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Aus Vollmacht und Macht entstehen bindende Pflichten

Warum es in der Kirche keine Verteilung von „Macht“ durch Mehrheitsentscheidungen geben kann und warum die Vollmacht weit mehr mit Verantwortung als mit Ausüben von „Macht“ zu tun hat.
Jesus lehrt die Apostel
Foto: wikimedia commons | Jesus lehrt die Apostel.

In der theologischen Diskussion spricht man häufig von einer notwendigen „Dekonstruktion“. Begriffe, die den Glauben aussagen und die Theologie prägen, unterliegen demnach aufgrund ihrer Kontingenz einer beständigen Plausibilitätskontrolle. Als Konstruktionen einer spezifischen Zeit, einer Kultur oder auch eines Sprachraums sollen sie im Licht aktueller Erkenntnisse „dekonstruiert“, das heißt abgebrochen sowie neu gefüllt und formuliert werden. Die Vernunft gilt dafür als maßgebliche Erkenntnisquelle. Sie allein legt fest, was etwas ist und wie es in seiner Bedeutung beschrieben werden kann.

Mit diesem Denkansatz wird jedoch der Wahrheitsanspruch der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus einer zunehmenden Relativierung ausgesetzt. Denn die göttliche Offenbarung in Schrift und Tradition wird demzufolge nur da annehm- und beantwortbar, wo sie sich der Überprüfung ihrer Vernünftigkeit unterzieht und auf dieser Grundlage bestehen kann. Menschliche Vernunft wird zum Richter des göttlichen Anspruchs.

„Das Einssein mit Christus durch die Taufe macht folglich die Kirche
zu einer Gemeinschaft Gleichwürdiger und -berechtigter,
die nicht von einem politischen Machtdenken bestimmt sind,
sondern unter jener „Macht“ der Wahrheit ihres Herrn stehen,
die sich zugleich in der „Ohnmacht“ seiner Liebe offenbart“

Dass die Vernunft in einem indispensablen Verhältnis zum Glauben steht, ist unbestritten. Das vermag zunächst ein Beispiel aus dem Kirchenrecht zu verdeutlichen. Unter einem kirchlichen Gesetz versteht die Kanonistik „eine auf die Förderung des Lebens der Communio ausgerichtete und mit den Mitteln der Vernunft als allgemeine rechtsverbindliche Vorschrift gestaltete Glaubensweisung“ (Winfried Aymans). Für das Gesetz begründen somit Offenbarung und Glaube die Quelle der Erkenntnis, der zufolge der Gesetzgeber als solcher tätig werden kann. Die Vernunft dient hingegen als Gestaltungsmittel des Gesetzes. Mit Hilfe ihrer Kraft werden die Weisungen des göttlichen Rechts entfaltet und so zur handhabbaren Umsetzung gebracht.

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Und selbst jene kirchlichen Gesetze, die sich aufgrund ihrer Anwendung im rein äußeren Bereich der Kirche allein einer Entscheidung der Vernunft verdanken, bedingen sich vom Glauben der Kirche her und finden darin ihren Legitimationsanspruch. So bindet beispielsweise c. 1254 CIC als Einleitungsnorm zum kirchlichen Vermögensrecht den Zweck kirchlichen Vermögens an die Durchführung des Gottesdienstes, die Sustentation des Klerus und der Kirchenbediensteten, der Werke des Apostolats und der Caritas. Äquivalente Normen stehen folglich im Dienst des Glaubens und empfangen von ihm her ihre Berechtigung. Dieser konstitutive Bezug von Glaube und Gesetz lässt sich im Blick auf die Begriffe des Glaubens generalisieren. Wird der Glaube in Worte und Formeln gebracht, die seinen Inhalt ausdrücken wollen, bedürfen diese in ihrer theologischen Erschließung stets der Rückführung auf ihren Ursprung in Schrift und Tradition.

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Eine problematische Trennung von Glauben und Vernunft

Das Zweite Vatikanische Konzil hat dieses Leitmotiv durch die Rückkehr zu den biblischen und patristischen Quellen konsequent realisiert. Mit dem Gestaltungsmittel der Vernunft dient der offenbarungsbegründete Glaube der Kirche als Erkenntnisquelle theologischer Begriffe und kirchlicher Dogmen.
Wenn in den Foren des Synodalen Weges Glaubensaussagen nur solange anerkannt werden, wie sie vor der Vernunft oder vor einer wie immer gefundenen Mehrheit der Gläubigen Bestand haben, werden spätestens da die Folgen einer Trennung zwischen Glaube und Vernunft offenkundig. Glaube und Glaubensaussagen werden zum Spielball von Vernunft und Mehrheiten.

Die synodale Rede von der „Macht in der Kirche“ und die damit einhergehende Forderung nach Teilung und Abgabe von „Macht“ verdeutlichen dies exemplarisch. Der Begriff „Macht“ ist ein vornehmlich politischer. Die Macht, die in den Händen des Volkes und in denen der von ihm gewählten Repräsentanten liegt, wird geteilt und in ihrer Ausübung einer gegenseitigen Kontrolle unterstellt. Diese „Macht“ als politische und auch soziologische Größe ist jedoch der Kirche als dem „Volk Gottes vom Leib Christi her“ (Joseph Ratzinger) fremd. Warum?

