst präzise zu bestimmen und die Beziehungen sowohl der inneren Willens- als auch der äußeren Handlungsfreiheit zu anderen wichtigen Grundgütern (wie Sicherheit, Gesundheit, Freundschaft oder materielle Ressourcen) näher zu analysieren.

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Bereits die Vielzahl der an der neueren Freiheitsdiskussion beteiligten Disziplinen mit ihren teils gegenläufigen Erkenntnisinteressen und unterschiedlichen methodischen Zugriffen auf das Thema der Freiheit lehrt zwei Dinge: Erstens ist es angesichts der Differenziertheit des freiheitstheoretischen Diskurses gegenwärtig nicht mehr möglich, einfach naiv die Alternativlosigkeit eines „aufgeklärten modernen Freiheitsdenkens“ zu beschwören, ohne zugleich dessen Ambivalenz und Dialektik angemessen zu berücksichtigen.

Freiheit: Faszination der Moderne

Zwar ist die Freiheit unstrittig das Faszinationswort der Moderne, dessen politische Implementierung Menschen in zahlreichen Lebensbereichen neue Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet hat. Doch daneben hat die wachsende Selbstermächtigung des solchermaßen freigesetzten Subjekts auch eine Schattenseite: Seine sozialen Verwerfungen und ökologischen Folgelasten treten inzwischen immer deutlicher zutage. Zweitens zwingt die Vielstimmigkeit der Freiheitsdiskussion dazu, die jeweils verwendeten Terminologien kritisch zu reflektieren, um Missverständnisse zu vermeiden und die tatsächlichen Konfliktlinien klarer in den Blick zu bekommen.

Das gilt insbesondere für die Unterscheidung zwischen einem sogenannten libertarischen und einem kompatibilistischen Freiheitsverständnis. Kompatibilisten gehen im Rahmen der philosophischen Debatte um die Willensfreiheit davon aus, dass Freiheit und Determinismus miteinander vereinbar sind. Libertaristen bemühen sich hingegen darum, das so-oder-anders-Handelnkönnen unter gleichen Bedingungen (im Sinne eines Alternativismus) als unverzichtbaren Kern echter Willensfreiheit gegen unsachgemäße deterministische Deutungen unserer physikalischen Naturgesetze zu verteidigen.

Zwiespalt von Freiheit, Autonomie und christlicher Offenbarung

Demgegenüber hat sich innerhalb der systematischen Theologie der letzten Jahre ein anders gelagerter Konflikt entwickelt, in dem es nicht um die menschliche Willensfreiheit als solche, sondern vielmehr um bestimmte Vorstellungen von Freiheit und Autonomie geht. Deren theologische Vereinbarkeit mit den Wahrheitsansprüchen einer christlichen Offenbarung erscheint zumindest zweifelhaft. Dabei sind Verfechter eines theologischen Libertarismus der Überzeugung, dass es die Dignität eines zeitgemäßen „freigelassenen“ Glaubens gebietet, die Freiheit als das grundlegende Prinzip aller menschlichen Einzelvermögen anzuerkennen und vor allem gegen die Geltungsansprüche eines offenbarungspositivistischen Extrinsezismus zu verteidigen.

Demgegenüber bestehen die Anhänger eines theologischen Kompatibilismus auf der Vereinbarkeit menschlicher Freiheit mit einer Wahrheit, die ihre Inhalte von außen – durch den Schöpfer oder die Natur – bestimmt. Wer nun glaubt, dass es sich hierbei letztlich um einen akademischen Streit im Elfenbeinturm theologischer Wissenschaft handelt, der unterschätzt sowohl die systematische Tragweite als auch die lebenspraktischen Folgen dieser Positionen.

