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„Flächendeckende“ Abtreibungen sind unethisch!

Wenn führende Repräsentanten der deutschen Katholiken Abtreibungen als Dienstleistung betrachten, ist Widerspruch notwendig. Christen müssen immer für den Schutz von vulnerablen Menschen eintreten – auch von jenen im Mutterleib.
Leben
Foto: (513374891) | Der Schutz des Lebens hat für die Kirche immer Vorrang.

In der „Zeit“ erschien jüngst ein Gastbeitrag der Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, die gleichzeitig dem Präsidium des „Synodalen Weges“ angehört. Sie forderte „sicherzustellen, dass der medizinische Eingriff des Schwangerschaftsabbruchs flächendeckend ermöglicht wird“.

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Oberflächliche Versorgungsmentalität

Dieser Forderung, die sich auf die jüngst beschlossene Streichung des Paragraphen 219a des Strafgesetzbuches bezieht (Werbeverbot für Abtreibungen), wollen und müssen wir entschieden widersprechen. Mit der Streichung des Paragraphen 219a können Ärzte nun das Angebot, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, erläutern und bewerben. Die erwähnte weitergehende politische Forderung, die Versorgung mit Abtreibungsmöglichkeiten in Deutschland künftig aktiv zu sichern, setzt voraus, dass es sich beim Abbruch der Schwangerschaft um eine medizinische Leistung handelt, die zum einen überall und stets verfügbar sein sollte und auf die man ein Recht hat.

Die Forderung basiert letztlich auf dem Gedanken einer bloß oberflächlichen Versorgungsmentalität, bei der die gerechte Verteilung (flächendeckend) das entscheidende Kriterium darstellt – ohne Ausrichtung am Guten. Alle sollen gleichermaßen leichten Zugang zu dem Angebot haben, obwohl es sich bei der Abtreibung um ein Unrecht handelt, da der Tod eines wehrlosen Menschen herbeigeführt wird.  Es handelt sich jedoch nicht nur nach christlicher, sondern auch nach rechtlicher Auffassung beim Schwangerschaftsabbruch gar nicht um ein legitimes Gut, sondern um ein in den meisten Fällen rechtswidriges Verfahren, das lediglich straffrei bleibt. Legal ist es nur in Ausnahmefällen.

Aus ethisch-theologischer Sicht gehört die gezielte Tötung eines Kindes im Mutterleib darüber hinaus zu den Handlungen, die nicht nur zu kritisieren sind, sondern die immer Unrecht bleiben, selbst wenn diesem Unrecht in Einzelfällen nachvollziehbare Motive zugrunde liegen können.
Im 20. Jahrhundert war die Rede von der „in sich schlechten Handlung“ in der Moraltheologie des deutschsprachigen Raumes in Verruf geraten und wurde erst durch das Bekanntwerden der Fälle von sexuellem Missbrauch in der Kirche wieder als legitime Kategorie akzeptiert: Der unbedingte Schutz von Minderjährigen und vulnerablen Erwachsenen (noch über den Schutz vor sexueller Gewalt hinaus), muss immer und unbedingt gewährleistet sein. Das müsste indes genauso für die Ungeborenen gelten.

Selbstbestimmung über Lebensrecht

Irme Stetter-Karp spricht von einer Gleichstellung der Selbstbestimmung der Frau und dem Lebensrecht. De facto wird hier jedoch das Lebensrecht der Selbstbestimmung nachgeordnet. Für eine Frau, die sich womöglich unter massivem inneren oder äußeren Druck zur Abtreibung genötigt sieht, ist diese Selbstbestimmung jedoch nur Fiktion. Eine ganz ähnliche Problematik sehen wir auch in anderen Bereichen des Lebensrechts und des Schutzes der menschlichen Person, in denen mit der Autonomie argumentiert wird. Die Gefahr besteht darin, den Menschen in seiner Selbstbestimmung faktisch allein und sich selbst zu überlassen, anstatt alles Menschenmögliche zu tun, um zu helfen, Leiden zu lindern und Hindernisse für ein gutes Leben zu beseitigen.

Gerade aus diesem Grund setzt sich die Kirche so vehement auch gegen die Tötung auf Verlangen und den assistierten Suizid ein. Auch das Argument für eine Bewertung des Abbruchs als geringeres Übel gegenüber den Einschränkungen und eventuellen psychischen Herausforderungen der Frau durch die Schwangerschaft und Geburt eines nicht gewollten Kindes genügt ebenfalls nicht, weil es voraussetzte, die Tötung eines Kindes könnte ein geringeres Übel darstellen als ein Leben mit dem Kind, selbst in prekären Verhältnissen.