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Vollmacht der Geweihten ist keine politische Macht

Zunächst untersteht die Gemeinschaft der Gläubigen, die durch die Taufe Christus gleichgestaltet und seiner Kirche eingegliedert wurden (vgl. c. 849 CIC), dem maßgebenden Wort ihres Herrn. Christus warnt seine Jünger vor einem solchen Machtdenken und tadelt sie ausdrücklich, weil sie untereinander darüber sprechen, wer von ihnen der Größte sei. Für Christus und seine Kirche gilt vielmehr: „Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9,35). Das Einssein mit Christus durch die Taufe macht folglich die Kirche zu einer Gemeinschaft Gleichwürdiger und -berechtigter (vgl. c. 208 CIC), die nicht von einem politischen Machtdenken bestimmt sind, sondern unter jener „Macht“ der Wahrheit ihres Herrn stehen, die sich zugleich in der „Ohnmacht“ seiner Liebe offenbart.

Wo die Kirche als solche sichtbar wird, ist sie jedoch zugleich hierarchisch strukturiert. Der Begriff „Hierarchie“ selbst verweist auf den „heiligen Ursprung“ der kirchlichen Struktur. Die in der Kirche gegenwärtige „heilige Vollmacht“ (potestas sacra) ist eben nicht eine politische Macht kirchlicher Ordnung, die sich aus der Selbstreflexion des Volkes Gottes entwickelt hätte. Vielmehr besitzt die Vollmacht einen ihr eigenen Ursprung. Sie wird von Christus selbst, der die Vollmacht vom Vater empfangen hat (vgl. Joh 20,21), den Aposteln übertragen und kontinuierlich durch das Weihesakrament in die Geschichte der Kirche vermittelt. Sie ist also nicht Ausdruck einer innerweltlichen Herrschaftsform. Die Vollmacht befähigt vielmehr dazu, im Namen und in der Person Jesu Christi wirkmächtig zu handeln und seine Kirche zu leiten (vgl. Lk 10,16-19). Sie untersteht daher zugleich dem Anspruch Jesu, dass die Ausübung der Vollmacht in der Haltung des Dienens geschieht, wie sie sich in der Verkündigung des Wortes Gottes, in der Heiligung durch die Sakramente sowie in der Leitung zeigt.

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Die Verantwortung kann nur mit Unterstützung getragen werden

Diese Vollmacht ist an das Amt des Apostels gebunden, an dem der Bischof, Priester und Diakon durch die Weihe in je eigener Weise Anteil erhalten. Sie üben folglich kein „Mehr“ an Funktionen aus, die ihnen die Kirche im Stil einer funktionären Selbstorganisation überträgt. Sie vergegenwärtigen vielmehr auf sakramentale Weise Christus als Haupt und Diener der Kirche und vermögen so in seinem Namen und seiner Person zu handeln.

Folgerichtig liegt die Vollmacht in ein- und derselben Hand. Der sakramental bevollmächtigte Vorsteher (Papst, Bischof, Pfarrer) leitet „unipersonal“ die ihm anvertraute Gemeinschaft der Gläubigen. Er ist der sakramentale Verweis auf das „Voraus“ der in Christus gründenden Vollmacht.

Doch es wäre falsch, die Vollmacht als Ausdruck einer exklusiven Alleinverantwortung zu verstehen. Papst und Bischöfe bedürfen der vielfältigen Unterstützung, um ihrer personalen Amtsverantwortung nachkommen zu können. Eine solche Unterstützung vollzieht sich einerseits in der Stellvertretung, andererseits in der Mitverantwortung. So bestellt beispielsweise der Diözesanbischof für die Verwaltung einen Generalvikar und Bischofsvikare sowie für die Rechtsprechung einen Gerichtsvikar (Offizial) und kirchliche Richter. Und auch in der Gesetzgebung, die er als „einziger Gesetzgeber der Diözese“ (c. 466 CIC) ausübt, stehen ihm Berater zur Durchführung entsprechender Gesetzesvorhaben zur Seite. Damit wird deutlich: Die Organe der Stellvertretung unterstützen den Bischof in seiner Vollmacht, kontrollieren ihn jedoch zugleich.

Offenbarung und Glaube verpflichten, nicht eigene Beliebigkeit

Ähnliches gilt für verschiedene Formen der Mitverantwortung im Leben der Kirche. Unbeschadet der Tatsache, dass jeder Christ aufgrund von Taufe und Firmung zum Leben mit und zum Zeugnis für Christus gerufen ist, haben sich kirchliche Formen der Mitwirkung an der Ausübung der Vollmacht etabliert. Dazu gehört vor allem die theologische, geistliche und multiprofessionelle Beratung. Exemplarisch können hier die stabilen pfarrlichen und diözesanen Räte genannt werden. Zu denken ist aber auch an singuläre Ereignisse wie die aktuelle Weltsynode oder eine Diözesansynode, in der die gemeinsame und differenzierte Verantwortung am Auftrag der Kirche zum Tragen kommt.

Wie entscheidend eine klare Begrifflichkeit ist, die Offenbarung und Glaube verpflichtet bleibt, machen im Blick auf die Frage „Vollmacht oder Macht?“ jene Worte deutlich, die Joseph Ratzinger im Blick auf seine Bischofsweihe formulierte: „Der Bischof handelt nicht im eigenen Namen, sondern er ist Treuhänder eines Anderen, Jesu Christi und seiner Kirche. Er ist nicht … ein Chef von eigenen Gnaden, sondern der Beauftragte des Anderen, für den er einsteht. Er kann daher auch nicht beliebig seine Meinungen wechseln und einmal für dies, einmal für jenes eintreten, je nachdem, wie es günstig erscheint. Er ist nicht da, seine Privatideen auszubreiten, sondern er ist ein Gesandter, der eine Botschaft zu überbringen hat, die größer ist als er. An dieser Treue wird er gemessen, sie ist sein Auftrag.“

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