Zwei Freiheitsbegriffe

Aus moraltheologischer Sicht ist es im Blick auf die Deutung unbedingter moralischer Ansprüche zunächst einmal wichtig, zwischen einer erkenntnistheoretischen und einer ontologischen Frageperspektive zu unterscheiden. Zwar beruht die Verpflichtungskraft einer sittlichen Norm nach kognitivistischer Überzeugung ausschließlich auf ihrer rationalen Wohlbegründetheit. Deshalb müssen sich auch mit kategorischen Geltungsansprüchen auftretende moralische Weisungen des kirchlichen Lehramtes vor dem Forum der praktischen Vernunft des Menschen als wohlbegründet ausweisen können – doch dabei ist strikt zwischen der subjektiven Erkenntnis und Aneignung einer Norm seitens des Normadressaten einerseits und der objektiven Konstitution des inhaltlichen Geltungsanspruches der Norm durch eine äußere Wirklichkeit (im Sinne moralischer Tatsachen) andererseits zu unterscheiden.

Der Umstand, dass auch eine bestens begründete Norm darauf angewiesen ist, vom Normadressaten durch ein individuelles Vernunfturteil überprüft und angeeignet zu werden, um tatsächlich handlungswirksam zu werden, bedeutet nicht, dass ihr Geltungsanspruch durch die subjektive Zustimmung überhaupt erst konstituiert wird. Der Inhalt der Norm wird nicht dadurch richtig, dass ich dieser Norm zustimme, sondern dadurch, dass er den einschlägigen moralischen Tatsachen entspricht.

Wenn Autonomie zu reinen Selbstbestimmung wird

Deswegen ist im Blick auf die in ethisch-moraltheologischer Hinsicht mehrdeutigen Begriffe der ,Geltung‘ und des ,Grundes‘ nicht nur strikt zwischen den normativen und den motivierenden Gründen, sondern auch zwischen einer rein epistemologischen und einer ontologischen Perspektive zu unterscheiden. Die Freiheit des Normadressaten schließt selbstverständlich auch die Möglichkeit ein, objektiv wohlbegründeten Normen gegenüber den Gehorsam zu verweigern, ohne dass diese individuelle Reaktion dem normativen Anspruch sowie der objektiven Geltung der Norm Abbruch tun könnte.

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Genau das übersieht ein Freiheits- und Autonomieverständnis, das immer stärker dazu tendiert, einseitig die negativ-emanzipatorische Dimension der Freiheit (Freiheit von etwas) auf Kosten ihrer positiven Entschiedenheitsdimension (Freiheit zu etwas) zu akzentuieren und die Autonomie in eine reine Selbstbestimmung zu verwandeln, die in voluntaristischer Manier meint, ein rein subjektives Wollen zur Quelle normativer Autorität stilisieren zu können.

Naturalistische Fehlschlüsse und ein gefährlicher Erosionsprozess 

Deutliche Spuren eines solcher fundamentalen Missverständnisses finden sich auch im Grundtext des Synodalforums IV „Leben in gelingenden Beziehungen“, obwohl dessen pastoral motivierte Ausführungen zwangsläufig weit hinter dem Reflexionsniveau der theologischen Debatte um den Freiheitsbegriff zurückbleiben. Nicht nur ist das Unterfangen in sich widersprüchlich, die aus den Reformdebatten der 1970er Jahre hinlänglich bekannten Forderungen nach „wesentliche(n) Neuakzentuierungen der kirchlichen Sexuallehre“ (2) mit der empirisch haltlosen Behauptung plausibilisieren zu wollen, „dass kirchliche Sexualethik auch die Verbrechen der sexualisierten Gewalt in der Kirche begünstigt hat“ (2).

Der Text changiert zudem zwischen kruden naturalistischen Fehlschlüssen und einem Freiheitsverständnis, das basale anthropologische Bestimmungen grundlos relativiert und den normativen Unterbau einer überzeugenden Orientierung am Ideal verlässlicher liebender Partnerschaftlichkeit einem gefährlichen Erosionsprozess aussetzt.