Vielmehr berichten Mütter und Väter zuweilen auch Jahre nach dem Eingriff von Schmerz und Schuldgefühlen, weil sie intuitiv spüren, dass es sich nicht nur um einen unbedeutenden Eingriff gehandelt hat. Hier zeigt sich erneut das Argument gegen den kurzsichtigen Punkt der Verteilungsgerechtigkeit: Flächendeckend verteilt werden im ethischen Sinne kann nur ein Gut, das der Gerechtigkeit entspricht und damit dem Guten.  Als Argument gegen das Lebensrecht des Kindes wird die Schutzwürdigkeit der Mutter angeführt, insbesondere hinsichtlich des schon erwähnten Selbstbestimmungsrechts. Freiheit endet jedoch immer auch an der Freiheit des Anderen.  Freiheit muss immer auf das Gute gerichtet sein, wenn sie nicht Willkür sein soll. Dass das Kind sich seiner Freiheit noch nicht bewusst ist und diese selbst nicht einfordern kann, reicht als Argument nicht aus, da wir die Freiheit des Menschen nicht nur als Handlungsfreiheit, sondern als Wesensfreiheit verstehen und damit als intrinsisches Merkmal, also als eine mit der Person zutiefst verbundene Eigenschaft.

Nicht alles ist Freiheit

Wenn ein Mensch diese nicht selbst gebrauchen kann wie bei einer gravierenden kognitiven Beeinträchtigung, sie nicht mehr verwirklichen kann wie im Falle einer fortgeschrittenen Demenz, oder sie noch nicht selbst verteidigen kann wie das ungeborene Kind, bedarf es des advokatorischen Engagements als eines anwaltlichen Eintretens im Sinne und für das Wohl der Person.  Der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung und die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben sind dem Menschen wesensmäßig eingeschrieben. Gelingende Freiheit ist jedoch wie die Gerechtigkeit ebenfalls an das Gute für den Menschen gebunden, und das ist nicht beliebig.

Nicht alle Bedürfnisse von Menschen lassen sich mit dem legitimen Freiheitswillen rechtfertigen. Insbesondere der Schutz des Lebens und der körperlichen Integrität der Person ist allen Bestrebungen entgegenzuhalten, die das Lebensrecht der Schwachen einem liberalen Freiheitsverständnis ohne Ausrichtung am Guten und Gerechten opfern wollen.

Es liegt ganz in dieser Argumentationslinie und gehört zur Verteidigung der Würde des Einzelnen, dass alles getan werden muss, um Frauen, die unter ihrer Schwangerschaft leiden, diese nicht gewollt haben oder anderweitig in Not sind, die umfassende Unterstützung zukommen zu lassen, derer sie bedürfen.
Man darf Mütter (und Väter) nicht allein lassen, wenn sie sich überfordert fühlen, von Ängsten überwältigt werden oder keine Perspektive mehr für ein gelingendes Leben sehen. Da nicht nur ihre ungeborenen Kinder, sondern auch sie selbst in besonderer Weise verletzlich sind, gebührt ihnen nicht Moralisierung, sondern Barmherzigkeit und tätige Solidarität, in der Hoffnung, dass sie sich trotz aller Widrigkeiten am Ende für ihr Kind entscheiden können.

Mütter sollten nicht allein gelassen werden

Der „Synodale Weg“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Vulnerabelsten unserer Gesellschaft, vor allem die Kinder, besser zu schützen, als es in der Vergangenheit (auch in der Kirche) der Fall war. Der unbedingte Schutz von Minderjährigen gegen sexuellen Missbrauch ist notwendig und ein dringendes gesellschaftliches und kirchliches Anliegen.
Der Schutz von ungeborenen Kindern, die auf die Loyalität und Solidarität ihrer Mütter unbedingt angewiesen sind, sollte ein ebensolches Herzensanliegen sein.

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Flächendeckende Unterstützung von schwangeren Frauen, Beratungs- und besonders auch Hilfsangebote sind notwendig, um die Situation von Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt zu verbessern. Die hohe Bedeutung der praktischen Unterstützung und des Zuspruchs durch Angehörige, Freunde und Arbeitgeber kann zudem nicht überschätzt werden. Eine erneuerte „Willkommenskultur“ Kindern gegenüber wäre daher als gesellschaftliches Ziel anzustreben.

Im Gastbeitrag in der „Zeit“ wurde zusätzlich die politische Forderung unterstützt, der Schwangerschaftsabbruch solle Teil der üblichen ärztlichen Ausbildung werden, um eine flächendeckende Versorgung mit dieser „Dienstleistung“ bestmöglich zu sichern. Wie passt dies zur ärztlichen Kunst, der es eigen ist, auf das Helfen und Heilen ausgerichtet zu sein?

Das Versprechen, niemals jemandem auf dessen Wunsch hin tödliche Mittel zu verabreichen, gehörte wie auch der Verzicht darauf, Abtreibungsmittel zu verabreichen, über Jahrtausende zum hippokratischen Eid. Es käme einer Pervertierung des Arztberufes gleich, Abtreibungen als verpflichtenden Teil des Curriculums einzuführen und damit sogar die Gewissensfreiheit künftiger Ärzte zu verletzen. Das eindeutige Eintreten für den Schutz von vulnerablen Menschen ohne Unterschied erscheint daher als christliches Gebot der Stunde und sollte als vordringliches Anliegen des „Synodalen Weges“ in aller Eindeutigkeit kommuniziert werden. Dass dies insbesondere für Mitglieder des Präsidiums gilt, liegt auf der Hand.  Die vier Autorinnen sind Mitglieder der Synodalversammlung des „Synodalen Weges“ der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).


Die vier Autorinnen sind Mitglieder des „Synodalen Weges“ der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung der „Welt“.

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