Trennung von Orthodoxie und Orthopraxie auf dem Synodalen Weg

So lässt etwa die Einschätzung der Synodalen, insbesondere „die Lehre, die den Geschlechtsverkehr nur im Rahmen einer rechtmäßigen Ehe […] für ethisch legitim erachtet, habe zu einem weitgehenden Bruch zwischen Lehramt und Gläubigen geführt“ (2), nicht nur jede kritische Distanz zur epidemischen Verbreitung des Verhaltensmusters der seriellen Monogamie und damit zu einem rein konsumistischen Umgang mit der Sexualität vermissen. Es bleibt auch offen, wie die damit indirekt ausgesprochene Billigung vor- und außerehelicher Kontakte mit dem Gedanken der Unauflöslichkeit der Ehe vereinbar sein könnte.

Noch einen Schritt weiter geht der pauschale Verweis auf das ,Empfinden‘ vieler Zeitgenossen, denen es „unerklärlich“ erscheine, „wenn sie wegen ihres Lebensentwurfes, ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität, die quer zu den gängigen Normalitätsvorstellungen stehen (queer), oder ihrer mangelnden Normbefolgung von ihrer Glaubensgemeinschaft abgelehnt oder zumindest als Minus-Variante eines vollgültigen christlichen Lebens angesehen werden“ (5).

Eine emanzipative Stoßrichtung

Nicht genug damit, dass hier völlig disparate Phänomene auf abenteuerliche Weise miteinander kombiniert werden. Die vollständige moralische Marginalisierung der Bedeutung normabweichenden Verhaltens läuft zumindest implizit auf eine Trennung von Orthodoxie und Orthopraxie hinaus, die dem christlichen Glauben wesensfremd ist und sich letztlich nicht davor scheut, das moralisch Richtige von diffusen Gefühlslagen und Stimmungen abhängig zu machen oder schlicht der normativen Kraft des Faktischen auszuliefern.

Dass Freiheit den Synodalen zufolge zuerst und vor allem eine von Selbstbestimmungsinteressen geleitete, gegenüber lehramtlichen Vorgaben emanzipative Stoßrichtung hat, erhellen auch zwei weitere, eng miteinander verbundene Auffälligkeiten: Zum einen arbeitet der Text mit einer simplen Kontrastrhetorik: Zunächst wird in gefühlsbetontem Tonfall ein düsteres Bild kirchlich-lehramtlicher Tradition gemalt, von dem sich dann in umso strahlenderem Licht die hier unterbreiteten Reformvorschläge abheben. Dass dieses Vorgehen weder der Differenziertheit der Vergangenheit noch den tatsächlichen Reformbedarfen der Gegenwart entspricht, dürfte jedem klar sein, der auch nur von Ferne mit der Theologiegeschichte und den vielfältigen Pathologien der Gegenwartspastoral vertraut ist.

Individuelles Selbstverständnis wird zum Maßstab erhoben

Zum anderen bedient sich der Text gerade im derzeit fachwissenschaftlich besonders kontrovers geführten Diskurs zum Umgang mit sexuellen Minderheiten – wie zum Beispiel inter- und transgeschlechtlicher Personen – einer Strategie, die „das individuelle Selbstverständnis der geschlechtlichen Identität jedes Menschen“ (13) unabhängig von allen biologisch-naturalen Vorgaben seiner leiblichen Verfassung zum alleinigen Maßstab des Richtigen stilisiert.

Damit unterläuft der Text nicht nur ohne Not die biblisch fundierte Lehre von der Zweigeschlechtlichkeit, sondern propagiert im Namen der Freiheit einen Optionalismus der Geschlechtswahl, der mit der Ganzheitlichkeit des christlichen Menschenbildes kaum mehr zu vereinbaren sein dürfte. Ein derart eindimensionales Freiheitsverständnis ist in seiner praktischen Radikalität nicht die Lösung, sondern Teil des Problems einer überzeugenden Bestimmung des Freiheitsbegriffs, über den aus guten Gründen nicht nur innerhalb der Theologie leidenschaftlich gestritten wird.

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